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Full text of "Mitteilungen der Islandfreunde: Organ der Vereinigung der Islandfreunde"

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ORGAN DER VEREINIGUNG 
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TV. JAHRG. JULI 1916 HEFT 1 
= VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS.IN JENA 


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Inhalt 


| Seite 
I. J. C. Poestion, Christiane Johanne Schütz „Die schöne Is- 
länderin: : 2... Am ler ee ee I 
II. W. Heydenreich, „Allgemeine Pflichtarbeit“ (BEGN- 
SKY.LDUVINNA) aubIsland = 2 2 ep ge 14 
III: Heinrich Erkes,- Islands Klima 27 Fzu2 See 23 
IV. Über J. C. Poestions vorbereitete Arbeiten . .......... 25 
V.- Nachrichten aus Island #22 2 rss ee re 26 
VI. Jahresbericht über das Geschäftsjahr 1915/16 ....... er | 


An unsere Mitglieder 


Da mit dem vorliegenden ersten Hefte des vierten Jahr- 


ganges unserer „Mitteilungen“ zugleich unser 


neues Geschäftsjahr — ı. Juli 1916/17 — 


beginnt, gestatten wir uns dem Hefte ein Postscheck- 


formular beizulegen, mittels dessen wır den für das ge- 
nannte Geschäftsjahr fälligen Jahresbeitrag mit M 6.— 
an unseren Kassenwart, Herrn Eugen De Jena, 
einzusenden bitten. 

Die Mitglieder, die noch mit Zahlung Aires Beitrages 
für das vergangene Geschäftsjahr im Rückstande sind, 
bitten wir, den entfallenden Betrag ebenfalls an die ge- 
nannte Adresse einzuzahlen. ; 
Nur durch pünktliche Erfüllung dieser Bitten setzen uns 
die geehrten Mitglieder in die angenehme Lage, die 
„Mitteilungen der Vereinigung“ auch weiterhin erschei- 
nen zu lassen. % 


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MITTEILUNGEN DER 
ISLANDFREUNDE 


ORGAN 
DER VEREINIGUNG DER ISLANDFREUNDE 


HERAUSG.: PROF. DR. W.HEYDENREICH IN EISENACH U. DR.H. RUDOLPHI 
IN LEIPZIG f VERLAG VON EUGEN DIEDERICHS IN JENA 


. Die Mitteilungen der Islandfreunde erscteinen als Vierteljahrsschrift und 
werden den Mitgliedern der Vereinigung kostenlos geliefert und vom Verlage 
zugesandt. Der Mitgliederbeitrag beträgt jährlich 6 Mark 


IV. Jahrg. Juli 1916 Heft 1 


I. CHRISTIANE JOHANNE SCHUTZ, GEB. BRIEM, 
„DIE SCHÖNE ISLÄNDERIN“ 
Erweiterter Abschnitt aus einem Kapitel von Poestions ungedrucktem Werke über seine 
Islandreise (‚Im Tal der Inseln-Förde‘‘) | 

| NN dem Hofe Grund (an der unteren Eyjafjardarä) erblühte von 1815— 1823 
ein isländisches Mädchen, das später durch seine Schönheit, Anmut und 
Bildung in Dänemark, Italien und Deutschland Aufsehen erregte und die 
Lebensgefährtin eines deutschen Gelehrten wurde, dessen Name in ganz 
Deutschland und Deutsch-Österreich bekannt, ja populär geworden ist. 
Da sie auch selbst, wenngleich passiv, nämlich als Gegenstand literarischer 
Behandlung und dichterischer Huldigung, eine gewisse Rolle in der dänischen 
Literaturgeschichte spielt und ihr Name nun auch mit dem großen öster- 
reichischen Dichter Grillparzer in Verbindung gebracht worden ist, verdient. 
sie es wohl, daß ihr seit Langem verblaßtes Andenken wenigstens an dieser 
Stelle für meine deutschen Zeitgenossen wie auch für die Isländer ein wenig 
aufgefrischt werde. Zunächst soll jedoch ihrer Eltern gedacht sein, die selbst 
wahre isländische Prachtmenschen ihrer Zeit waren und als solche auch 

in der damaligen Reiseliteratur über Island geschildert werden. | 
Der Vater war Gunnlaugur Guöbrandsson, geboren 1773 als Sohn eines 
Pastors auf klassischem isländischen Grund, nämlich dem Hofe Brjäms- 
lekur oder Brjänslskur, nach dem er sich später Briem nannte; denn hier 
überwinterte bekanntlich Hrafna-Flöki, der dritte Entdecker Islands, 
welcher der Insel auch ihren bleibenden Namen gab. Väterlicherseits 
stammte er im 9. Gliede von Bischof :Jön Arason, der letzten Helden- 
gestalt Islands, im 27. Gliede von König Harald Schönhaar. Eı kam 1788 


1 | 1. 


nach Kopenhagen, um ein Handwerk zu lernen, zeigte große Lust zur Bild- 
hauerei und besuchte deshalb sieben Jahre lang die ‚Kunstschule‘, wo er 
mit Bertel Thorvaldsen, dessen Vater bekanntlich ein Isländer war, be- 
kannt und befreundet wurde. Beim Abgang von der Schule erhielt er die _ 
silberne Ehrenmedaille. Obwohl also in dieser Kunst sehr tüchtig, studierte 
und absolvierte er hierauf doch Jus. 1799 nach Island zurückgekehrt, be- 
trat er die Beamtenlaufbahn und heiratete I800o Valgeröur, die wegen ihrer 
Schönheit gerühmte Tochter des Probstes Arni Sigurösson auf Breiöaböl- 
stadur (Skögarströnd in der Snzfellsness-Sysla), eine Schwester des auch 
in der dänischen und in anderen europäischen Literaturen wohlbewanderten 
klassischen Philologen Päll Ärnason (dänisch Poul Arnesen), nachmaligen 
Rektors der gelehrten Schule zu Fredericia, von 1817 an Lehrer an der 
„Bürgertugend-Schule‘ zu Kopenhagen, der bekanntlich (1830) ein ‚„Grsk- 
dansk Ordbog‘“ zum Gebrauche für die studierende Jugend (das erste in seiner 
Art in Dänemark!) und später auch ein „Ny latinsk Ordbog‘‘ (1845—48) 
herausgegeben hat und dessen Tochter die hoch-, auch künstlerisch-gebildete 
dänische Schriftstellerin Benedikte Arnesen-Kall (1813—ı895) war. Im 
‚Jahre 1805 wurde Briem Syslumaöur der Vaöla- (d.i. Eyjafjardar-) Sysla. 
Als solcher wohnte er von 1807 bis 1815 auf dem ebenfalls im Eyjafjaröar- 
dalur aber weiter nördlich als Grund gelegenen Hofe Kjarni, dann von 1815 
an bis an sein Lebensende auf Grund, wo das junge Ehepaar schon 1800 
seinen ersten Wohnsitz aufgeschlagen hatte, den esaber 1801 wieder hatte auf- 
geben müssen. Im Jahre 1804 erhielt er den Titel eines ,‚Kammersekretärs‘, 
1816 den eines „Kammerrates“. Er war ein sehr tüchtiger und gewissen- 
hafter, vielleicht allzu bureaukratischer Beamter; ganz besonders wurde 
seine Gerechtigkeit als Richter gelobt. Als 1809 der dänische Abenteurer 
‚Jörgensen sich die Herrschaft über Island anmaßen wollte, blieb er seinem 
König treu und legte — korrekter als manche seiner Berufsgenossen — 
vorübergehend sein Amt nieder, wurde aber von dem „Hundstagekönig“ 
trotzdem sehr freundlich behandelt. Er war auch ein ausgezeichneter Mathe- 
matiker und beherrschte Deutsch in Wort und Schrift, wie seine Muttersprache!. 

Ebenezer Henderson machte bekanntlich im Jahre 1814 die „sehr inter- 
essante und wertvolle Bekanntschaft‘ mit Briem, der damals noch auf 
Kjarni wohnte, und lernte auch Frau Briem und die Familie kennen, ‚die 
alle etwas Interessantes in ihrem Äußeren hatten‘. Der-ganze Hausstand 
betrug zwanzig Personen. Henderson spricht über den Hof und den Garten, 
über einzelne Zimmer, die Übungen des häuslichen Gottesdienstes usw. 
und verweilt besonders auch bei den vortrefflichen Büchersammlungen der 


MESEENIEE SAN 21V HEEALEE AB EEBERIRRERIR SESPREAE SEE EEE EEE LEI EINE SERIEEERDEORERINEREE BE ERTENN EL NELDEESEHNRRERSEHHRHERER RER U a 
1 Vgl. Thienemann und Günther „Reise im Norden Europas, besonders in Island, in 
den Jahren 1820 und 1821", II. Abteilung, S. 122—124. 


2 


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beiden Ehegatten. Die des Sysselmannes bestand aus zwei Abteilungen, 
von denen die eine Bücher über Rechtsgelehrsamkeit, Staatswirtschaft usw., 
die andere Bücher vermischten Inhalts, aber lauter verdienstvolle und wich- 
tige Werke enthielt. Die Bibliothek der Frau Briem befand sich eine Treppe 
hoch in einem eigenen niedlichen, wohleingerichteten Zimmer und bestand 
ungefähr aus ıIoo Bänden zumeist erbaulichen Inhalts; denn Frau Briem 
war durch ihre Frömmigkeit ausgezeichnet, und außer der Sorgfalt, die sie 
auf die Führung des Haushaltes einer zahlreichen Familie verwendete, wid- 
mete sie einen ansehnlichen Teil der Zeit der Erziehung ihrer Kinder und 
der Ausbildung ihres eigenen Geistes!. Thienemann und Günther besuchten 
die Briems im Herbste 1820 auf Grund, und der Erstere berichtete über den 
damaligen Zustand des Hofes und die Herrenleute: ‚Herr Kammerrat Briem 
hat seinen Sitz zu Grund, welches im Tale fort 3 Meilen von Akureyri liegt, 
und wo Alles nach Landessitte, aber auf die beste Weise eingerichtetist. Das 
Wohnhaus ist aus dicken Rasenplatten erbaut, aber die Wände ganz glatt 
behauen. Die Wohnstube ist mit Brettern ausgeschlagen und lackiert, was 
bei der steten Feuchtigkeit gewiß am Vorteilhaftesten ist. Die Eingänge 
des Hauses sind mit sinnreichen Inschriften, die Herr Briem sehr schön in 
Holz geschnitten hat, geziert, die den ganzen Geist des Hausvaters bezeich- 
nen. Über dem einen steht deutsch: „Nicht prächtig aber zierlich, nicht 
kostbar doch manierlich“. Unweit des Hauses ist ein Gemüsegarten ange- 
bracht, welcher fleißig bearbeitet wird und Kartoffeln, Rüben, Kohl, Kresse 
und dgl. liefert. Die allgemeine Wohnstube des ganzen Hausstandes ist 
ebenfalls mit Brettern verschlagen, gedielt und mit Fenstern versehen. Noch 
ist ein besonderes Zimmer zur Bibliothek, welche sehr reichhaltig ist und 
Bücher aus allen Fächern menschlichen Wissens, besonders viele deutsche 
enthält. Der Lieblingsschriftsteller von den Deutschen war ihm nach Luther 
Gellert, und wir deshalb als Sachsen und Landsleute derselben, ihm be- 
sonders empfohlen. Die Gemahlin des Herrn Kammerrates ist eine ebenso 
treffliche Gattin und Mutter, und die Herzensgüte ein Hauptzug des leb- 
haften wirklich schönen Gesichtes, welches, obgleich sie Mutter einer zahl- 
reichen Familie ist, deren älteste Glieder schon lange erwachsen sind, doch 
noch eine jugendliche Frische erhalten hat, welche durch nichts mehr ge- 
hoben wird, als durch den Abglanz der Seelenreinheit und Frömmigkeit?. 
Gunnlaugur Briem starb im Jahre 1834. Jön Jönsson, Pastor für Grund 
und Mööruvellir, schrieb seine Biographie (,‚Agrip af Efisögu Gunnlaugs Guö- 
brandssonar Briem‘), die 1838 zu Kopenhagen imDruck erschien und auch 
eine poetische Totenklage (‚Brims minning‘‘) auf ihn von dem bekannten 


! Iceland, I. S.. 85—87; deutsche (oft recht ungeschickte) Übersetzung von Franceson, 
® & er 
S. 134—ı137. ® Thienemann und Günther, a. a. O. S. 124—125. 


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isländischen Gelehrten Finnur Magnüsson enthält, der eine Zeit lang mit 
ihm in Kopenhagen zusammengewohnt hatte!, Frau Valgeröur überlebte 
ihren Mann um viele Jahre und verblieb auch weiterhin auf Grund, wo 
sie 1872 im Alter vom 94 Jahren starb und mit ihrem Manne begraben liegt. 
„Ihr Name hatte mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch die interessan- 
teste und poetischeste Frauengestalt des Nordlandes bezeichnet,‘“ schrieb 
ihre Nichte Benedikte?. Wie angesehen und beliebt sie war, bewies u.a. 
der Umstand, daß zu ihrem Begräbnis nicht weniger als I80 Personen er- 
schienen. | 

Ein Portrait des Kammerrates (Brustbild) aus jüngeren Jahren nach einer 
Lithographie, der ein Selbstportrait in Öl zugrunde liegen soll, findet sich in 
Dr. Jön Porkelssons ‚Saga Jörundar Hundadagaköngs‘®, ein Brustbild seiner 
Frau im Alter von go Jahren und in isländischer Alltagstracht (nach einer 
Photographie Tryggvi Gunnarssons) ebenfalls in der Jörundarsaga und — 
dieser entnommen aber ohne Namen — in späteren Schriften über Island. 

Die beiden trefflichen Menschen hatten zehn Kinder, von denen aber 
drei ganz jung starben; sie wurden die Stammeltern des angesehenen Ge- 
schlechtes der Briems, das bereits eine Anzahl hervorragender Männer auf- 
zuweisen hat. Von den Söhnen haben sich Olafur Eggert, der Bau-Zimmer- 
meister wurde und auf Grund wohnhaft blieb (1859), wegen seines un- 
gewöhnlichen Talentes im Improvisieren von Versen (vgl.z.B. „Mitteilungen 
der Islandfreunde‘, 2. Jahrg., S. 37—39), Eggert Olafur, von 1848—48 eben- 
falls Syslumaöur der Eyjafjaröar sysla mit dem Wohnsitz auf Espihöll als 
ı Vgl. über Gunnlaugur Briem auch Bogi Benediktssons ‚„Syslumannazfir“, I., S. 286 
bis 290 u. ö., dann Jön Porkelssons „Saga Jörundar Hundadagaköngs““, S. 61—64 u. ö,, 
Espolins „’Arbakur’Islands“. X.a.v.O. ?Benedikte, Smaaskizzerfraen Islandsreise Som- 
meren 1867‘, I., S.252; vgl. auch das daselbst (S. 250—253) über Frau Valgeröur als 87- 
jährige Greisin Gesagte und ein Gedicht auf sie von Benedikte. Diese war, wie sie mir 
1895 schrieb, im Jahre 1875 nochmals auf Island, hat darüber jedoch.nichts veröffentlicht. 
® Ein Portrait ‚Gunnlaugur Briem, Islandais de Reykjavik‘ mit der Signatur: Maurer 
d’apres Durupt befindet sich auch im ‚‚Atlas zoologique medical et g&ographique‘‘ (De 
l’homme, Pl. 2) zu Gaimards ‚Voyage en Islande et en Groenland, ex&cut& pendant les 
annees 1835—1836°. An diesem sehr hübschen Bilde ist die feine künstlerische Aus- 
führung, das noch sehr jugendliche und elegante Aussehen Briems sowie die Bezeich- 
nung „lIslandais de Reykjavik“ auffallend. Briem hielt sich nur um 1802— 1803, also 
schon als Dreißiger, längere Zeit in Reykjavik auf, während Gaimard erst 1835 und 
1836 dahinkam. Nach einer Mitteilung des Bibliothekars Halldör Briem in Reyk- 
javfk soll dieses Portrait von Gunnlaugurs zweitgeborenem Sohne Kristjän Gunnlaug- 
ur (so und nicht Kr. Jöhann, wie er in Syslumannazfir a. a.O. genannt ist, hieß 
er) herstammen, der 1802 geboren wurde, das Tischlerhandwerk erlernte, sich eine 
Zeitlang in Kopenhagen und Deutschland aufhielt und dann dauernd in Paris nieder- 
ließ (f um 1840). Die Zeichnung (Skizze?) Kristjäns war dann wohl Durupt in 
die Hände gekommen, von diesem verbessert und von Maurer weiter ausgeführt, ver- 


jüngt und überhaupt idealisiert worden, wie esja bekanntlich bei den meisten Bildern 
des Gaimardschen Reisewerkes der Fall war. 


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verdienstvoller Beamter (}1894) und Jöhann Kristjän (} 1894) als besonders 
tüchtiger Geistlicher (‚die Stütze und Zierde seines Sprengels und Ehre 
der isländischen Kirche‘) hervorgetan. Von den Enkeln sind zu nennen: 
die Brüder Valdimar [Olafsson] Briem (geb. 1848), Weihbischof und be- 
kannter Dichter geistlicherLieder, Eggert Ollafsson] „Brim‘, gleichfalls ein 
tüchtiger Geistlicher und Schriftsteller (Verfasser des geschichtlichen Dramas 
„Gizurr Thorvaldsson‘), f 1893; dann die Brüder Professor Eirikur [Egg- 
ertsson] Briem, geb. 1848, ehem. Dozent an der theologischen Schule, nam- 
hafter Politiker, Inspektor der Nationalbank; Schriftsteller, und Halldör 
[Eggertsson] Briem, geb. 1852, gleichfalls Theologe, 1876 nach Amerika 
ausgewandert, wo er die erste isländische Zeitung herausgab, jetzt Beamter 
der Landesbibliothek zu Reykjavik und vielseitiger Schriftsteller, Pal Jakob 
[Eggertsson] Briem, geb. 1856, f 1904, der letzte Amtmann für das Nord- 
und Ostamt Islands, von 1897—ıgor Herausgeber der juristischen Zeit- 
schrift „Lögfreding“, Sigurdur (Eggertsson) Briem, geb. 1860, Postmeister 
von Reykjavik und Oberpostmeister von Island, und Eggert Ölafur [Eggert- 
son] Briem, geb. 1867, früher Departementchef im isl. Ministerium, jetzt 
Oberrichter beim isländischen Oberlandesgerichte — um nur der bekannte- 
sten zu gedenken. — Die zweite Tochter von Gunnlaugur und Valgeröur 
Briem, Jöhanna Kristiana, wurde die Großmutter des ersten isländischen 
Ministers für Island und hervorragenden Dichters Hannes Hafstein. — 


Kristiane Johanna (Kristiana Jöhanna), über die ich hier nun einiges mit- 
teilen will, wurde am 20. Jänner 1805 als die erste Tochter des Ehepaares 
geboren, jedoch wohl nicht auf dem altberühmten Hofe Grund, nach dem sie 
später benannt wurde (,, Johanna von Grund‘), sondern auf Ärnarbeli ä Fells- 
strönd in der Dalasysla im Westlande, wo ihrVater, damals Matrikel-Kommis- 
sär, seine Familie von 1804—1807 untergebracht hatte!. Sie erhielt natürlich 
eine gute Erziehung, lernte auch schon Dänisch und dgl. „Als ızjähriges Kind 
nahm ihr Vater sie nach Kopenhagen mit. Während eines mehrmonatigen 
Aufenthaltes hier sog sie, uns jetzt wo die Kommunikationen sind, beinahe 
unfaßliche Vorstellungen vom .Leben in der dänischen Hauptstadt ein, die 
sich für sie als eine Stadt aus lauter Palästen zeigte. Das hübsche isländische 
Kind in der hübschen isländischen Tracht wurde natürlich in dem Um- 
gangskreise des Vaters vergöttert und zu allem geführt, was das damalige 
Kopenhagen an Vergnügungen bieten konnte; es sah den König Friedrich IV. 
in vergoldeter Kutsche mit Läufern und Fackeln vor dem Wagen fahren 
und glaubte fest und steif, daß die Musik, die sie während dieses Aufzuges 


ee SE BERGE DREH PESEREBEEFOER. SRENEEEHEERGEERRDENGE SrEL SE VE EEEEENENEEREREREHEIEEEPRHEREERHRELECER SER ESSENER 
' J6n Jönsson, Agrip af Aifisögu Gunnlaugs Guöbrandssonar Briem, S. 5. — Icher- 
wähne dies besonders, weil selbst Prof. Dr. Harald Schütz, ein Sohn Christianes 
mir geschrieben hat, daß seine Mutter „zu Grund‘ geboren worden sei, 


hörte, von diesen Fackeln kam: kurz und gut, sie faßte alles, was sie sah und 
hörte, vom Standpunkt eines Naturkindes auf und kam infolgedessen in 
ihre Heimat nach Grund zurück mit dem Kopfe voll von einer Welt, die in 
direktem Gegensatz stand zu dem stillen Leben, in dem sie wie andere is- 
ländische Beamtentöchter jener Zeit im Sommer die Schafe hüten, im Win- 
ter die Wolle zupfen und auf die Saga-Vorlesung hören sollte. In den folgen- 
den Jahren entwickelte sich bei dem einst in der Heimat so glücklichen 
Kind ein brennendes Verlangen, wieder in die Stadt mit den großen Palästen 
und den vielen Herrlichkeiten zu kommen‘!. Da dieses Verlangen in ihrem 
18. Jahre einen krankhaften Charakter anzunehmen begann, leitete ihr Vater 
Verhandlungen mit seinem Freund und Vetter, dem Universitätsprofessor 
Börge Thorlacius ein, daß Christiane etwa ein Jahr lang in seinem Hause 
sein dürfe, was gern zugestanden wurde. So kam sie denn (1823) abermals 
nach Kopenhagen und wurde hier zuerst von der Familie ihres Onkels Poul 
Arnesen in Empfang genommen. 

Ihre um neun Jahre jüngere Kousine Benedikte (s. oben) schildert den 
Eindruck, den sie von der Erscheinung und dem ersten Auftreten der damals 
ı8jährigen Isländerin in Kopenhagen erhielt, wie folgt: „So kam also Jo- 
hanna? zu uns. Auf diese Weise erhielten ihre zukünftigen Pflegeeltern 
Gelegenheit, das schöne Naturkind zu sehen und sich für dasselbe einnehmen 
zu lassen, während meine Mutter Zeit bekam, ihre Tracht zu kopenhageni- 
sieren und ihre etwas harte Aussprache des Dänischen zu verbessern. Das 
ging sicher alles sehr schnell und das war wohl auch notwendig. Aber ich 
erinnere mich noch deutlich daran, daß ich mich in meinem stillen Sinn 
über jede Veränderung, die mit der herrlichen Gestalt vorgenommen wurde, 
tief betrübte, und bis auf den heutigen Tag macht es mir ein Vergnügen, 
mich daran zu erinnern, wie sie direkt vom Schiffe kam — in ihrer isländischen 
Tracht mit der dicht anliegenden schwarzen Tuchjacke und dem schwarzen 
Filzhütchen, unter dem die reichste und herrlichste goldbraune Haarfülle 
wogte, wie ich sie niemals sonst weder auf Gemälden noch auf lebenden 
Menschen gesehen habe. Und dazu strahlte ein Paar große, dunkelblaue, 
unergründliche Augen, die derjenige, der einmal seinen Blick in sie gesenkt 
1 So Benedikte Arnesen-Kall, Livserindringer, 5. 4546. Benedikte umgab ihre 
isländische Kousine vom ersten Tag ihres zweiten Aufenthaltes in Kopenhagen an, so- 
lange dieselbe dort weilte, und war somit auf das Genaueste über ihre Verhältnisse unter- 
richtet. Christianes Tochter, Frl. Emma Schütz, schrieb mir abweichend von diesem Be- 
richte: „Meine Mutter kam schon als ıo jähriges Kind nach Kopenhagen in eine befreun- 
dete Familie, da sie das Klima in Island nicht vertragen konnte. — Nach einigen Jahren 
versuchte man noch einmal, sie wieder in Island zu akklimatisieren; doch glückte es nicht. 
Nun kam sie in das Haus des Etatsrates Thorlacius und seiner Frau.‘ ? So wurde 


sie immer von B, Arnesen-Kall und dann später von ihrem Manne genannt. Johanna 
Christiana hieß vielmehr ihre Schwester (s. oben). 


6 


hatte, kaum jemals vergessen konnte.‘ (Livserindringer 1814—ı857, S. 
46—47). 

Nach kurzer Zeit schon hatte Christiane den nötigen Schliff erhalten, 
um in das Haus Thorlacius eintreten zu können. Es war dies ein vor- 
nehmes Professoren-Heim mit feinen Möbeln und allerlei Komfort; man 
hielt sogar nach gutem alten Professoren-Brauch aus Holbergs Zeit Pferd 
und Wagen. Der damals 48 Jahre alte Hausherr, Etatsrat Börge Risbrigh 
Thorlacius, Ritter des Dannebrog, Sohn des auf dem Hofe Teigur auf Island 
geborenen Professors und Rektors an der Metropolitanschule zu Kopen- 
hagen Sküli Thorlacius (f 1815) und selbst noch auf Island begütert, war 
in seiner Stellung hochangesehen, dabei aber ein so gelungenes Original eines 
Gelehrten, daß man sich ihn ein wenig näher besehen muß. Als Professor 
der lateinischen Sprache an der Universität bestallt, hielt er eine Zeitlang 
auch theologische Vorlesungen und beschäftigte sich mit altnordischer 
Literatur. Obwohl er kein bedeutendes wissenschaftliches Werk, sondern 
nur Programm-Abhandlungen geliefert hatte, mehr Sammler, Bearbeiter 
und Mitteiler und auch weder besonders scharfsinnig oder genial war, stand 
er wegen seiner Gelehrsamkeit doch in großem Rufe. Er war ein zier- 
liches Männchen, sehr korrekt und auch streng, weil er selbst sehr streng 
erzogen worden war. Erzählte er doch selbst z. B. seinen Studenten mit 
Vorliebe, daß er noch als Lateinlehrer mit 25 Jahren an der Metropolitan- 
schule von seinem Vater, dem Rektor, vor allen Schülern eine Ohrfeige er- 
halten habe, weil er sich die sträfliche Bequemlichkeit zu schulden kommen 
ließ, den Schülern eine Aufgabe zu diktieren, die er einst selbst auszuarbeiten 
hatte! Er war auch schon frühzeitig ein recht zerstreuter Herr. An seinem 
Hochzeitstag arbeitete er in der elterlichen Wohnung gerade an einer ge- 
lehrten Abhandlung und war in diese so vertieft, daß er vom Schreibtisch 
weg zur Trauung geholt werden mußte, und nach dieser vergaß er wieder, 
daß er nun verheiratet sei, und eilte vom Hochzeitsmahle weg in die elter- 
liche Wohnung zurück und schrieb an seiner Abhandlung weiter, bis er 
spät in der Nacht von einem Bruder seiner Frau aufgesucht und in die eigene 
Wohnung des jungen Ehepaares geführt wurde!. Die Ehe war aber doch 
ganz glücklich, wie man wohl auch daraus ersehen kann, daß der Professor 
jedes Jahr am Gedenktage seiner Verlobung seiner Frau neuerdings einen 
goldenen Verlobungsring ‚verehrte, so daß diese bis zu ihrem Lebensende 
nicht weniger als 27 solcher Ringe erhielt. Die Frau Etatsrat, eine geborene 
Kall, war im Gegensatz zu ihrem Herrn Gemahl eine stattliche Erschei- 
1 Vgl. Benedicte Arnesen-Kall, Livserindringer, S. 5258, wo auch die köstliche Ge- 
schichte erzählt wird, wie Thorlacius um seine Frau geworben hat oder vielmehr den 
Vater für ihn wwrber le, OO. 2 Ä 


7 


nung, höchst intelligent, geistvoll, dabei auch sehr hübsch und eine umsich- 
tige Hausfrau. Das Ehepaar blieb kinderlos, und die Frau hielt sich daher 
eine Gesellschafterin. Diesen Posten sollte nun das isländische Naturkind 
einnehmen, das allerdings nicht nur bildschön, sondern auch klug, fein ge- 
gebildet und poetisch veranlagt, überhaupt ein interessantes Wesen war. 
Christiane fügte sich denn auch bald ganz gut in dieses gelehrte Heim, in 
dem zumeist nur Professoren und Studenten verkehrten. Jeden Donners- 
tag gab es einen Studenten-Abend, der aber ziemlich gedämpft bei Gnau- 
spiel (dem der Herr Etatsrat selbst präsidierte), Smörrebröd, Thee, Punsch 
und väterlich-professoralen Ermahnungen und Gesprächen verlief. Auch 
Christiane mußte an diesen Abenden teilnehmen. Sie konnte jedoch an Un- 
terhaltungen solcher Art keinen Geschmack finden und hat sich auch den 
jungen Leuten gegenüber kühl verhalten, wie denn überhaupt ihr eigenarti- 
ges Wesen ‚zunächst weniger anziehend als Scheu erweckend gewirkt zu 
haben scheint. „Man sah auf sie und bewunderte sie wie ein schönes Ge- 
mälde. Aber weiter kam man nicht. Sie erschien für Fremde unzugänglich, - 
was vielleicht darin lag, daß sie, die höchst poetische Tochter des Nord- 
landes, damals mit den leichteren Konversationsgegenständen, welche die 
Mode jener Zeit zum Unterhaltungsstoff für die jungen Leute machte, noch 
gar nicht vertraut war, ja ich kann wohl sagen, sie überhaupt nicht ver- 
stand. Wenn sie nur dem Gnauspiel, das sie gräulich langweilte, entwischen 
konnte, setzte sie sich in der Regel abseits mit der kleinen Kousine und las 
mit ihr irgend ein sentimentales Buch“, erzählt uns eben diese ihre Kousine 
 Benedikte!. 

Pflegeeltern und Tochter gewannen einander bald so lieb, daß Christiane 
auch nach Ablauf des ursprünglich für ihren Kopenhagener Aufenthalt 
in Aussicht genommenen Jahres in ihrer Stellung verblieb. Diese unschein- 
bare Fügung des Schicksals war für sie jedoch von der größten Bedeutung. 
Sie sollte ihr Heimatsland nie wiedersehen. Aber der schönen und klugen, 
jedoch bescheidenen und anspruchslosen Islandstochter wurde nun bald 
' ein wunderbares großes Erlebnis zuteil, das wohl nur ganz wenigen ihrer 
Landsmänninnen vor und nach ihr beschieden war und auch ihren 
weiteren Lebenslauf bestimmen sollte. Sie durfte nämlich an einer 
großen, auf zwei Jahre berechneten Reise teilnehmen, die Thorlacius mit 
seiner Frau 1826 zum Studium der Altertümer aus der klassischen Zeit 
nach Italien unternahm. Man reiste (in wohlausgestatteter eigener Equipage 
und mit einem Diener) über Berlin, Halle a. d. Saale, Dresden, Prag, Wien, 
‚Salzburg, München, Venedig, Bologna, Florenz nach Rom, Neapel und 
Sizilien und von da über Paris, Bern, Bonn, Hannover zurück nach Kopen- 
ivsenndrnger, 5 


8 


hagen, wo man im Herbste 1828 eintraf. Es würde hier zu weit und auch 
von meinem Gegenstande zu sehr abführen, wollte ich diese ganze 
Reise mit ihren längeren Unterbrechungen in verschiedenen Städten, wo 
Thorlacius Beziehungen hatte, ausführlicher besprechen. Ich möchte im Be- 
sonderen nur des Aufenthaltes der Reisenden in Halle a.S., Wien und Rom, 
und zwar auch nur insoweit gedenken, als Christiane dabei in Betracht 
kommt. 

In Halle hatte Christiane gleich ihr wichtigstes, ja fürihr Leben entschei- 
dendes Reiseerlebnis Sie lernte hier bei einer Gesellschaft, die der Rektor 
der dortigen Universität, Hofrat Schütz, Thorlacius zuEhren veranstaltete, 
dessen Neffen Karl Wilhelm Schütz, damals noch Universitätsstudent, 
kennen. Obgleich sich die beiden nur mittels einiger französischer Brocken 
miteinander unterhalten konnten, verliebte sich der junge Mann doch gründ- 
lich in die schöne Isländerin, und auch diese fand an ihm Gefallen. Er bekam 
die Erlaubnis, in einen Briefwechsel mit ihr zu treten und machte davon 
auch ausgiebigsten Gebrauch. 

In Wien weilte die Reisegesellschaft, wie ich aus der amtl. W. Zei- 
tung feststellen konnte, vom 20. Juli bis 13. August und wohnte in dem 
heute noch bestehenden ‚‚Hotel Erzherzog Karl‘, einem uralten Gasthof und 
Wirtshause. Sie lernte.hier u. a. Grillparzers Neffen Joseph v. Sonnleithner, 
den dort sehr bekannten Gründer der Gesellschaft der Musikfreunde und des 
Konservatoriums in Wien, kennen, der mit einer Dänin verheiratet war, und 
dessen Hausdaher gern von Dänen (z.B.auchH. Chr. Andersen) besucht wurde. 
Sie sollte aber auch mit Grillparzer selbst Bekanntschaft machen. Sonn- 
leithner sandte nämlich dem Onkel ein (vom 26. Juli 1826 datiertes) Billet, 
auf dem. es u.a. hieß: „Ich lade Dich nun für künftigen Donnerstag, an 
welchem Tage der dänische Professor der klassischen Literatur und Alter- 
tumskunde, der sehr gelehrte Isländer Thorlacius, bey mir speist. Du wirst 
auch eine nette junge Isländerin finden‘. Ob die Gesellschaft den Dichter 
auch wirklich kennen gelernt hat? Alle meine Nachforschungen blieben 
ergebnislos; es war keine Aufzeichnung hierüber zu erspüren. Prof. Thor- 
lacius, der es ja gewohnt war, auf seiner Reise von den berühmtesten Ge- 
lehrten und Dichtern umschmeichelt zu werden, schrieb noch am 13. August 
von Wien aus Karl W. Schütz über seinen Aufenthalt in der Kaiserstadt nur, 
er habe hier wie überall liebenswürdige und gelehrte Männer gefunden, die 
seine Kenntnisse bereicherten und seinem Herzen teuer seien?, Und Christiane 


I Vgl. Grillparzers Werke, herausgegeb. vom Prof. Aug. Sauer, III. Abt., ı. Bd., S. 334, 
No. 285. Vom Herausgeber befragt, wer wohl diese „nette junge Isländerin‘' gewesen 
sein möge, konnte ich sogleich einwandfrei feststellen, daß dies Frl. Christiane Briem 
war; vgl. meine Mitteilung ebenda S. 437. ? Briefl. Mitteilung von Prof. Dr. Ha- 
rald Schütz. 


9 


selbst berichtete über die Reise von Dresden bis nach Rom erst am 21. Jänner 
1827 nach dreimonatigem Aufenthalte in dieser Stadt in einem Briefe!, 
daß die Reisegesellschaft in Wien sich einen Monat lang aufgehalten habe, 
äußerte sich jedoch über die Stadt nur ganz kurz mit den Worten: „Wii 
sahen in der Kaiserstadt Vieles und Bedeutendes, aber leider erlaubt es mir 
die Zeit jetzt nicht, darüber zu berichten. Freundschaft und Wohlwollen 
wurde uns dort von Vielen bewiesen; ich gewann dort vier Freundinnen“. 
Ob also Christiane Grillparzer wirklich gesehen hat, ist nicht bekannt, aber 
doch wohl wahrscheinlich. Auch ‚schwebte es‘ ihrem Sohne, Prof. Dr. 
Harald Schütz, ‚so vor, als ob seine Mutter gelegentlich in anerkennendei 
Weise von Grillparzer gesprochen habe.‘ 

In Rom verkehrte Thorlacius mit seinen Damen viel bei Thorvaldsen. 
Als Christiane das erste Mal das Atelier des Künstlers betrat, begrüßte dieser 
sie als die „schöne Isländerin‘, eine Bezeichnung, die ihr von da an blieb. 
Der Meister hätte auch gern etwas von ihrer Schönheit nachgebildet, aber sie 
schlug ihm die Bitte ab. Über die Besuche bei Thorvaldsen schrieb sie selbst 
in dem oben erwähnten Briefe an ihre Eitern: ‚Ich bin im Hause des Etats- 
rates Thorvaldsen gewesen und habe dort Verschiedenes von seinen Kunst- 
werken gesehen, darunter die Statue des Erlösers. Es ist dem Meister meiner 
Meinung nach so wunderbar gelungen, das Antlitz den inneren Menschen 
des Erlösers zum Ausdruck bringen zu lassen, daß es alle meine Einbildung 
weitaus übertraf. Diese Statue soll auf dem Altar in der neuerbauten Kirche 
in Kopenhagen stehen. Ein anderes Kunstwerk ist der Taufstein, den Th. 
Island zu schenken gedenkt; er wird ihn im Sommer der Domkirche in Reykja- 
vik senden. Mit anderen Dänen, die hier sind, waren auch wir in der Weih- 
nachtsnacht bei Th.; es war sehr lustig; die Gäste unterhielten sich’ mit 
schönen Gesängen und reizender Musik. Oft flog an diesem Abend mein 
Geist heim zu Euch, liebe Eltern und Geschwister.‘ Hier lernte sie den 
norwegischen Dichter J. C. Hauch kennen, der dann in seinen ‚„Minder fra 
min förste Udenlandsreise‘‘ (Kopenhagen 1871, S. 290), von ihr schrieb, sie 
sei „eine ungewöhnlich schöne Isländerin‘ gewesen. Ein dänischer Schrift- 
steller aus dem damaligen Kreise Thorvaldsens, N. C. L. Abrahams, be- 
schreibt in „‚Meddelelser af mit Liv (Kopenhagen 1876, S. 320)‘ ein Gastmahl 
bei dem Künstler in Rom, an dem außer ihm und anderen Gästen (unter 
denen sich Prinz Napoleon, der spätere Kaiser, befand) auch Thorlacius mit 
Frau und Pflegetochter teilnahm, und gedenkt dabei im Besonderen der 
„jungen, schönen, isländischen Dame, Fräulein Briem‘, die „durch ihr echt 
nordisches Aussehen, ihr reiches blondes Haar und ihre klaren blauen Augen 
die Aufmerksamkeit der Italiener erweckte‘‘; auch berichtet er: ‚Einmal 


1 Isländisch mitgeteilt in Sunnan-Pö6sturinn. 1838, S. 133—139. 
10 


blieb auf der Straße ein Weib aus dem Volke erstaunt vor ihr stehen und 
rief aus: Ma, che bella ragazza! —‘‘ Man sagte in Rom auch, ‚ihr schönes, . 
Gesicht habe im Winter 1826/1827 über die ewige Stadt gestrahlt‘, und 
Künstler aus dem Thorvaldsenschen Kreise, die sie damals in Rom gesehen 
"hatten, schwärmten noch in ihren alten Tagen von ‚der schönen Isländerin 
in Rom‘\, In Rom lernte sie auch Mezzofanti kennen, der seinen Platz 
immer an der Seite der Ausländerinnen erhielt. Mit Christiane konnte er 
jedoch nicht in ihrer Muttersprache sprechen; er verstand nicht Isländisch 
und war darüber nicht wenig betroffen, konnte sich aber mit der schönen 
Isländerin in dänischer Sprache unterhalten?. 

Die Reisegesellschaft kam, wie schon erwähnt, im Herbste 1828 nach 
Kopenhagen zurück. Auf der Heimreise war sienochmals mit Karl W. Schütz 
zusammengetroffen. Christiane scheint auch selbst eine tiefere Neigung 
zu ihm gefaßt zu haben; denn sie hatte mehrere glänzende Heiratsanträge, die 
ihr auf der Reise gemacht wurden, mit dem Bemerken zurückgewiesen, sie 
habe schon einem jungen Deutschen Hoffnungen gemacht. Schütz hatte 
ihr die schwärmerischesten Briefe geschrieben und inzwischen ihr zuliebe 
Dänisch, vielleicht auch etwas Isländisch, Christiane aber Deutsch und zwar 
ohne Lehrer, nur durch Bücher gelernt. Sie konnten einander nun leichter 
mündlich verständigen, und das Wiedersehen hatte zur Folge, daß sie sich 
— „bei einem starken Gewitter‘‘ — verlobten. Die weitere Folge war, daß 
Schütz, nun schon angehender Mittelschullehrer, eingeladen wurde, auf 
einige Zeit nach Kopenhagen zu kommen, um seine fast allzu ätherisch An- 
gebetete doch etwas näher persönlich kennen zu lernen. Er tat dies unter 
dem Vorwande, nordische Sprachstudien betreiben und bei Rask Sanskrit 
hören zu wollen. Thorlacius schätzte den jungen Gelehrten, der auch ein 
Meister des Klavierspieles war, bald überaus hoch. Dieser kam dort auch 
in Verkehr mit anderen bedeutenden und berühmten Männern, wie z. B. 
mit Oehlenschläger, dem er täglich bei der Herausgabe seiner Werke in 
deutscher Sprache Hilfe leistete. (Nebenbei bemerkt, äußerte Schütz sich 
später, Oehlenschläger sei sehr „zähe‘“ gewesen und hätte nur ungern ein 
Wort geändert, wenn es galt, einen besseren deutschen Ausdruck zu wählen.) 
Bald wurde die Verlobung bekannt gemacht, und die Hochzeit sollte im 
Frühjahr 1830 stattfinden. | 

Im Mai 1829 kehrte Schütz nach Deutschland zurück, da er in Bremen 
eine Anstellung als Lehrer erhalten hatte, die es ihm ermöglichte, sich 
einen eigenen Hausstand zu gründen. Anfangs Oktober starb jedoch 
Professor Thorlacius, und dieser Todesfall sowie andere Umstände be- 


! Benedikte Arnesen-Kall, Johanna Christiane Schütz födt Briem. Islsanderinde. (Ko- 
penhagen 1886), S, 6 und 12. ? Briefliche Mitteilung von Emma Schütz. 


11 


wirkten, daß die Hochzeit erst am 24. Mai 1831 stattfinden konnte. Als 
‘Christiane ihren Karl heiratete, war dieser bereits eine berühmte Persönlich- 
keit, denn er wurde gerade in diesem Jahre wegen seiner hervorragenden 
Kenntnisse in Sanskrit von der Universität Jena zum Ehrendoktor der 
Philosophie ernannt — mit 26 Jahren. Das junge Ehepaar lebte zuerst in 
Bremen, dann in Bielefeld in Westfalen, wo Schütz als Gymnasiallehrer 
dauernd seßhaft blieb. Hier nun, in der kleineren Handels- und In- 
dustriestadt, bildeten die Beiden bald den Mittelpunkt des Interesses für 
die gebildeten Kreise: er wegen seiner großen Gelehrsamkeit und Beherr- 
schung auch der modernen Sprachen, die er u. a. durch Herausgabe eng- 
lischer, französischer und spanischer Schriftsteller bekundete, sie, die bald 
auch hier allgemein ‚die schöne Isländerin‘ genannt wurde und die einzige 
Isländerin in Deutschland war, nicht nur durch ihre Schönheit allein, son- 
dern nicht minder durch ihre feine Bildung; denn sie sprach und schrieb sehr 
gut Deutsch, hatte einen ausgeprägten Sinn für Poesie, machte selbst Verse, 
auch in deutscher Sprache, und liebte nach isländisch-heimischer Art das 
Schachspiel; dabei war sie trotz ihres aparten Wesens doch eine vortreffliche 
Mutter und Hausfrau. Benedikte Arnesen-Kall, die das Ehepaar in Bielefeld 
wiederholt besucht hatte, schrieb: ‚Dr. Karl Schütz war und blieb eine ziemlich 
lange Reihe von Jahren hindurch die populärste und beliebteste Persönlich- 
keit der Stadt. Die Schönheit und das fremdartige Gepräge, das über seiner 
aus Island gekommenen und doch so weit im Süden gereisten Frau ruhte, 
sein großes musikalisches Talent, seine allseitige Bildung und seine weitaus- 
gedehnten literarischen Verbindungen, vor allem jedoch die mehr oder we- 
niger bekannten und wohl ziemlich stark travestierten Geschichten von 
einem großen Kampfe der Liebe und der Ausdauer, den er zu. bestehen ge- 
habt habe, um diese Frau zu gewinnen: alles zusammen hatte dieses Ehe- 
paar in einen gewissen poetischen Nimbus gehüllt, der es außerhalb der ge- 
sellschaftlichen Rücksichten setzte. Man war nur immer froh, wenn man es 
irgendwo mithaben konnte, was für Johanna nicht immer ganz leicht war, 
teils weil sie ihre Mutterpflichten bis aufs äußerste erfüllte, teils wohl auch 
weil sie eine zu idealistisch angelegte und zu ungewöhnliche Natur war, um 
irgendwie in dem Gesellschaftsleben aufgehen zu können, das ihre Gegen- 
wart wohl schmückte, in dem sie aber trotz aller ihr bezeigten Aufmerk- 
samkeit und Huldigung, doch eine fremde Figur war und blieb, ein Noli me 
tangere, dessen Interessen nicht auf diesem Gebiete lagen. Ob sie von der 
‚Kritik der deutschen Hausmütter ganz verschont blieb, will ich ungesagt 
sein lassen; aber gewiß ist, daß sie, obgleich sehr beliebt und respektiert, 
doch niemals in dem Grade populär wurde, wie ihr Gemahl.““ Das Paar 
lebte in der harmonischesten, glücklichsten Ehe, und.Dr. Schütz „blieb sein 


% 


12 


Leben lang der ritterliche Anbeter seiner Frau“. „Die poetisch veranlagte 
und just nicht zu einer deutschen Hausmutter erzogene Nordlandsgestalt ! 
Sie konnte sich das Glück für das Weib buchstäblich nicht anders denken, 
als in der Ehe. . Die brennende Liebe der Verlobungszeit ist bei diesem 
Ehepaare nie erloschen.“ 

Die Familie Schütz wurde von dem schweren Unglück betroffen, daß 
der Vater mit 54 Jahren erblindete, was wohl für den an unermüdliches 
literarisches Schaffen gewohnten Mann selbst das Allerschlimmste war. 
Seine Frau widmete sich ihm nunmehr mit aller Aufopferung einer liebenden 
Seele, führte den Blinden spazieren und war durch ihre hohe Bildung 
befähigt, ihm auch in mehreren Sprachen vorzulesen. Das Ehepaar erlebte 
die goldene Hochzeit, die Benedikte, die treue Freundin, in einem gedruckten 
Zyklus von zwölf Gedichten mit demTitel: „Johanna, et Livsbillede, tilegnet 
Fru Johanna Schütz, födt Briem, paa hendes Guldbryllupsdag den 24. Maj 
1881“ (Kopenhagen 1881) feierte. Christiane starb am 15. April 1886 in 
Bielefeld an einem Schlaganfall, ohne eigentlich jemals krank gewesen zu 
sein. Sie wurde von allen, die sie kannten, sehr betrauert. Ihre Kousine 
widmete ihr nun als ‚einer der schönsten und edelsten Frauen Islands‘‘ eine 
eigene Gedenkschrift (eine „ütfararminning‘‘, wie es dielsländer nennen), 
betitelt: ‚Johanna Christiane Schütz fodt Briem. Islanderinde“. (Kopen- 
hagen 1886), in der sie u. a. schrieb: „Der Hauptzug in ihrem Wesen war 
ihre innige, unverbrüchliche Liebe zu ihrer Heimatsinsel, deren Sprache sie 
während einer zweiundsechzigjährigen Abwesenheit von ihr nie zu sprechen 
und zu schreiben aufgehört hatte. Sie behielt auch ihr Leben lang ihre Schön- 
heit und dank einer ausgezeichneten Gesundheit ihr schönes kraftvolles 
Äußere mit der reichen Fülle des Haares und den herrlichen dunkelblauen 
Augen —.“ Christianens Tochter, Frl. Emma Schütz (geb. 1839), schrieb 
mir über die Schönheit ihrer Mutter in den späteren Jahren: „Sie hatte 
sehr schönes, reiches, lockiges braunes Haar, regelmäßige schöne Züge und 
liebevolle, ausdrucksvolle, blaue Augen. Auch hatte sie schöngeformte kleine 
Hände und Füße. Noch im Alter krauste sich ihr Haar zu Locken.‘ Als sie 
auf der Reise mit Thorlacius in Paris weilte, wurde dort wegen ihrer Schön- 
heit ein Miniaturbild von ihr gemalt. 

Dr. Karl Schütz starb am 14. September 1892. Der bekannte Sanskritist 
Pischel schrieb in einem ihm gewidmeten Nachruf im „Zentralblatt für Biblio- 
thekswesen‘‘, 1893, u. a.: „Er war der letzte Vertreter einer Generation, die 
das Studium des Sanskrit in Deutschland begründete, dem für alle Zeit ein 
ehrenvoller Platz in der Geschichte der Sanskritphilologie bleibt.‘“ In den 
weitesten Kreisen der Gebildeten in Deutschland und Deutsch-Österreich ist 
Karl Schütz jedoch als Herausgeber der billigen Sammlung französischer. 


13 


Theaterstücke unter dem Titel: ‚„Theätre frangais publie par C. Schütz“, 
(Bielefeld, Velhagen & Klasing) bekannt geworden, die 1840 zu erscheinen 
begonnen hatte, später zwar als solche eingegangen ist, aber den Grund zu 
der neuen, noch jetzt sehr fleißig gebrauchten Sammlung gleichen Namens 
gelegt und mit dem ‚‚Musee frangais‘‘ und anderen Ausgaben des Dr. Schütz 
zuerst den Ruf der Firma Velhagen & Klasing begründet hat. 

Von den acht Kindern dieses denkwürdigen Ehepaares lebt nur noch 
eines, nämlich Frl. Emma Schütz, jetzt im Bückeburger Altersheim, die ein 
Dutzend Sprachen, unter diesen auch Isländisch, vollständig beherrscht und 
gleich ihrem Vater eine ausgezeichnete Klavierspielerin ist. Ein Sohn, der 
obenerwähnte Prof. Dr. Harald Schütz, war Lehrer der Mathematik und 
Physik, zuletzt in Frankfurt a.M., und starb am 17. Dezember 1915. Ein 
Enkel (Sohn Haralds) ist Dr. Ludwig Schütz, der bekannte ‚moderne Mezzo- 
fanti“, der bei 200 Sprachen verstehen soll, früher wie sein Vater und ein 
jüngerer Bruder (Ernst Harald, Oberlehrer an der Seefahrtschule in Bremen) 
Mathematiker war, sich seit mehreren Jahren aber ausschließlich mit Sprach- 
studien beschäftigt und mehrere Werke herausgegeben hat!. (Vgl. auch die 
Beilage zur Schaumburg-Lippeschen ‚Landeszeitung‘ vom 15. April 1814.) 


II. „ALLGEMEINE PFLICHTARBEIT“ (DEGNSKYLDU- 
VINNA) AUF ISLAND 


I. Einleitung 
on den großen und kleinen politischen Fragen, die das tägliche Brot der 
Isländer sind, werden die Gedanken zurzeit etwas abgelenkt durch 
einen Stoff, der die Allgemeinheit stark in Anspruch nimmt und in allen 
Zeitungen Niederschlag und Widerhall findet. 

Es handelt sich darum, ob die sog. Pegnskylduvinna, d. h. „allgemeine 
Pflichtarbeit‘“ gesetzlich eingeführt werden soll oder nicht. Zum Verständ- 
nis der Sache ist es am besten, ihre Entwicklung kurz vorzuführen. 

Dem Althing des Jahres 1903 legte der auf Island allgemein bekannte 
Landwirtschaftler Hermann Jönasson eine Anregung (ullag, nicht etwa Ge- 
setzesantrag, frumvarp) vor, folgender Art?: 

1 Vgl. „Welt-Warte‘‘ (Wiesbaden, IX (1913) No. 7 und „Lögrjetta‘ (Reykjavik), IX 
(1914) No. 59, wo aber irrig berichtet wird, daß „Karl Schütz 1884 und Frau Christiane 
Johanna nicht viel später gestorben‘ seien; auch wird hier der dänische Literat Abra- 
hams unrichtig ‚„Abrahamsen‘‘ genannt. ? Die Ziele Hermann ]6nassons berühren 
sich nahe mit den von dem amerikanischen Psychologen James unter dem Titel: 
„Moralequivalent of war“ angeregten Gedanken, doch habe ich den Eindruck, als habe 


H. J. dessen Ausführungen erst kennen gelernt, als seine eigenen Anschauungen sich 
bereits selbständig gebildet hatten. 


414 


Das Althing beschließt, die Landesregierung zu veranlassen, dem näch- 
sten Alting einen Gesetzesantrag über die ‚allgemeine Pflichtarbeit auf Is- 
land“ vorzulegen, nach folgenden ‚Grundsätzen: 

I. Alle arbeitsfähigen jungen Männer, die sich auf Island befinden und 
das Heimatrecht dort besitzen, sollen während der Zeit ihres Alters von 
18 bis 22 Jahren allgemeine Pflichtarbeit leisten in dem Sommer, in dem 
sie wollen; dazu haben sie sich zum I. Februar des betr. Jahres anzumelden. 
Wer dieser Pflicht bis zum 22. Lebensjahre nicht nachgekommen ist, hat 
bis zum Ablauf des 25. Lebensjahres die Pflicht, einer Einberufung zur 
Pflichtarbeit zu folgen; er kann jedoch, wenn dringende Gründe ihn hin- 
dern, einen Ersatzmann stellen. 

2. Die Pflichtarbeit besteht darin, daß jeder junge Mann insgesamt sieben 
Wochen, nach seinem Wunsch in esnem Sommer oder auf zwei Sommer 
verteilt, zu arbeiten hat; diese Arbeit ist unbezahlt; für jeden Arbeitstag 
“ werden 0,75 Kr. für den Lebensunterhalt gegeben. 

3. Die ‚„Pflichtarbeit‘“ wird mit Acker-, Wald- und Wegbau in dem Amte 
geleistet, in dem jeder seinen Aufenthalt hat zu der Zeit, wo er in die Liste 
des Jahres eingetragen wird. 

4. Die Männer, die die Arbeit beaufsichtigen, müssen sie ordentlich ver- 
stehen und nach bestimmten Grundsätzen leiten, ähnlich wie bei den mili- 
tärischen Übungen in Dänemark. 

Das ist der erste Entwurf einer Sache, die von da an mit wechselnder 
Stärke die Gemüter bewegt hat. Damals wurde dieser Vorschlag nur im 
Unterhaus und am letzten -Sitzungstag besprochen, von den 24 Abgeord- 
neten gaben 14 ihre Stimme ab, 13 dafür, ı dagegen. Vor das Althing kam 
die Anregung erst wieder 1915 und diesmal wurde beschlossen, es solle . 
zugleich mit den nächsten Wahlen (Herbst 1976) eine allgemeine Abstim- 
mung verbunden werden, ob die ‚„Pflichtarbeit‘ un srgendeiner Form geseiz- 
lich eingeführt werden soll oder nicht. 

Damit ist die Sache und der Streit darum wieder zu neuem Leben er- 
wacht. Das Thema wurde in Vorträgen und Zeitungen nach allen Richtungen 
erörtert, keineswegs immer mit ganz klarer Einsicht in die Absichten und 
häufig leider auch nicht mit der wünschenswerten Sachlichkeit. 

Überaus eifrig hat sich wieder der Vater des Antrags betätigt, der natür- 
lich in Einzelheiten seine Vorschläge geändert hat (wie wir aus dem fol- 
genden entnehmen können), in den Grundlagen aber dem ersten Vorschlag 
treu geblieben ist; in zahlreichen Vorträgen in den Vereinen der jungen 
Männer, in der Vereinigung der isländischen Studenten in Kopenhagen, im 
Studentenverein in Reykjavik. Seine beiden wichtigsten Vorträge sind ab- 


15 


gedruckt in Andvari 1908 (Pegnskylduvinna, auch als Sonderausgabe, R. 
1909) und zuletzt Skirmnir 1916 (2. Heft). 


An der Hand dieser Vorträge sollen die Anschauungen H. J.s im fol- 
genden dargelegt werden unter Berücksichtigung der in Zeitungen gege- 
benen Anregungen und Einwände!, 


2. Der Zweck der Pflichtarbeit 


Der Zweck der von allen gesunden jungen Leuten ausnahmslos (die Stell- 
vertretung ist längst gestrichen) zu leistenden Arbeit ist ein doppelter, 
und zwar a) für die Arbeitenden, b) für das Vaterland. 


a) Bei der „Rückständigkeit Islands auf landwirtschaftlichem Gebiet und 
der durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, insbesondere infolge der 
Freizügigkeit eingetretenen Zuchtlosigkeit der Jugend“ hält H. J. es für 
wünschenswert, daß mit dieser Pflichtarbeit eine Schule für das Volk ge- 
schaffen werde, in der die jungen Leute lernen sollen, was ihnen fehlt: Ge- 
horsam, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Reinlichkeit, kameradschaftliches 
Wesen einerseits und überlegtes Arbeiten mit brauchbaren Werkzeugen und 
richtigem Vorgehen in allen Bewegungen bei der Arbeit andererseits. Auf 
den ersten Punkt hatte es H. J. abgesehen, wenn im Antrag von 1903 
unter 4. von dänischem Muster im Heeresdienst die Rede ist. Es handelt 
sich also um Volksbildung nach der moralischen wie nach der praktischen 
Seite. 


b) Mit diesem idealen Zweck der Volksbildung soll aber gleichzeitig ein 
unmittelbarer Nutzen für das Vaterland verbunden sein. Denn diese 
Übungs- und Pflichtarbeit soll auf solche Arbeiten verwendet werden, die 
besonders vordringlich sind und dem Fortschritt dienen: Bau von Wegen 
und Landungsplätzen, Urbarmachung von Land, Anbau von Nährpflanzen 
(vielleicht bald Eisenbahnbau) u. dgl. 


Von diesen beiden Zielen aber ist das erstere das wichtigere. H. J. sagt 
selbst: „Es ist meine innerste Überzeugung, daß die „Pflichtarbeit“ nur 
dann zum Segen wird, wenn es ihr erstes und höchstes Ziel ist, den Teil- 


I Die ständige Zusendung von Lögrjetta und Vestri sei hier nochmals besonders dankend 
hervorgehoben. ? 1916 schreibt H. ]J., ‚er habe damals nicht die Deutschen als Muster 
nennen wollen, weildieseiner Gotteslästerung gleich erschienen wäre, so übelberüchtigt wie 
die Deutschen damals wegen ihrer Härte bei der Ausbildung waren, während sie jetzt alle 
Welt wegen ihrer kriegerischen Tüchtigkeit bewundert.‘‘ Wieder ein Beweis, wie sehr ver- 
säumt worden ist ‚der von bekannter Seite getriebenen systematischen Verleumdung der 
Deutschen im Auslandentgegenzutreten. Allerdingsdarfman wohlsagen, daß der Isländer 
sich nicht von beeinflußten Zeitungen abhängig zu machen pflegt, sondern sich ein 
eigenes Urteil zu bilden sucht; ein solches hätte er aber ohne den Weltkrieg über uns 
nie bekommen; hoffentlich kommt es überall bald. 


46 


nehmern eine möglichst große theoretische und praktische Ausbildung zu 
geben, und wenn sie nicht nur darauf ausgeht, die Kosten möglichst gering 
und den Ertrag äußerlich möglichst groß werden zu lassen. Natürlich muß 
man sparsam und vorsichtig zu Werk gehen, aber so, daß die Pflichtarbeit 
den weitaus größten Teil ihres Nutzens in der Zukunft bringt. — Von ebenso 
großer Bedeutung ist, daß der Eifer allenthalben rege wird, einige Wochen 
des Lebens der Arbeit nur für das Vaterland zu weihen, und dazu zugleich 
sich selbst zu weiterer Arbeit brauchbarer und geschickter zu machen für 
die Heimat, für sich und die Seinen, mit richtigerer Arbeitsart und Arbeits- 
ordnung und passenderen Handwerkszeugen, als es bis jetzt und leider noch 
heute der Fall ist. Dieses Streben muß so ernst und allgemein werden, daß 
es ein Heilstein! werden kann, die Wunden zu heilen, die die Härte und 
Grausamkeit der Natur und die Kurzsichtigkeit unserer Vorväter unserem 
vernachlässigten, gequälten und geschädigten Lande zugefügt haben. — 
Wenn es aber zur Arbeit selbst kommt, ist es eben so wichtig, was gearbeitet 
wird und wo man jedesmal arbeiten soll, und was für Leute die Aufsicht in 
Händen haben. Da darf keine Distriktspolitik getrieben werden, Eigenbrö- 
delei und Selbstsucht einzelner Personen oder Gebiete, Machtpolitik und 
Parteilichkeit darf nicht über die Tüchtigkeit siegen. — — Was gearbeitet 
wird, und wo, hat sich nach dem Nutzen zu richten, den die Teilnehmer 
von der Arbeit haben können, und demnächst, wo die Arbeit den raschesten 
und größten Wert für das Volksganze hat. Jedoch muß tunlichst Sorge ge- 
tragen werden, daß die Arbeit auf die einzelnen Kreise gleichmäßig ver- 
teilt wird.“ 
3. Die Durchführung des Gedankens 

a) Jeder gesunde Isländer, der mindestens 17 und höchstens 25 Jahre 
(so jetzt!) alt ist, ohne jede Ausnahme, ist zu einer einmaligen, 12 wöchent- 
lichen (so jetzt!) P£flichtarbeit verpflichtet. Das Jahr, in dem er der Pflicht 
genügen will, kann er sich innerhalb dieser Grenzen selbst wählen; nur 
wenn er sich bis zum 22. Jahr nicht selbst gemeldet hat, wird er in einem 
der folgenden Jahre, aber vor dem 25. Lebensjahr, eingezogen. Alle ver- 
richten die gleichen Arbeiten, so z. B. auch die Seeleute, Fischer u. dgl., 
denen diese Übung unter Umständen später sehr nützen kann; allerdings 
bleibt die Möglichkeit offen, daß diese vielleicht später einmal auf einer Art 
Schulschiff ihrer Dienstpflicht genügen können. Daß die jungen Leute die 
Arbeiten, die sie verrichten, nicht selbst bestimmen können, ist selbstver- 
ständlich, brauchte auch nicht erwähnt zu werden, wenn man nicht darin 
eine besondere Verschärfung der „Sklaverei“ gefunden hätte. 


i Wie ihn berühmte Schwerter alterHelden in ihrem Knaufe hatten, mit dem allein 
‘die von dem Schwerte geschlagenen Wunden geheilt werden konnten. 


3 47 


b) Die Arbeit selbst findet alljährlich in zwei Abteilungen statt, die selbst 
wieder auf je drei Arbeitsstellen verteilt sind. Eine noch weitere Zerlegung 
in kleinere Abteilungen, wie sie in bester Absicht vorgeschlagen wurde, 
wäre undurchführbar, weil dadurch mehr Lehrer für theoretische und prak- 
tische Unterweisung und mehr Material für den Unterricht nötig würde, 
wodurch der Staatskasse höhere Kosten auferlegt würden, während anderer- 
seits dabei die Gleichmäßigkeit der Anleitung und die Pflege der kamerad- 
schaftlichen Arbeit leiden müßte. 

Die Einzelnen beteiligen sich an den von den für das Jahr vorausbe- 
stimmten Arbeitsstätten, die ihrem Aufenthaltsort bei ihrer Meldung am 
nächsten liegt. So halten sich die notwendigen Reisen in vernünftigen 
Grenzen und: verursachen dem Staate geringe Kosten, die jungen Leute aber 
kommen doch einigermaßen von der Scholle weg. 

Die beiden Kurse, die jährlich gehalten werden, dauern der eine etwa 
vom 1. Mai bis 24. Juli, der andere vom 29. Juli bis 20. Oktober. Im Nord- 
viertel mag allerdings die spätere Jahreszeit für die Arbeit ungünstig sein; 
es würde sich vielleicht empfehlen, in diesem Gebiet nur einen Jahreskurs 
zu halten. Sonst aber ist die Zweiteilung vorzuziehen, weil dadurch eine 
geringere Anzahl von Lehrern und Arbeitsmitteln nötig wird und die Ver- 
pflegung sich dadurch erleichtert. 

Die auf je 3 Arbeitsstellen verteilten Kurse arbeiten also an 6 Stellen im 
Jahre, die auf die 4 Landesviertel so zu verteilen sind, daß je ein Landes- 
viertel höchstens ein Jahr lang nicht berücksichtigt ist, und kein Kreis 
(sysla) länger als 6 Jahre ohne die Arbeit bleibt. Auf diese Weise wird der 
Nutzen der Arbeit über das ganze Land gleichmäßig verteilt. 

Die Zahl der Beteiligten muß in jeder Abteilung und in jedem Jahre un- 
gefähr die gleiche sein. H. J. berechnet auf eine Abteilung ungefähr 375 Teil- 
nehmer. Durch solche Gleichmäßigkeit allein ist es denkbar, einen durch- 
führbaren Arbeits- und Kostenplan aufzustellen. Im übrigen aber soll jedem 
die Wahl des Jahres innerhalb der angegebenen Grenzen und des früheren 
oder späteren Kurses freigestellt bleiben. Den Studenten, die ihre Ferien- 
zeit in den Sommermonaten haben, soll.ermöglicht werden, die zweite Hälfte 
des ersten und die erste Hälfte des zweiten Kurses mitzumachen. 

c) Bei der Arbeit selbst ist der Tag in 3x 8 Stunden zerlegt. 8 Stunden sind 
der Arbeit gewidmet, bei der aufgründliche Anleitung, den Gebrauch passen- 
der Werkzeuge, sorgfältige Ausführung der Arbeit und richtige Ausnützung der 
Kräfte das Hauptaugenmerk gelegt wird. — 2 Stunden dienen körperlichen 
Übungen ; Schwimmen müssen alle lernen; für geeignete Gelegenheit dazu ist 
‚überall zu sorgen (ob das durchführbar ist ?); eine Stunde wird vorgelesen 
über die Arbeit betreffende Stoffe (Erklärung der Werkzeuge, Lehre vom 


18 


Ackerbau u. dgl., auch über Benehmen und Reinlichkeit) und das Vorge- 
lesene besprochen; 4 Stunden sind Essens- und Freizeit. — 8 Stunden 
Schlaf. 

Über die Disziplin Bi der Arbeit zu sprechen hält H. J. eigens für nötig. 
Die Behandlung soll human sein, als äußerste Strafe denkt er an eine Ver- 
längerung der Arbeitszeit. Diese Bemerkungen dienen natürlich dazu, die 
Angst vor dem }ff Militarismus zu bannen, mit dem die Sache von anderer 
Seite ausgiebig verglichen wurde, natürlich in der Absicht, um sie den Leuten 
zu verekeln. Wenn die Isländer wüßten, wie human grundsätzlich z. B. im 
Deutschen Reich die Soldaten behandelt werden und wie sehr deren eigenes 
Denken entwickelt wird und welchen überaus großen erzieherischen Wert 
die allgemeine Dienstptlicht bei uns hat, dann würde dieses Schreckgespenst 
auch bei ihnen nur ein überlegenes Lächeln hervorrufen. 


4. Die Kosten 
Die Kosten der Einrichtung zu berechnen, ist natürlich mit Schwierig- 
keiten verbunden; darum will H. J. seine Aufstellungen nur als allgemeine 
Grundlagen angesehen wissen. 

Er legt zugrunde für jede Abteilung (also zweimal im Jahr) 168 Tage 
(= 12 Wochen). 375 Teilnehmer, g Leiter, 21 Arbeiter (für Zubereitung der 
Nahrung und andere dienstliche Verrichtungen) und setzt an: 

375 Teilnehmer, Beköstigung täglich ı Kr. (jetzt!) 


108: Tage: 4 0 Be a Kr. 68 040 

9 Werkleiter, 168 Tage, je 6 Kr... ...... „Kr. 8g10 
21 Arbeiter, 168 Tage, je 3 Kr. .... 2 2 2.0. Kr. 10 248 
Materialkosten etwa . 2: 2 2 2 2 ern ne. Kr. 20 802 
Kr. 108 000. 


(Daß die Beköstigung der Werkleiter und Arbeiter nicht angesetzt ist, 
fällt auf.) 

Demgegenüber wird der Nutzen für den Staat gestellt. Die geleisteten 
Arbeiten müßten auch sonst ausgeführt und dann bezahlt werden. Zur 
Gegenrechnung werden nur 144 Tage angesetzt, ein Arbeitslohn von 2 Kr. 
für 8 stündige Arbeitszeit zugrunde gelegt; das ergibt bei einer Arbeiterzahl 
von 375 die Summe von 108000 Kr. (wobei die Aufseher bei der Arbeit 
nicht berücksichtigt sind). Daraus würde sich ergeben, daß dem Staat 
unter den angegebenen Voraussetzungen aus dieser Ertüchtigung seiner 
Bürger Reine Kosten erwachsen. Allerdings wird die noch zu besprechende 
Schule für die Leiter ziemliche Kosten verursachen, wovon H. J. an dieser 
Stelle nicht spricht. 

Eine auffallende Rechnung anderer Art wurde dem entgegengehalten. 


8 49 


Da wird der Einnahmeverlust von 800 Leuten im Jahre bei 100 Tagen auf 
240 000 Kr. angesetzt und die durch die Einberafung der Arbeiter ander- 
weitig nicht geleistete Arbeit auf über 2 000 000 Kr. veranschlagt — und 
diese Summe als Kosten für den Staat eingesetzt. Lassen wir die Unmög- 
lichkeit dieser Zahlen ganz außer Betracht, jedenfalls hat diese Berech- 
nung mit den Kosten, die der Staat unmittelbar hat, gar nichts zu tun. 

Daran wird dann von derselben Seite noch der Vorschlag gemacht, zu Ar- 
beiten, für die sich keine Arbeiter finden, solche von auswärts kommen zu 
lassen. Dazu ist zu bemerken, daß diese einen nicht unbedeutenden Teil 
des vorhandenen Bargeldes aus dem armen Lande ziehen würden, zudem 
wohl schwerlich Arbeiter nach dem hohen Norden zu bekommen sind, wenn 
die Löhne nicht dazu locken. 


5. Die Werkleiter 

An Leitern für die Arbeiten fehlt es nach H. ]J. am meisten. Solche zu 
gewinnen ist die erste Aufgabe. Dazu wird vorgeschlagen, junge Leute 
im Auslande (d. h. wohl zunächst in den skandinavischen Staaten, vor allem 
Dänemark) ausbilden zu lassen, und wenn nötig, anfänglich Leute eben- 
daher als Lehrer und Leiter kommen zu lassen. Gleichzeitig aber soll eine 
Lehranstalt zur Heranbildung geeigneter Lehrer auf Island eingerichtet 
werden; in dieser sollen die tüchtigsten von den jungen Leuten, die ihrer 
Pflichtarbeit nachgekommen sind, ausgebildet werden, wodurch in der Zu- 
kunft Lehrer in genügender Zahl und außerdem überhaupt gründlich gebil- 
dete Landwirte vorhanden sein würden. Mit dieser Schule soll ein Muster- 
garten vorhanden sein, in dem alle zu Schmuck und Nutzen geeigneten 
Pflanzen, die auf Island gedeihen, zu finden sind. Die Schule selbst soll 
zwar auf dem Lande, aber in der Nähe eines guten Hafens und leicht zu- 
gänglich sein. (Weil vielerlei in der Einrichtung dieser Schule mit der zu 
gründenden Hausmutterschule gemeinsam sein könnte, will H. J. sie mit 
dieser in engste Verbindung bringen, ein Plan, der uns kaum praktisch er- 
scheinen dürfte trotz der Geldersparnis.) 


6. Die vinnuvisindi (Arbeitslehre ) 
Die moderne Psychologie beschäftigt sich u. a. mit der Untersuchung 
der Erfordernisse der alltäglichen Arbeit, sie prüft die Fähigkeiten und An- 
lagen der Einzelnen und erzielt Ergebnisse dieser Forschungen, die für die 
Wahl und die Ausübung eines Berufs ausschlaggebend sein können. Diese 
Bestrebungen, die einerseits auf den Nachweis des möglichst rationellen Be- 
triebs der Arbeit und andererseits auf das Finden der geeignetsten Arbeiter 
abzielen, sind in Deutschland keineswegs fremd geblieben, sie haben aber 
den’ festesten Boden in den Vereinigten Staaten gefunden. Durch Beobach- 


20 


tungen und Messungen bei den verschiedenen Arbeiten ist festgestellt, daß 
bei entsprechender Ausführung die Arbeit viel weniger ermüdet, also mit 
gleichem Aufwand an Kraft viel mehr geleistet werden kann und daß da- 
durch die Arbeits- und Lebensfreudigkeit der Einzelnen sich hebt. Über 
diese amerikanischen Bestrebungen und die zu solchen Zwecken getroffenen 
Einrichtungen hat dr. Guömundur Finnbogason die Isländer in ein paar 
Vorträgen unterrichtet und diese in seinem Büchlein Vit og sirit (Wissen- 
schaft und Arbeit) abdrucken lassen. Derselbe beantragte auch die Errich- 
tung eines Lehrstuhls für diese Wissenschaft an der Universität Reykjavik; 
er hofft, daß diese neue Wissenschaft der bevorstehenden Pflichtarbeit zu- 
nutze kommen soll. Die Vorlage über die Professur wurde zwar im letzten 
Althing abgelehnt, dafür aber beschlossen, dr. Guömundur Finnbogason 
3000 Kr. zu bewilligen, damit er sich in diesen Fragen noch weiter unterrich- 
ten könne. So ist zwar für Island der Zeitpunkt noch nicht gekommen, diesen 
Teil der psychologischen Forschung in die Praxis umzusetzen, aber man 
kann annehmen, daß späterhin die Anleitung in der ‚„Pflichtarbeit‘ auf die 
Ergebnisse der praktischen Psychologie aufgebaut werden wird. 


7. Ist eine gesetzliche Festlegung der Pflichtarbeit am Plaize? 

Von verschiedenen Seiten ist der Plan der „Pflichtarbeit‘‘ abgelehnt 
worden mit dem Hinweis, daß es sich hier um moderne Sklaverei handle, 
die nur durch ihre zeitliche Begrenzung sich davon unterscheide. Es blieb 
H. J. wirklich nichts anderes übrig, als solcher Verkennung der Tatsachen 
gegenüber darauf hinzuweisen, daß die Pflichten, die der Staat seinen Bür- 
gern auferlegt, keine Schmälerung ihrer persönlichen Würde bedeuten. Das 
muß man also den Isländern erst sagen. Wenn man die anderen Pflichten, 
die Staat und Gemeinde verlangen, vergleicht, kann die Pflichtarbeit, die 
das Volk der Isländer sich selbst auferlegen soll, mögen diese auch noch so 
sehr von „königlichen Ahnen stammen“, nicht als ein Übergriff der Staats- 
gewalt betrachtet werden. 

Auch der Einwand, es solle lieber freiwillige Arbeit vorgeschlagen werden 
statt gesetzlich gebotener, mußte allen Ernstes widerlegt werden; es gibt 
für uns nichts Selbstverständlicheres, als daß eine solche Neuerung, wenn 
etwas dabei herauskommen soll, gesetzlich festgelegt und geregelt werden 
muß. Aber weil man solche Selbstverständlichkeiten dort erst noch begrün- 
den muß, scheint eine Einrichtung wie die geplante erst recht wünschenswert. 

Ganz mit Recht ist daher dem Volke jetzt die Frage vorgelegt, ob es eine 
gesetzliche Einführung der Pflichtarbeit haben will. So weit kann auch das 
Volk in seiner. Gesamtheit nur entscheiden: „gesetzlich“ und „in irgend- 
einer Form‘. Die Anfrage ans Volk kann sich nur auf die grundsätzliche Seite 


21 


der Sache beziehen, das Weitere ist Sache der Regierung und des Althings. 
Wie man die Behauptung aufstellen kann, es werde dem Volke zugemutet, 
Lasten zuzustimmen, deren Tragweite es nicht ermessen könne, ist schlech- 
terdings unverständlich. | 

In mahnendem und warnendem Prophetenton wird von verschiedenen 
Seiten darauf hingewiesen, daß die jungen Leute damit einen Sommer ihres 
Lebens verlieren, und ihnen die Einnahme entzogen würde, die sie etwa im 
Winter zum Besuch einer Fachschule oder zum Erlernen eines Handwerks 
notwendig brauchten; man spricht von der Härte, daß der einzige Sohn, 
der die Stütze seiner alten Eltern ist, diesen entzogen werde, daß viele 
nötige Arbeit zu Hause ungetan bleibe, ja vieles überhaupt ganz unterbleiben 
müsse (und berechnet diesen Schaden auf hoch über 2Mill. Kronen)!. Zunächst 
antwortet H. J. mit der einfachen Feststellung, daß die Zahl der jungen 
Leute, die jeweilig zur Arbeit eingezogen sind, verschwindend klein: ist 
im Verhältnis zu der sonst im Distrikt vorhandenen Arbeitskraft (also kann 
der Arbeitermangel doch nicht so riesig sein wie ein Gegner sagt) und die 
Einnahme der jungen Leute ist in den meisten Fällen so gering (keineswegs 
bare3 Kr. für Tagund Mann, wie angesetzt wird !), daß der Nutzen, den sie von 
der Erfüllung dieser Pflicht für dieZukunft hätten, den Ausfall, woein solcher 
ernstlich vorliegt, bei weitem ausgleicht. Für uns, bei denen die Militärpflicht 
weit tiefer in die ganze Bevölkerung eingreift und man doch natürlich ganz 
andere Verlustsummen sich ausrechnen könnte, sind solche Einwände nicht 
vorhanden; wir wissen, daß wirkliche Härten, wo sie sich finden, immer 
gemildert werden können. Und wenn sich manche Isländer nicht mit uns, den 
Leuten ausdem Lande der Militärpflicht, vergleichen wollen, so sollten sie daran 
denken, wo der Stolz derfreien Engländer in diesem von England angezettelten 


Krieg geblieben ist, 
8. Schluß 


Ob die Hoffnungen auf sittlichen und wirtschaftlichen Aufschwung, die 
H. J. an die Pflichtarbeit knüpft, berechtigt sind, ob vor allem der doppelte 
Zweck, Nutzen für den Einzelnen und für den Staat sich zugleich erreichen 
läßt, ob die Kostenrechnung nicht zu optimistisch ist, ob es sich empfiehlt, bei 
landwirtschaftlichen Arbeiten die eine Abteilung praktisch im Säen, die andere 
im Ernten anzuleiten und dgl. mehr, darüber steht mir kein Urteil zu. 
Mit Hohn aber darf die Sache nicht abgetan werden. Trotzdem hat man 

auch diese billige Art der Abfertigung sich zuschulden kommen lassen, 
indem z. B. ein Spottvers weit verbreitet wurde: 

O hve margur yröi sall 

og elska myndi landiö heitt, 


1 Wenn diese Zahl richtig wäre, bemerkt FH. J., dann wäre Island das glücklichste 
Land unter der Sonne. 


22 


mztti hann vera mänuö prell 
og moka skit fyrir ekki neitt 


(Ei wie glücklich würde sich mancher fühlen und sein Vaterland heiß lieben, 
dürfte er einen Monat lang Sklave sein und umsonst Dreck schaufeln ) Oder: 


Stjörnsemi og stundvisı, 
stökkva i margan glöpinn, 
Degar hün kemur prammandi 
Pegnskylda — meö söpinn. 

(Fügsamkeit und Pünktlichkeit kommen eilends in manchen Narren, 
wenn sie herangekrochen kommt, die Pflichtarbeit — mit dem Besen.) 
Sehen wir aber von all den Fragen für und wider ab, so drängt sich bei 
der Beschäftigung mit diesem Stoffe das Empfinden auf, was der Antrag- 
steller für eine äußerst sympathische Figur ist. Seit 14 Jahren hat der jetzt 
58 jährige Mann diesen Gedanken mit einem Eifer und einer Eindringlichkeit 
verfochten, wie sie nur wahre Begeisterung und innerste Überzeugung 
geben können. Für diese Seite des Antrags, seine Herkunft aus dem idealen 
Streben eines ehrlichen Vaterlandsfreundes scheinen mir die Gegner, deren 
Anschauungen mir bekannt geworden sind, nur wenig Empfinden zu haben. 
Es ist ein heiliges Feuer des Glaubens an die Segnungen, die die Durchführung 
seines Planes dem Vaterlandbringen wird, in dem Manne. Er ist — undich 
glaube mit vollem Rechtetrotz auch hiergegen gemachter Einwände — über- 
zeugt, daß dieErfüllung einer Pflicht gegen das Vaterland auch die Vater- 
landsliebe der jungen Leute, die sonst noch keine Pflichten gegen die Gesamt- 
heit haben, festigt undsteigert, und erwartet davon einen inneren Aufschwung 
des isländischen Volkes, das die augenblicklichen Zeichen des Niedergangs, 
die er an der jetzigen Jugend wahrnimmt, überwinden kann. Dabei ist es 
wohl verständlich, wenn sich H. ]J. freut, die Jugend (in den Jünglings- . 
vereinen) auf seiner Seite zu haben (wogegen der Einwand nicht berechtigt 
ist, man frage die Kinder nicht, ob sie in die Schule gehen wollen). Von 
seiner Seite ist es sehr wohl verständlich, wenn er in der Durchführung seines 
Planes der ‚‚Pflichtarbeit‘ nicht ein Mittel zum Fortschritt sieht, sondern 
das Mittel, und der Überzeugung Ausdruck gibt: „Wenn das isländische 
Volk nicht die Probe besteht, diese Pflicht auf sich zu nehmen, dann fehlen 
ihm die Bedingungen, um als selbständiges Volk leben zu können.‘ 
Eisenach W. Heydenreich 


II. ISLANDS KLIMA 


P Heft 2 des zweiten Jahrgangs unserer Mitteilungen (Juli 1914) Seite 15 
besprach Hans Rudolphi eine interessante Arbeit von. Petterson, wonach 
auf Island wie in Süd- und Ostgrönland zur Wikingerzeit ein wesentlich 


23 


milderes Klima geherrscht haben soll als heutzutage; die Klimaverschlech- 
terung habe erst im 14. Jahrhundert eingesetzt. 

In Geografisk Tidskrift, 22. Band, Heft 6, Kopenhagen 1914, ging Prof. 
Th. Thoroddsen in einem Aufsatz ‚Islands Klima i Oldtiden‘“ näher auf die 
Annahme Pettersons ein und zeigte, daß die von diesem Gelehrten vorge- 
brachten, vorwiegend negativen Beweise aus den altisländischen Quellen 
nicht zu den von ihm gezogenen Schlußfolgerungen berechtigten, daß im 
Gegenteil genügende positive Angaben aus der alten Literatur vorliegen, 
wonach das Klima Islands in altisländischer Zeit sich von dem heutigen 
nicht wesentlich unterschied. | 

Thoroddsens Ansicht trat dann in Geografisk Tidskrift, 23. Band Heft ı 
(Kopenhagen 1915), der Historiker Edv. Bull (Kristiania) in einem geist- 
reichen Aufsatze entgegen, worin er namentlich die Beweiskraft der alt- 
isländischen Literaturquellen für die Beurteilung der von Thoroddsen be- 
sonders betonten Ähnlichkeit zwischen den älteren und neueren Klimaver- 
hältnissen Islands als schwach und nicht genügend zuverlässig bezeichnet. 
Unter Hinweisen auf den Körnerbau, den ausgedehnteren Waldbestand, 
die anders geartete Tierhaltung (Schweinezucht) u. a. m. in Alt-Island glaubt 
Bull, sich der Meinung Pettersons bezüglich einer im 14. Jahrhundert be- 
gonnenen wesentlichen Klimaänderung anschließen zu müssen; er stellt 
schließlich die Frage genauer dahin, es handle sich nicht darum, ob vor dem 
14. Jahrhundert das Klima auf Island immer besser gewesen sei als heut- 
zutage (ohne vereinzelt dazwischen getretene strenge Winter und dergl.), 
sondern ob sich zu einer bestimmten Zeit, etwa im 14. Jahrhundert, ein offen- 
barer allgemeiner Wechsel im Sinne einer Verschlechterung des Klimas 
auf Island vollzogen habe, und bejaht diese Frage. 

Geografisk Tidskrift brachte unmittelbar im Anschluß an Bulls Aufsatz 
‘“ eine kurze Erwiderung Thoroddsens, die sich vorläufig darauf beschränkte, 
_ nachzuweisen, wie die von Bull vorgebrachten geschichtlichen Tatsachen 
sich aus ganz anderen Gründen, als einer katastrophalen Klimaänderung 
erklären, und daß die Angriffe auf die Zuverlässigkeit der altisländischen 
Literaturquellen deren Beweiskraft für das vorliegende Thema nicht zu 
erschüttern vermögen. | 

Die in den erwähnten verschiedenen Abhandlungen Thoroddsens gemach- 
ten Angaben finden nunmehr eine äußerst wertvolle Vervollständigung in 
einem zusammenfassenden größeren Werke dieses Gelehrten: ’Arferör d 
Islandi i büsund dr (Islands Klima im letzten Jahrtausend), dessen ı. Heft 
(von 3 Heften) vom islenzka fr&Öifjelag (Kopenhagen 1916) kürzlich heraus- 
gegeben wurde. In der Einleitung weist Thoroddsen auf die hohe Bedeutung 
- hin, die das Klima seit der Zeit der Besiedlung bis auf den heutigen Tag. für 


24 


Islands Geschick, seine Bevölkerung, Wirtschaft und Kultur gehabt hat, 
und wie sich aus dieser außerordentlichen Bedeutung die stets von der ge- 
samten Bevölkerung kontrollierte Zuverlässigkeit der überaus zahlreichen, 
das Klima betreffenden Angaben in der isländischen Literatur von den älte- 
sten bis zu den neuesten Zeiten’ mit zwingender Notwendigkeit ergibt. 

Thoroddsen gibt dann eine kritische Übersicht über das gesamte vor- 
handene Quellenmaterial von Gelegenheits-Aufzeichnungen in den ältesten 
Handschriften bis zu den neuzeitlichen wissenschaftlichen Registrierungen ; 
das Endergebnis ist, daß, abgesehen von den in fast allen Ländern beob- 
achteten mehr oder minder regelmäßigen Schwankungen das Klima als 
ganzes genommen in Alt-Island genau so war wie es heute ist, und daß eine 
irgendwie wesentliche oder durchgreifende Veränderung weder im 14. Jahr- 
hundert noch jemals sonst in geschichtlicher Zeit auf Island stattgefunden hat. 
Köln Heinrich Erkes 


IV. ÜBER J. C. POESTIONS VORBEREITETE UND BEABSICHTIGTE. 
ARBEITEN 
erfahren wir von ihm befreundeter Seite: 

Nach der Rückkehr von seiner Islandreise 1906 hat P. eine umfangreiche Reisebe- 
schreibung ausgearbeitet, die natürlich mehr enthalten sollte, als einen persönlichen 
Bericht. Hemmnisse verschiedener Art verzögerten die Fertigstellung und so kam es, 
daß diese Arbeit von anderen Reisebeschreibungen, vor allem den ausführlichen Bü- 
chern P. Herrmanns überholt wurde. Infolge dessen istP. damit beschäftigt, die Arbeit 
nach der kulturhistorischen und literarhistorischen Seite weiter auszugestalten, um 
dafür vielleicht unter dem Titel ‚„Kulturhistorische Wanderungen auf Island‘ unter 
 annehmbaren Bedingungen einen Verleger zu finden. 

Ferner wartete man vergeblich auf das Erscheinen der deutschen Übersetzung von 
Valtyr Guömundssons Buche ‚‚Privatboligen paa Island i Sagatiden‘‘, von dem Schön- 
feld in seinem Werke ‚Der isländische Bauernhof und sein Betrieb in der Sagazeit“ 
berichtet, daß die Bogen im Sommer 1900 in Kopenhagen dem Verfasser Valtyr Guö- 
mundsson zur Durchsicht vorgelegen hätten. Diese Übersetzung, die als Anhang einen 
kürzeren Auszug aus Daniel Bruuns Aufsatz über seine archäologischen Untersuchun- 
gen im Julianehaabs Distrikt in Grönland mit den guten Abbildungen der alten Ru- 
inen, welche die Resultate des Verfassers vollauf bestätigen, sowie auch bessere, z. B. 
Porsteinn Erlingssons „Ruins of the saga-time‘‘ entnommene Illustrationen bringen 
sollte, hatte P. auf Betreiben eines damaligen Wiener Universitätsprofessors angefertigt, 
der ihm die Übernahme des Verlages durch eine von ihm bezeichnete wissenschaftliche 
Gesellschaft in sichere Aussicht stellte. Diese lehnte jedoch ab. Als sich dahn P.s 
Verleger, Georg Müller, bereit erklärte, dasWerk herauszubringen, falls sich die nötige 
Anzahl von Subskribenten finde und die Subskription ausgeschrieben wurde, meldete 
sich 2in Subskribent. — Merkwürdig ist es, daß P. auch für eine deutsche Ausgabe 
von Nordahl Rolfsens trefflichem populären Werke ‚„Vore fx&dres liv. Karakterer. og 
skildringer fra sagatiden‘‘ mit den schönen Illustrationen von A. Bloch keinen Ver- 
leger finden konnte. Es sei auch hier erwähnt, daß 1914 eine neue (6.) Auflage von P's. 
Übersetzung der Thoroddsen’schen Novelle „Piltur og stülka‘“ in Reklams Universal- 
bibliothek erschien, ohne daß dies auf dem Titelblatt bemerkt und ohne daß P. früher 
von dieser bevorstehenden Neuauflage verständigt worden ist, so daß er nicht in der 
Lage war, Einleitung und Anmerkungen, die veraltet sind, zu berichtigen. 


25 


Poestion arbeitet ununterbrochen an einer weiteren Ausgestaltung, beziehungsweise 
Fortsetzung seiner ‚‚Isländischen Dichter‘‘ der Neuzeit und der „Eislandblüten‘ bis auf 
die Gegenwart, obgleich leider keine Aussicht vorhanden sein soll, daß diese Bücher, 
besonders das erstgenannte, eine Neuauflage erleben werden. Er übersetzte teils für 
diese Werke, teils für seine Reisebeschreibung schon bei 40 neue Gedichte (darunter 
noch ıo von Bjarni Thorarensen, 7 von Benedikt Gröndal, 3 von Grimur Thomsen.). 
Eine Monographie über den letzten katholischen Bischof Islands, J6ön Arason, ‚„Is- 
lands besten Sohn‘‘, hat er so gut wie abgeschlossen. P. hat auch eine sehr umfassende 
Grammatik des Neuisländischen (nach dem Muster seines kürzlich auch wieder in der 
3. Auflage in Norwegen so viel gerühmten Lehrbuches des Norwegischen) ausgearbeitet, 
jedoch mehr zu seiner eigenen Belehrung als in der Absicht, sie herauszugeben, denn 
er findet, daß eine selbständige gründliche und wirklich zutreffende Darstellung der so 
schwierigen isländischen Schrift- und Volkssprache auf theoretischem Wege durch einen 
Ausländer nicht möglich ist und daher nur von einem sprachgelehrten Isländer ge- 
liefert werden kann. Ebenso hat P. schon vor 35 Jahren ein zsländisch-deutsches und 
deutsch-isländisches Wörterbuch begonnen, das er bis auf den heutigen Tag fortführt 
und in welches er bestrebt ist namentlich auch solche Bedeutungen, Ausdrucksweisen 
und Redensarten aufzunehmen, auf die in den vorhandenen isländischen Wörter- 
büchern keine Rücksicht genommen wurde, die ihm aber durch Anfragen bei den Is- 
ländern bekannt geworden sind. — Von einer schon oft von ihm verlangten und zum 
Teil schon vorbereiteten Neuauflage seines längst vergriffenen, auch bereits veralteten 
Buches ‚‚Island‘‘ sowie auch von der Herausgabe eines ebenfalls oft von ihm abgefor- 
derten kleineren, populären und illustrierten Werkchens über Island, Arbeiten, die er 
wegen Zeitmangels noch nicht hatte ausführen oder vollenden können, glaubt er nun- 
mehr ganz absehen zu können, seit Valtyr Guömundssons ‚Island am Beginn des 
20. Jahrhunderts‘ und P. Herrmanns Islandwerke vorliegen. Eine neue, um Alfen- 
und Draußenliegerstücke vermehrte Auflage der ‚‚Isländischen Märchen‘ soll bei E. Die- 
derichs erscheinen. Es ist sehr zu bedauern, daß P. für seine literarischen Arbeiten 
immer nur so wenig Zeit zur Verfügung gestanden hat. 

Zum Schlusse noch die Mitteilung, daß P. seine große Bibliothek von Skandinavica, 
besonders Islandica, der Universitätsbibliothek in Graz zu vermachen gedenkt,.da er 
an dieser Universität (seines engeren Heimatslandes Steiermark) im Wintersemester 
1874/75 bei Schönbach seine nordischen Studien begonnen hat und sich freuen würde, 
wenn durch seine Schenkung dort, wo Karl Weinhold sein klassisches ‚Altnordisches 
Leben‘ geschrieben und Ferd. Khull der deutschen Lesewelt eine Anzahl isländischer 
Sagas durch treffliche deutsche Übersetzungen oder Bearbeitungen zugeführt hat, etwa 
auch dem Neuisländischen die ihm gebührende Beachtung zugewendet werden sollte. 


V. NACHRICHTEN AUS ISLAND 


I. Wie die Engländer Island behandeln. WTB Kopenhagen, 26. Mai. (Telegr.) 
Die englische Regierung legte Island für die Erlaubnis der Zufuhr von Salz 
und Kohlen außerordentlich scharfe Bedingungen auf. Die isländischen Kauf- 
leute müssen eine Erklärung unterzeichnen, in der sie sich verpflichten, dem 
englischen Vertreter auf Verlangen ihre Geschäftsbücher und Korrespondenz 
zur Untersuchung zur Verfügung zu stellen, ferner weder Salz noch Erzeug- 
nisse, für die Salz verwandt wird, nach England feindlichen Ländern oder 
nach Dänemark, Norwegen, Schweden oder Holland zu senden. Bei Über- 
tretung dieser Erklärung müssen die isländischen Kaufleute eine hohe Geld- 
strafe an England zahlen. 

Ekstrabladet bemerkt hierzu: „Es scheint somit den Engländern noch 


26 


nicht klar zu sein, daß Island ein Teil von Dänemark ist, was man übrigens 
schon aus der Art und Weise erraten konnte, in der sie sich die nach Island 
bestimmte dänische Post des Dampfers Botnia zu behandeln erlaubten. 

2. Seit einigen Monaten hat Dr. Alexander J öhannesson die Geschäfte des deutschen 
Konsuls für Deutschland vertretungsweise übernommen. Wir freuen uns, die Ver- 
tretung Deutschlands in so guten Händen zu wissen. 

3. Dr. Alexander J öhannesson ist mit einer Übersetzung von Schillers Jungfrau von 
Orleans ins Isländische beschäftigt, die demnächst fertig sein wird. 

4. In Kopenhagen hat sich eine Gesellschaft gebildet, die den Kohlenbruch auf Island 
in großem Stil betreiben will. Man hofft auf günstige Ergebnisse, die die südlich des 
Patreksfjördöur gefundenen Steinkohlenminen bringen sollen. 

5. An der Westküste Islands herrschen die Masern, die durch den Dampfer ‚‚Flora‘‘ 
in der Zeit vom 13.—15. April in den Häfen Reykjavik, Patreksfjöröur, Hölmsvfk 
verbreitet wurden. Das Schiff war aus Norwegen gekommen und lange in England 
zurückgehalten worden. 

6. Am 6. Mai trat ein Streik der Hochseefischer ein, die aus den günstigen Markt- 
gelegenheiten Vorteile für sich zu erzielen streben. Eine Einnahme von 400—500 Kr. 
monatlich ist für einen Fischer bereits durchaus üblich. 

7. Der Dichter Jönas Guölaugsson ist am 18. April 1916 in Skagen (Jütland) gestorben. 
Von ihm stammen mehrere Gedichtsammlungen in isländischer (Vorblöm, Dagsbrün), 
später in dänischer Sprache (Sange fra Nordhavet, Sange fra de blaa Bjserge, Viddernes 
Poesi), auch einige Erzählungen (Solveig og hendes bejlere, Monika, Bredefjordsfolk) 
in dänischer Sprache. Sein Talent war noch nicht zur voller Entfaltung gekommen. 

Am 9. März starb in Bjarnastaöahliö im Vesturdal der unter dem Namen Ssmon 
Dalaskdld bekannte Bauer Simon Björnsson (geb. 1844). Er war ein Meister in soge- 
nannten Lausavisur. 

8. In Dänemark wurde ein dansk-islensk Samjund gegründet, eine dänisch-isländische 
Gesellschaft, die ähnliche Absichten verfolgt wie unsere Vereingung; die Ziele sind 
etwas weiter gesteckt als die unsrigen. Man rechnet offenbar auf mehr Mitglieder und 
mehr Geld als wir es besitzen. 

9. Immer mehr nimmt auf Island die Neigung zu, Familiennamen wie die anderen 
europäischen Völker auf gesetzlichem Wege anzunehmen. Im Auftrage der Regierung 
haben Einar Hjörleifsson, dr. Guömundur Finnbogason und Oberlehrer Pälmi Pälsson 
eine Denkschrift verfaßt, die die Bevölkerung über die Grundlagen dieser Bestrebungen 
aufklären soll und Anleitung zur Wahl passender Namen gibt. Empfohlen wird, Namen 
nach den Eltern zu wählen, nach dem Wohnort, nach beliebigen Wörtern der Sprache, 
nach berühmten Männern der Vorzeit. Die Namen nach dem Vater auf son werden 
abgelehnt, weil man diese als Familiennamen nicht erkennen kann. Einar Hjörleifsson 
selbst hat auf gesetzlichem Wege den Namen Kvaran angenommen; der Schriftleiter der 
Zeitung Lögrjetta hat den Namen Gislason als Familiennamen sich gesetzlich bestätigen 
lassen; Prof. Haraldur Nfelsson hat für seine Kinder den Namen Haralz bestimmt. — 
Es gibt aber auch Gegner dieser Bestrebungen. Bjarni Jönsson fr& Vogi hat im Stüdenta- 
felag einen Vortrag gehalten und drucken lassen mit dem Titel: „Kulturbestrebungen 
und Barbarei‘‘, indem er sehr temperamentvoll gegen diese Absichten Stellung nimmt. 

ıo. England hat Dänemark versprochen, die Dänische Post nach Island künftighin 
unangetastet zu lassen. 

ıı. Der Bildhauer Einar Jönsson hat einen Entwurf zu einem Standbild von Dor- 
finnur Karlsefni vollendet; ein Verein in Amerika will dem Entdecker Vinlands des 
Guten ein Denkmal setzen. 

ı2. An der Universität Reykjavfk hat sich ein Verein der Studierenden gebildet 
„stüdentafjelag häsk6lans‘' im Gegensatz zum „stüdentafelag‘‘, dem alle Männer ange- 
hören können, die die höhere Schule in Reykjavik durchgemacht haben. 


27 


13. Teuerung der Lebensmittel auf Island. Nach den Aufstellungen des statistischen 
Amtes für Island beträgt die Preissteigerung der notwendigen Lebensmittel und Be- 


darfsgegenstände einschließlich Heizung seit Kriegsausbruch bis Apen 1916 in Reyk- 


Ja im Durchschnitt nicht ae als 4 Io 


v1 J AHRESBERICHT ÜBER DAS GESCHÄFTSJ AHR 


1915/1916. 


Der Mitgliederstand. war am I. Juli 1915: 145. 


Seit dieser Zeit sind bis jetzt 10 neue u ae angemeldet, Abbe sind ı 3 (da- 


von 4 f) und zwar: 
Prof. Lehmann-Göttingen; Regierungsrat Dr. Lenk-Wien; Dr. Rud. Schmidi- 


Dresden; Dr. Friedr.. Fischer-Göttingen T, (gefallen); Dr. L. Freund-Prag; Prof. Dr.. 


Kaumans- Kiel; Prof. Franz Kuntze-Weimar; O. M. Werner-Berlin; Direktor Zitzla/f- 


Geestemünde; Prof. Dr. Gebhardt-Erlangen t; Gg. H. F. Schrader, Akureyri. h; Dr. Rolf 


Görgey-Wien } (gefallen); Geh. Justizrat Prof. Dr. Papdenheim-Kiel. 


Also Mitgliederstand am ı. Juli I9I5 . . 2. 2. 2 2 2 2 2 nn ne er SR: ©; 
Abgang (siehe vorstehend). . . ... .» Ba ee a en er ed 
= 132 
Neuanmeldungen . . » 2 2 2 22 202 0 0. a ar a er DE u Be de 5 er a TO 
so daß der Mitgliederbestand . . . 2. 2. 22.2.0... Er . 142 
beträgt. Davon mußten leider noch gestrichen werden wegen Verweigening der 
Beitragszahlung .; »- so. su u & 2.00% wi 2 wi ri EEE 
so daß am ı. Juli 1916 an Mitgliedern a er ee SER! oo. 137 


zu verzeichnen sind. 

1. Infolge schwerer Erkrankung des ı. Schriftführers, Herrn Sanitätsrat Dr. Cahn- 
heim, wird dieser Bericht über den Mitgliederstand durch den Kassenwart erstellt. 
Mehrere Mitglieder, die auf verschiedene Zuschriften nicht geantwortet und mehrere 


Jahre keinen Beitrag bezahlt hatten, mußten leider gestrichen werden. Ein neues Mit- 


gliederverzeichnis soll erst nach dem Kriege gedruckt werden. 
2. Am ı. Juli 1915 waren vorhanden 


Saldo. 2... . U a ee Er ven. 246,93 M 
Einnahmen an Mitgliederbeiträgen EEE ET TE .: . 2.0.0. 741,82 „ 
Sonstige Einnahmen . ... . PERBETITTT et wie ae 1,80 4 
| S Summe 990,55 M 
Ausgaben: | 

Druck von Heft I/II... ...... . 264,80 M 

+ III sw. er TO 2 er 

sn EV ee Gr ea 188,40 „ _ 636,55 M 

Verschiedene sonstige Ausgaben für Brief- a ne i 

papier u. Drucksachen, Porto und dergl. 155,65 M - 792,20 M 

Daher Restbestand. . .. . a ee een 08,350 


3. Durch treue Mitarbeit mehrerer Mitglieder war es möglich, auch in diesem Kriegs- 
jahr die Herausgabe der „Mitteilungen“ in dem entsprechenden Umfang aufrecht zu 
erhalten. Der an die Mitglieder immer wieder gerichtete Wunsch des Herausgebers, 
soweit nicht Mitarbeit überhaupt in Frage kommit,' wenigstens durch Mitteilung von 
Wünschen, Anregungen oder dergl. der Sache zu dienen, ist unerfüllt geblieben. Hof- 
fen wir, daß im nächsten Jahre, in dem hoffentlich friedliche Verhältnisse eintreten 
werden, das Versäumte nachgeholt wird. Scheint den Mitgliedern der Jahrgang 
1915/1916 unserer „Mitteilungen‘‘ etwas einseitig, so’ bitte ich das mit den Schwierig- 
keiten zu erklären, die in den gegenwärtigen Verhältnissen natürlich sind. 


28 


F) 


Ara Da img 


EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA 


HÜTE 


Altnordische Dichtung und Prosa 
Herausgegeben von Professor DR. FELIX NIEDNER 


24 Bände. Jährlich erscheinen 3 bis 4 Bände 


FELIX NIEDNER, ISLANDS KULTUR ZUR WIKINGER- 
ZEIT. Einleitungsband, mit 24 Ansichten und 2 Karten. br. M 4.50, 
geb. M 6.— 


Die Aufgabe dieses einleitenden Bandes ist, das historische Verständnis der Sagas und der 
Skaldendichtung zu erschließen. Große Sachkenntnis und klare Darstellungsgabe vereinigen 
sich mit knapper künstlerischer Form. 

Unentbehrlich ist aber dieser Band für die Käufer der Sagas, weil er zwei von Professor 
Herrmann gezeichnete Karten enthält. Die eine verdeutlicht die Schauplätze der Sagas, 
die andere gibt einen Überblick über die Wikingerzüge bis nach Amerika und bis zum 
Mittelmeer. 


Bd.ı EDDAI, HELDENDICHTUNG. Übersetzt von Felix Genz- 
mer. Mit Anmerkungen und Einleitung von Andreas Heusler. 
8. Tausend. br. M 3.—, geb. M 4.50 


Leipziger Neueste Nachrichten: Genzmer kommt der Kongruenz mit dem Originale 
so nahe, daß man das Empfinden, eine Übertragung zur Hand zu haben, vollständig verliert, 
Sie ist vielfach von so konzentriert anschaulicher Darstellung, daß sie wie gehämmert er- 
scheint, gehämmert mit der Wucht bildstarker, kurzer nackter Sätze. Diese Übersetzung ge- 
stattet uns ein Einleben in die heidnisch-heldige Zeit wie keine ihrer Vorgängerinnen. 


Bd. 2 EDDA U, GÖTTERDICHTUNG UND SPRUCHDICH- 
TUNG. Übersetzt von Felix Genzmer. (Erscheint nach dem Kriege.) 


Bd. 3 DIE GESCHICHTE VOMSKALDENEGIL. Übersetzt von 
Felix Niedner. 4. Tausend. br. M 4.—, geb. M 3.50 


Literarischer Handweiser: In Egilist der wilde Geist desalten heidnischen nordischen 
Reckentums noch treu erhalten. Schrankenlose Rachsucht, Habsucht, Zerstörungslust, raffi- 
nierteste Hinterlist gegen den Verräter auf der einen Seite, auf der anderen heldenhafte 
Furchtlosigkeit und Tapferkeit, Freundestreue, Großmütigkeit, Rechts- und Mannesstolz — 
all das erscheint hier ins Gigantische gesteigert und in der großen wilden Gestalt dieses 
Skalden zu lebendig individueller Einheit verkörpert. Dem Besten, was der moderne Mensch 
in sich trägt, kommt das bedeutende Werk entgegen. 


Bd.4 DIE GESCHICHTE VOM WEISENNJAL. Übertragen von 


Andreas Heusler. Mit einer Karte, br, M 6.—, geb. M 7.350 
Volksblatt Wien: Die Njalssageübertrifft an Umfang, Großzügigkeit der Darstellung und 
an Feinheit der Charakterzeichnung alle anderen. Sie ist das Werk eines großen Dichters. 


- Nirgends sonst findet sich eine solche übergroße Fülle lebensfroher Gestalten. Der weise, 


gütige Njal, der waffengewaltige Guunar und Kari, der Ritter ohne Furcht und Tadel; von 
den oft feinziselierten Nebenfiguren ganz zu schweigen. Oder welch gewaltige Frauengestal- 
ten birgt dieses große Drama von Weiberhaß und Weibertücke in sich! Man denke an 
Hallgerd, Bergthora, Hildigun. Der Künstler erschöpft sich nicht an der bloßen Realistik, 
er strebt darüber hinaus zu etwas Höherem. Seinem tiefsten Wesen nach ist er Idealist 
und so erscheinen alle seine Figuren wie auf Goldgrund. Vom Stile kann nicht Lobes genug 
gesagt werden und man weiß nicht, was man mehr rühmen soll: die naturfrische Sprache, 
die wirklich Sprache des Lebens ist; den gewichtlosen Satzbau; den geistreichen Dialog mit 
seinen Spitzen Redepfeilen ; oder endlich den vielbewunderten Rhythmus der W.ortstellung. 
Freilich war auch ein Meister am Werke. 


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Bd. 5 DIE GESCHICHTE VON DEM STARKEN GREIIR, 
DEM GEÄCHTETEN. Übersetzt von Paul Herrmann. Mit 8 An 
sichten und ı Karte. br. M 5.—, geb. M 6.50 SE 
Diese Saga gibt uns das herbtragische, von abergläubischen Vorstellungen und Märchen t n- # 
sponnene Bild eines vom Schicksal verfolgten Mannes. Grettir ist Islands sagenumwoben et h 
Nationalheldgeworden,unterallen Charakteren derSagasteigteralleinins Symbolischehinauf: ” 1% 


nn GE EER u a u uw 
Bd,6 DIE GESCHICHTE VON DEN LEUTEN AUS DEM 
LACHSWASSERTAL. Übertragen von Rudolf Meißner. Mit einer |” 
Karte und einer Stammtafel. br. M4.—, Hperg. geb.M5.50 | 
Diese prächtige Saga mit ihren starken Charakteren ist eine prosaische ‚Schwester der | 
eddischen Dichtung und umfaßt die Schicksale von 8 Geschlechtern; sie spielt im Tälerbı Se 
zirk des Hvammsfjords undreicht von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis 1073. Diese Bauern- ar 
geschichte erhebt sich in ihrem Hauptteil zu ergreifender Tragik. Schon um der Gestalt | | 
der Gudrun willen gehört sie zu den ewigen Meisterwerken der Weltliteratur. Me f 
=. L 
7 | 


TREE EG EHE k 7: 
Bd. 7 DIE GESCHICHTE VOM GODEN SNORRI. Übertragen” 
von Felix Niedner. (Erscheint Frühjahr 1917) | = 


er DET 
Bd.g VIER SKALDENGESCHICHTEN. Übertragen von Felix | 
Niedner. br. ca. M4.50, geb. M 6.— 227 FE 
In der Persönlichkeit des Skalden hat der heldenhafte und künstlerische Geist desalten Island "} 
seinen vielseitigen Ausdruck gefunden. Die eingestreuten Skaldenlieder haben mit den Lie | f 
dern der „Edda“ das gehobene Lebensgefühl gemeinsam un 
* durch die Stimmung des Augenblicks. 


durch die Stimmung des Augenbile@S- 17 1 7 
Bd.ıoFUNF GESCHICHTEN AUSDEM WESTLICHEN NORD- | 
LAND. Übertragen von Frank Fischer und W.H. Vogt. Mit einer 


Karte. br.M 5.—.,. geb. M 6.50 | > 
Von den kleineren Sagas zeigen die aus dem westlichen Nordland das alte Heldentum ver- | 
bunden mit siegreicher Bauernpfiffigkeit; in denen aus dem östlichen Nordland erscheinen 
mehr kondottierenhafte Haudegen; die aus dem Ostland haben kleinbäuerlichen Hintergrund. "7 


Bd. ıı FÜNFGESCHICHTEN AUS DEM ÖSTLICHEN NORD- | 


LAND. Übertragen von Wilh.Ranischund Frank Fischer. (Erscheint }° 
Frühjahr 1917) 2 
In den Sagas aus dem Nordosten des Inselfjords herrscht allenthalben Fehde und Blutver- | 
gießen. In Glum ist ein berserkerartiges Draufgängertum mit ausgesuchter Hinterlist gepaart; | 
doch versöhnt uns mit ihm seine Skaldendichtung, Es liegt eine tragische Ironie darin, daß | 
er im Gesang nicht verbergen kann, was er sonst mit äußerster Schlauheit und Tücke, auch f 
durch zweideutige Eide, verbirgt. ; FR Br 

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Sa 12 SIEBEN GESCHICHTEN VON DEN OSTLAND-FAZI 


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MILIEN. Übersetzt von Gustav Neckel. br. M 3.50, geb.M5.— | 
Diese Geschichten sind geographisch und innerlich eine Einheit. Mehr.novellistisch gehalten 
als andere Sagas, stellen sie die Sagawelt mit ihrem Thema: „Menschengröße und Menschen- 
schicksal‘‘ im kleinen dar, ra Zu 
Bd. ı3 GRÖNLÄNDER UND FÄRINGER GESCHICHTEN. 


Übersetzt von Erich von Mendelssohn. br. M 5.—; geb.M 6.50 
General-Anzeiger fürHamburg-Altona: Wie die Egilsaga die Entdeckung und E 
siedelung Islands, sobehandeln die vorliegenden Geschichten zum größten Teildie Besiedel 
Grönlands und Abenteuerfahrten nach dem amerikanischen Festland. KT: 


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Ausführliche Verzeichnisse über dıe Samm- 


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OKTOBER 1916 


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EIBRARN 


DER ISLANDFREUNDE 


ORGAN DER VEREINIGUNG 


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Inhalt 


I. Sigurdur Sigurösson, An Deutschland ............ 29 
II. Derselbe, Der’heilige’Hain 7.7. 22 Eee: 30 
III. Paul Herrmann, Die'Glama- 2 2222 rs 31 A 
IV. J.C. Poestion, Gunnar von Hlidarendi ....... TR 39 
V- Nachrichten’aus Island See 43 
Adressenänderungen, Mitgliederstand ............ 44 


Tafel'ı.. Langabol am’Isatjöröur . „2. en. Ser 

Blick auf die Gläma vom Dyratjöröur AUSEREWEERER 
Tafelar@lama;"höchsterBunkt rer 
Glama; Paß nach dem Arnarfjöröur ........ 


An unsere Mitglieder 


Da mit dem ersten Hefte des vierten Jahrganges unserer 
„Mitteilungen“ zugleich unser 


neues Geschäftsjahr — ı. Juli ee — 


begonnen hat, gestatten wir uns zu bitten, den für das 
genannte Geschäftsjahr fälligen Jahresbeitrag mit M 6.— 
an unseren Kassenwart, Herrn Eugen Diederichs, Jena, 
einzusenden. 

Die Mitglieder, die noch mit Zahlung ihres Beitrages 
für das vergangene Geschäftsjahr im Rückstande sind, 
bitten wir, den entfallenden Betrag ebenfalls an die ge- 
nannte Adresse einzuzahlen. 
Nur durch pünktliche Erfüllung dieser Bitten setzen uns 
die geehrten Mitglieder in die angenehme Lage, die 
„Mitteilungen der Vereinigung“ auch weiterhin erschei- 
nen zu lassen. 


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MITTEILUNGEN DER 
ISLANDFREUNDE 


ORGAN 
DER VEREINIGUNG DER ISLANDFREUNDE 


HERAUSG.: PROF. DR.W.HEYDENREICH IN EISENACH U. DR. H.RUDOLPHI | 


IN LEIPZIG / VERLAG VON EUGEN DIEDERICHS IN JENA 


Die Mitteilungen der Islandfreunde erscheinen als Vierteljahrsschrift und 
werden den Mitgliedern der Vereinigung kostenlos geliefert und vom Verlage 
zugesandt. Der Mitgliederbeitrag beträgt jährlicı 6 Mark 


IV. Jahrg. Oktober 1916 | Heft 2| 


1. DYZKALAND. AN DEUTSCHLAND! 


Heill se per, heill se per, hreystinnar land, Heil dir, Heil dir, der Helden Land! 


med hugprydi og karlmensku porid, Im Herzen des Mutes Wonne 

og manndömsins kraft til ad bera Pinn und Manneskraft unter Kampfgewand, 

blessi pig sölin og voriö! [brand, dich kröne des Frühlings Sonne! 

Herörn pinn fljügi yfir lög og 1ä4ö Dein Adler sich schwinge über Aue und Flut 

sem lifandi mynd af hetjudäd. das Abbild von Deutschlands Heldenmut! 

Heill se per, vinnu og visinda land, Heil dir, des Wissens geheiligtes Land, 

med vit til ad reisa og brjöta. wo die höchsten Güter entsprießen. 

Pu breidir üt fangiö sem bylgjan viö sand Den Busen uns streckst wie die Brandung 
am Strand 

og byöur oss hinum ad njöta und beutst uns den andern genießen 


og lauga oss f spekinnar lindunum beim, und baden im Weisheitsborn uns gesund, 
lengstum og dypstum og mestum fi heim. dem besten und tiefsten im Erdenrund. 


Heill se per. landiö meö listanna sveig Heil dir, der Künste bekränztes Land, 


og logandi eldinn i barmi. mit kochendem Blut im Herzen. 
Hvar drukku eyru vor tönanna teig Ein Land nie laut’rere Töne fand 
tzrara { gleöi og harmi? des Lebens Freuden und Schmerzen. 


öll veröldin skuldar per pökk fyrir pad, Die Welt steht zu dir in Dankespflicht 
sem pjööverskur snillingur söng eda kvad. für deutsches Gefühlin Gesang und Gedicht. 


Heill se per, landid med sorganna sj66, Heil dir, der schweren Sorgen Land, 


signad { voda og raunum, gesegnet in qualvollem Streben, 

med hetjur, er gäfu sitt heilaga bl6ö mit Helden, die gaben als heiliges Pfand 
0g hlutu svo eilifö ad launum. ihr Herzblut zum ewigen Leben. 

Täranna dögg yfir gras og grund Erblühen wird in Acker und Au 


gefur ber framtidar uppskeru if mund. die Ernte dem blutigen Zährentau. 


! Das Gedicht steht isländisch und deutsch in „Isafold‘‘ vom 23. 8. 1916. Die deutsche 

setzung, bei der besonders noch auf den Stabreim hingewiesen sei, ist eine prächtige 
Leistung eines Isländers. Der Herausgeber der ‚Mitteilungen‘ hat eine größere Anzahl 
des betreffenden Blattes liegen und stellt sie den Mitgliedern auf Wunsch zur Verfügung. 


3 29 


Hreystinnar, lista og pekkingar pj6d, Tapferes Volk, es fällt uns schwer 


bungt er aö horfa’ & pig blz&da, dich fechtend im Bilute zu sehen, 

en vitiö pitt segir, ad sorgin er g6d, du weißt, daß auch schön ist ein Sorgenheer, 
ef hün svifur meö andann til hxöa. denn es’schwebt mit dem Geist in die Höhen. 
Alvaldur snti per öllu til hröss, Die Allmacht gebe, daß in Ewigkeit 
eiliföargengis og framtiödarljöss ! dir alles blühe im Lichte der Zeit! 
Sigurdur Sigurdsson Übersetzt von Dr. Alexander J shannesson 


I. DER HEILIGE HAIN 
Von SIGURD SIGURDSSON?! 

In scharfem Schreiten, 
Glücks und Unglücks Zeiten 
Eilt das Leben stromgleich hin wie Träume gleiten. 
Tief am Boden, trotz der Freuden Klänge, 
Unter Steinen, liegt der Schmerzen Menge. 
Jubelschall erstickt in innerem Klagen, 
Mag die Freude noch so hoch sich wagen. 
Sinkt die Nacht herein, dann nagen 
Frühre Zeiten an des Herzens Enge. 


Wenn Dunkelheit schreitet, 

Denkraum sich weitet, 

Wachen Sorgen, über Freuden Schlaf sich breitet. 
Frührer Jahre Töne hört man klingen 

Leichter Tage schrille Laute singen: 

Kampfesstolz jetzt Friedensbitten sendet, 

Frohes Lachen schweigt, die Rede endet. 

Hilf’ und Ausweg fehlt, der Geist sich wendet 
Funken zu, die heil’gem Feu’r entspringen. 


Das stille Heiligtum im Traum 

Gewährt durch Himmels Gnade Raum 

Dem Armen wie dem Reichen, 

Wo ständig blüht der grüne Baum, 

Ein hehres Friedenszeichen, 

— Fern von des Meeres Brandungsschaum — 
Wo alle Schmerzen weichen. 

Mit bloßem Fuß sollst du dem Saum 

Des Opferherds erreichen. 


! Das Gedicht soll den Verfasser des Grußes „An Deutschland“ einigerm2! Dankesgrü 
machen, und zugleich soll die Übersetzung und Verbreitung desselben er uf Wieder 
eines Deutschen an den Verfasser sein. Wie in früheren Versuchen habe ich ® w.f. 
gabe der Alliteration verzichtet, dafür Metrum und Reim streng eingeb er 


30 


Gen bekannte! 


Zum Opfer gib dein Herzensblut, 
Des Denkens bestes Geistesgut 

Leg’ am Altare nieder; 

Wie Herzen läutert Jammersglut, 
Von Schlacken reinigt wieder, 

Holt dort der Dichter neuen Mut 
Und feinsten Stahl die Lieder. 
Dann hält sein Sang in heil’ger Hut 
Die Muttersprache bieder. 


So komm’ und schwör’ beim heil’gen Herd, 
So viel dein Kreis dir Kraft gewährt 
Dem Haine Treu’ zu halten; 
° Was Wunder uns das Auge lehrt, 
Was Geisteskräfte walten, 
Was Schönheit uns die Welt beschert, 
Seh’n dort wir sich gestalten. 
In diesem Hain, verehrungswert, 
Die Herzen nie erkalten. 


Altars Strahlen 

Auge glänzend malen 

Wärmen Dichters Herz, erregen Freud’ und Qualen. 
Wie Wellensäuseln und wie Meeresbeben 

Hauch und Sturm im Reich der Töne wechseln. 
Des Himmels Pracht und Erdenleid erklingen 

In den Herzen, wenn die Saiten singen; 

Wo die Klänge in die Seele dringen, 

Wird der Geist zum wahren Ziele streben. 


IT. DIE GLAMA 
Von PAUL HERRMANN 
I. Geschichte der Forschung 

N)‘ Gläma liegt auf der großen Halbinsel Vestfirdir (‚‚Westfjorde‘), die 
sich wie eine ungeheure Hand mit vielen gigantischen Fingern ins Meer 
nach NW. erstreckt, zwischen dem Arnarfjöröur und dem I’safjaröardjüp 
(„Eisfjordtiefe‘‘), nimmt also dasinnere Hochland zwischen der Bardastrand- 
arsysla und dem südlich des I’safjaröardjiip gelegenen Teile der I’safjardar- 
sysla ein. Die Bewohner des Dyrafjöröur und Arnarfjöröur (mit seinen 
Verzweigungen Borgar-, Geirbjöfs-, Trostans-, Reykjar- und Fossfjöröur) 


” 34 


müssen also, ebenso wie die Leute der Fjorde des nördlichen Breiöifjöröur, 
vom Vatnsfjöröur an bis zum Skälmarfjöröur, über die Gläma ziehen, um 
auf dem Landwege nach den Gegenden an der Eisbuchttiefe zu gelangen. 
Südlich von dieser schneidet eine so große Menge von Seitenfjorden in das 
Land ein, daß der Weg die Küste entlang, wenn man die Gläma umgehen 
wollte, außerordentlich zeitraubend wäre. Außerdem sind die Küstenberge 
in diesen Fjorden sehr steil, oft geradezu unpassierbar. Obwohl also die 
Gläma die einzige Verbindung zu Lande zwischen diesen großen Fjorden ist, 
wird sie doch nur sehr selten benutzt. Es gibt mindestens drei Wege über 
die Gläma. Von Vattarnes am Skälmarfjöröur (skälm = kurzes Schwert) 
nach dem Y’safjöröur führt die Skälmardalsheiöi, ein oft benutzter Weg; 
unter einer „heiöi‘‘ ist nicht das deutsche ‚Heide‘‘ zu verstehen, sondern 
eine Hochebene oder ein Plateau. Der zweite Weg führt vom Skälmarfjöröur 
nach dem Geirpjöfsfjöröur den südlichen Rand der Gläma entlang, er wird 
gar nicht mehr benutzt. Der dritte ist der Hauptweg, heißt darum auch 
schlechthin Glämuvegur (vegur = Weg) oder seit altersher Glämuheiöi und 
geht vom Arnar- oder Dyrafjö:öur nördlich über die Gläma nach den Fjorden 
des I’safjaröardjüp. Einen vierten Weg kennt die Volkssage, er soll vom 
Vatnsfjöröur nach dem Geirpjöfsfjöröur geführt haben, bildete also gewisser- 
maßen eine Teilstrecke des zweiten; ‚Männer der Vorzeit‘ sollen über einen 
Fluß am ‚„Wasserfjord‘‘ eine Brücke gebildet haben, indem sie quer über 
das schmale Felsenbett drei große Steine wälzten. Der isländische Natur- 
forscher Sveinn Pälsson (I762—1840), der die erste zusammenhängende Be- 
schreibung der Gletscher Islands geliefert hat, erwähnt einen alten Gebirgs- 
weg (Fjallasyn) quer über die Gläma vom I’safjöröur nach der Baröa- 
strönd. Noch 1855 dachte man ernstlich daran, ‚wie man einen Weg finden 
und legen könnte über die Glämuheidi, vom Dyrafjöröur nach dem Innern 
des I’safjaröardjüp und ebenso nach dem Vatnsfjöröur und der Müläsveit 
Baröastrandarsyslu‘“ (d. h. bis Vattarnes und der Halbinsel zwischen dem 
Kerlingar- und Skälmarfjöröur; Thoroddsen, Lysing IY’slands II, S. 16, 
Anm. ?). Aber die aufkommenden Küstenfahrten der Dampfer haben diesen 
Plan wohl für immer vernichtet. 

Für unsere Zwecke kommt nur der Hauptweg, der Glämuvegur, in Betracht. 
Es gilt zunächst, die Zeugnisse über ihn vom Altertum bis zur Gegenwart 
zu sammeln und aus diesem Zeugenverhör festzustellen, als was die Gläma 
den Menschen der verschiedenen Zeiten gegolten hat, ob sie sie für einen 
Gletscher oder für ein Firnfeld gehalten haben. Denn die etymologische 
Deutung des Namens führt zu keinem Ergebnis: altnordisch glämr = blaß- 
gelb, norweg. glaamen = blaß, von kränklichem Aussehen, glaama — blauer 
Fleck in der Haut, schwed. glämig = der blasse Gesichtsfarbe und blaue 


32 


H. Benary phot. 1914 


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Laugaböl am Isafjördur 


H. Benary phot. 1914 


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Blick auf die Gläma vom Dyrafjöröur aus 


Ringe unter den Augen hat (mein Island, III, S. 171; Falk-Torp, Norwegisch- 
Dänisches Etymologisches Wörterbuch, 1910, I, S. 324). Gläma könnte also 
sowohl ein blasses Schneefeld wie einen mattblauen Gletscher bezeichnen, 
oder einen Gletscher oder ein Schneefeld, deren Oberfläche nicht ganz weiß 
ist, sondern große, schwarze Flecken aufweist. 

Eine mythische Überlieferung von der Gläma gibt es nicht. Glämr wird 
in der Edda des Snorri Sturluson (Ausgabe von Finnur Jönsson, Kopen- 
hagen 1900, S. 198) unter die Riesen gezählt, und in der Bärdar saga Sn&- 
fellsäss, deren Grundstock Volkssagen bilden, die sich die Bewohner der 
Gegend um den Snfellsjökull von dem Berggeist Bärör erzählten, werden 
bei einem Gastmahle der Riesin Hit auch Glämr und A’mr aus den Miö- 
fjaröarnesbjörg genannt (Ausg. von Vald. A’smundarson, Reykjavik 1902, 
K. 13, S. 32). Glämr müßte also auf der Halbinsel zwischen dem Hrüta- 
und Miöfjöröur gewohnt haben. Das paßt aber nicht für die Verkörperung 
unseres Schneeriesen, sondern für den aus der Geschichte vom starken 
Grettir bekannten dämonischen Nachtspuk. Die heutige isländische Volks- 
sage hat ihn jedenfalls völlig vergessen. 

“ Wenden wir uns zu den ältesten geschichtlichen Belegen, so muß zunächst 
ein kleiner Irrtum berichtigt werden, der allerdings rein örtlicher Art ist. 
Um das Frühjahr 866 bestieg der Norweger Flöki, den die Erzählungen der 
beiden ersten Entdecker Islands, des Norwegers Naddoör und des Schweden 
Gardar verlockt hatten, das ferne Land aufzusuchen, von der Baröaströnd 
aus einen Berg und sah nördlich jenseits des Gebirges einen Fjord voller 
Treibeis und nannte darum das Land I’sland (Eisland), wie es seitdem heißt. 
Die Bewohner der Baröastrandarsysla glauben noch heute, wie mir mein 
Führer Ögmundur Sigurösson erzählte, der übrigens selbst diesen Irrtum 
teilte, daß Flöki die Gläma bestiegen und von hier aus die Fjorde vom Borg- 
arfjöröur bis zum IY’safjaröardjüp überblickt habe. Aber diese Annahme 
ist ganz verfehlt. Einmal ist die Gläma denn doch nicht von Süden im Hand- 
umdrehen zu besteigen, vollends nicht ohne größere Vorbereitungen. So- 
dann aber hat schon längst Th. Thoroddsen gezeigt, daß der Berg in der 
Nähe von Brjänsl&@kur, von dem aus man Fernsicht hat, kein anderer ge- 
wesen sein kann als die Hornatzr (740—750 m hoch): von hier aus kann 
Flöki auf den Arnarfjöröur und die Südfjorde gesehen haben und vielleicht 
etwas vom I’safjaröardjüp (Geschichtederisl. Geographie, übersetzt von August 
Gebhardt I, 1897, S. 22, 23; Thoroddsen, Geogr. Tidskrift Bd. 22, 1914, S. 206). 

Zum ersten Male wird die Glämuheiöi in der von 995—1030 spielenden 
„Geschichte von den Schwurbrüdern‘‘ erwähnt (Föstbr&dra saga, Kopen 
hagen 1852, K. ıo, S. 34): Der Skalde Pormöör, Schwurbruder des Porgeirr 
Flävarsson, mit dem er unter dem Rasen den Blutsbrüderbund geschlossen 


33 


hatte, verlebte einige Winter auf Laugaböl und fing aus Langeweile ein 
Liebesverhältnis mit Pördis an, der schönen Tochter der Witwe Grima auf 
Ögr, einem Hof am äußersten Ende des östlichen Skötufjördur. Als Dor- 
möör trotz aller Vorstellungen Grimas, die ihre Tochter nicht ins Gerede 
kommen lassen wollte, von seinen Katersteigen nicht abließ, dang Grima 
ihren Knecht Kolbakr, den Pormöör zu überfallen, während er über das Eis 
der Bucht nach Hause ginge, nachdem sie ihn mit Zauber so gehärtet hatte, 
daß ihn keine Waffe verletzen konnte. Der Überfall gelang, Pormöör blieb 
sein ganzes Leben lang linkshändig. Grima aber schenkte dem durch diese 
Tat friedlos gewordenen Knechte die Freiheit, darauf ritten sie mit zwei 
Reit- und zwei Lastpferden heimlich bei Nacht ‚von Ögr über die Glämu- 
heidi nach dem Arnarfjörör und dann über das Hochland und die Berge 
entlang nach der Baröaströnd und kamen in der Nacht nach dem Fjord 
Vadill‘ (heute Hagavadall). Grima und Kolbakr haben also die Gläma vom 
Skötufjöröur (‚‚Rochenfjord‘‘) aus überschritten nach dem Borgarfjöröur 
zu, dem nordöstlichen Seitenfjord des Arnarfjöröur; sie haben den gewöhn- 
ichen Glämuweg also etwa in der Mitte erreicht. Leider ist weder auf dem 
Hin- noch auf dem Rückwege die Länge der Zeit angegeben; denn daß sie 
von Ögr bis Vaöill nur die Nacht des Aufbruchs bis zur nächsten unter- 
wegs gewesen wären, ist ganz ausgeschlossen. Zwei volle Tage wird der Ritt 
zum mindesten beansprucht haben, wenn sie überhaupt an einem Tage von 
Ögr nach dem Borgarfjöröur gekommen sind. 

In der großen Sturlunga saga, die die letzte Zeit des isl. Freistaates und 
seinen Untergang behandelt, wird einmal die Glämuheiör, zweimal die Gläma 
erwähnt (Ausg. von Kälund, Kop. 1906—ıgı1ı, Bd. I, S. 312 [Biskupas. I, 
671]; 362, 452). Im Frühjahr 1213 um Langfasten brach der nichtswürdige 
Porvaldr Snorrason vom I’safjöröur mit 32 Mann auf, um den edlen, künst- 
lerisch hoch und religiös tief veranlagten Hrafn Sveinbjarnarson auf seinem 
Hofe Rafnseyri am Arnarfjöröur zu überfallen. Sie zogen über die Glämu- 
heiöi nach dem Arnarfjöröur, und als sie auf den Grund dieser Bucht 
niedergestiegen waren, banden sie die Bewohner, damit keiner ihren An- 
schlag verraten könnte. Der Überfall gelang. Im Jahre 1222 schickte Dor- 
valdr von Reykjanes an dem Vatnsfjöröur, der nördlichen Bucht zwischen 
Mjöfi- und Y’safjöröur, den Halbjörn Kalason über die Gläma nach Sandar 
in der Mitte des Dyrafjöröur. Leider wird die Dauer der Reise nicht angegeben. 

Im Jahre 1234 endlich zog O’roekja mit 45 Mann über die Gläma, andere 
45 Mann zogen über die Hgstfjaröarheiöi und vereinigten sich im Arnar- 
fjördur, um Oddr Alason auf Rafnseyri zu überfallen. O’rskja schlug also 
den gewöhnlichen Weg über die Gläma ein, die andere Schar blieb etwas 
nördlich. Im Jahre 1392 ritt der isländische Häuptling Vigfüs I’varsson 


34 


mit go bewaffneten Rittern über die Gläma (Safn til sögu I’slands II, 627; 
Storm, Islandske Annaler, Christ. 1888, S. 424). 

Aus diesen Zeugnissen geht einmal hervor, daß der sogenannte Glämuvegur 
über den Nordrand der Gläma von den Seitenfjorden des I’safjaröardjüp 
nach dem Arnarfjöröur fast 400 Jahre lang im Gebrauche war, und zweitens, 
daß der Name Glämujökull (Gletscher) noch nicht bekannt gewesen zu sein 
scheint. Wann diese Bezeichnung aufgekommen ist, vermag ich nicht zu 
sagen; vielleicht äußern sich die Islandfreunde, vor allem Herr Professor 
Thoroddsen gelegentlich darüber. 

Auch die folgende Übersicht bedarf sicherlich der Nachsicht und Ergän- 
zung, mir stand im wesentlichen nur Thoroddsens Landfrs&dissaga I’slands 
Bd. III, IV zur Verfügung. In dem großen Reisewerke über Island schreiben 
Eggert O’lafsson und Bjarni Pälsson, die 1753 den Arnarfjöröur besuchten, 
(Olafsen und Povelsen, deutsche Übersetzung 1774/5 S. 202, $ 550): „Gläma 
liegt im Isefjords-Syssel und reicht gegen Süden an die Grenzen von Barder- 
strands-Syssel; er (!) steht also über und zwischen dem Innersten von 
Arnarfjord und Isefjord. Über diesen Berg ist ein langer und beschwerlicher 
Felsenweg, größtenteils über Eis, Glamu-Heide genannt, angelegt.‘“ Eggert . 
und Bjami halten also die Gläma für einen Gletscher, gebrauchen aber nicht 
den Namen Glämujökull. Auf der Karte von Erichsen und Schöning aber, 
die ihrem Buche vorangesetzt ist (1771), führt die Glaama Heyde von Mjöfi- 
Fjöröur in kühnem Schwunge nw. nach dem Dyrafjöröur und berührt nur 
ein ganz kurzes Stück den Glaama Jökull. O’lafur O’lafsson besuchte 1775 
auf seiner ersten Islandfahrt die Westfjorde und schreibt von der Gläma 
(Olaus Olavius, Ökonomische Reise durch Island, deutsch 1787, S. 20, $ 14): 
„Den Mioe- und Isefiord verbindet der sehr beschwerliche Bergweg Heste- 
kleif... die Glame, welche meist aus Jökel, oder Landeis besteht, geht vor 
den Enden aller vorgenannten [(d. h. I’sa-, Reykjar-, Vatns- und Mjöfifjöröur] 
Meerbusen vorbei und führt zum Önunde-, Dyre- und Arnefiord.“ 

Als im Anfang des vergangenen Jahrhunderts eine Triangulation der 
isländischen Küste von dänischen und norwegischen Offizieren unternommen 
wurde, reiste Leutnant Hans Frisak Mitte Juli 1806 vom inneren Dyra- 
fjöröur über die Gläma nach dem I’safjöröur; die „lautenantavarda 
(Leutnantswarte), ein trigonometrisches Signal auf dem Sjönfriö (,Belle- 
vue‘‘), einer Höhe oberhalb des Arnarfjordpasses, die noch heute besteht, 
soll damals von ihm errichtet worden sein. Im Jahre 1809 wiederholte Frisak 
von der Eisbuchttiefe aus seinen Besuch der Gläma, traf aber Nebel und 
unsichtiges Wetter (Thoroddsen III, S. 264, 270, 271). Japetus Steenstrup 
und Jönas Hallgrimsson fuhren 1840 von Bildudalur über See nach Rafns- 
eyri und dem inneren Dyrafjöröur; von da ritten sie „über den hohen und 


35 


schwierigen Gebirgsweg Gläma nach dem Mjöfifjöröur; (IV, 27, Mindeskrift 
for Japetus Steenstrup Kop. 1913, darin: Thoroddsen, J. St.s Rejser og 
Undersögelser paa Island, IV, S. 10/11). Kristian Kälund, der sich 2 Jahre 
auf Island aufhielt und die Sagastätten persönlich aufsuchte, hat das Er- 
gebnis seiner topographischen und archäologischen Untersuchungen und 
Erkundigungen mit peinlicher Genauigkeit in dem für den Sagaleser unent- 
behrlichen zweibändigen Werke Bidrag til en historisk topografisk Beskrivelse 
af Island niedergelegt (Kop. 1877—1882). Er reiste 1874 vom Geirbjöfs- 
fjöröur über die Dynjandaheiöi nach dem Arnar- und Dyrafjördur und von 
da über die Gläma nach dem Vatnsfjöröur am I’safjaröardjüp. Ihm, dem 
Philologen, verdanken wir die erste ausführliche Beschreibung der Gläma. 
Er erwähnt den oben beschriebenen vierten Weg über die Gläma vom Vatns- 
fjöröur am nördlichen Breiöifjöröur nach dem Arnarfjöröur und stellt fest, 
daß der Gletscher auf der Karte von Björn Gunnlaugsson aus dem Jahre 
1848 den bewohnten Gegenden hier zu nahe kommt (I, 548). Ebenso schreibt 
er von der Skälmardalsheidi, die nach Björns Karte über den Glämujökull 
führen müßte, daß dies nicht der Fall sei, der Gletscher schiene überhaupt 
auf der Karte eine allzugroße Ausdehnung nach S und O erhalten zu haben 
(I, 537 Anm.). Mit dieser Beobachtung stimmt Thoroddsen überein (Geo- 
grafisk Tidskrift Bd. IX, 1887/88, S. 37/38): Der Glämugletscher ist auf 
Gunnlaugssons Karte viel größer gezeichnet als er in Wirklichkeit ist; auf 
der Karte hat er ein Areal von ca. 8 Quadratmeilen, während er in Wahrheit 
kaum halb so groß ist. Obwohl die Gläma der einzige Landweg zwischen 
den inneren Seitenfjorden der Eisbuchttiefe und dem Arnarfjöröur ist, 
konnte Kälund 1874 nur einen einzigen Mann als Führer finden, und dieser 
war aus dem I’safjaröardjüp eingewandert. In der Regel geschieht der Auf- 
stieg vom Dyra- oder Arnarfjöröur aus (in der alten Zeit war es umgekehrt). 
Kälund erwähnt weiter die mündliche Sage, daß vom Sjönfriö ı8 Wege 
ausgegangen seien (I, 566 Anm.!). Beiseiner Beschreibung des Aufstieges 
vom Dyrafjöröur aus ist die Bemerkung auffallend (I, 576): ‚„Gletscher- 
spalten trifft man hier und da, doch im allgemeinen keine bedeutenden, 
aber alle ausgezeichnet durch die eigentümliche blaugrüne Farbe, die von 
ihren Seitenwänden ausstrahlt, unddie besondersstark zum Vorscheinkommt in 
denttieferen,wenndieWände weiterunten ausstark zusammengepreßtem Schnee 
oder Eis bestehen‘. Zweifellos sieht Kälund also in der Gläma einen Gletscher. 

Das war auch die Überzeugung aller, die sich mit Islands Gletschern be- 
schäftigt haben. Porvaldur Thoroddsen, Islands weltberühmter Geograph, 
hat die Gläma selbst nicht überschritten, bestieg aber 1886 das Vattarfjall 
und hatte von hier einen ausgezeichneten Überblick über das innere unbe- 
wohnte Hochland. Darüber schrieb er in der isländischen Zeitschrift Andvarıi 


36 


H. Benary phot. 1914 


r 


3 „ ER ® 


Gläma; höchster Punkt (links) 


H. Benary phot. 1914 


Gläma; Paß nach dem Arnarfjöröur 


1887, S. 134/35 und in der dänischen Geogr. Tidskrift IX, S. 38 folgende 
wenige Worte: „Der Gletscher erhebt sich alseine schwach gewölbte Schnee- 
fläche zu einer Höhe von 2800 Fuß [In „Island. Grundriß der Geographie 
und Geologie‘“ 1906, S. 173: 230 qkm groß, goı m hoch]; hier und da am 
Gletscherrande sieht man schwarze Felsen, die aus dem weißen Grunde 
emporstehen. Das Hochland selbst um die Glama ist eine schwach wellen- 
förmige, steinige Hochebene ohne Vegetation mit großen verstreuten Schnee- 
haufen in den Niederungen. Es ist mir nicht bekannt, daß irgendein Gletscher 
sich von der Gläma in die Täler hinabstreckt; der Gletscher selbst besteht 
aushartem, zusammengepacktem Schnee mit vereinzelten Spalten und Rissen“. 
In der Hauptsache hat Thoroddsen diese Ansicht auch in seinem „Grundriß“ 
beibehalten (S. 173), spricht hier aber von Wegen über das „Firnfeld‘“, 
die in alter Zeit benutzt worden seien und betont, daß keiner von den Flüssen, 
die durch nahegelegene Täler fließen, Gletscherwasser führe, nur die Vatns- 
dalsä& und Vattardals& seien ab und zu schwach milchfarbig von Gletscher- 
lehm. Nachdrücklich hebt Thoroddsen hervor, daß im Gegensatze zu der 
Karte von Björn Gunnlaugsson Pingmannaheidi und Skälmardalsheiöi, die 
beiden Hochebenen südlich und östlich der Glama, vollkommen gletscher- 
frei seien. In „Lysing I’slands“ Kop. ıgıı, II, S. 16, 591 rechnet Thoroddsen 
die Gläma zwar noch zu den Gletschern Islands, hebt aber wieder hervor: 
„Mir ist nicht bekannt, daß Schreitgletscher (= Gletscherzungen) von der 
Gläma ausgehen; dieser Gletscher ist sehr veränderlich, je nach der Tem- 
peratur, er ist bisweilen größer und bisweilen kleiner, zuweilen ist die Schnee- 
decke so geschmolzen, daß Rücken und Kämme zutage treten“. Im zweiten 
Bande endlich seiner großen Feröabök, Kop. 1914, S. 34 nennt er die Gläma 
einen „Schneeschild‘, also etwa eine runde Firnkuppe. Wir sehen deutlich, 
wie sich die Anschauungen des Meisters der isländischen Geographie gewan- 
delt haben, wie viel vorsichtiger er in seiner Annahme geworden ist, daß die 
Gläma ein Gletscher sei. Freiwillig gespendete und oft erbetene Auskünfte 
aller Art, schriftliche oder gedruckte von Bauern und Gelehrten halten ihn 
über seine Heimat auf dem Laufenden, auch wenn er seit Jahren in Kopen- 
hagen lebt. Vor allem scheint ein Aufsatz von Stefän Stefänsson, Leiter der 
Realschule in Akureyri, in Thoroddsens Anschauung eine Änderung hervor- 
gerufen zu haben. Dieser bekannte Botaniker, dem wir eine ausgezeichnete 
„Flöra Islands“ (Kop. 1901) verdanken, war August 1893 vom Lambadalur 
über die Gläma nach dem Dyrafjöröur geritten. „Es klingt unglaublich, 
ist aber gleichwohl wahr, wir kamen auf die Höhe der Gläma, ohne auf nen- 
nenswerten Schnee zu stoßen ....“‘ „Gletschereis ist nirgends, nur vereinzelte 
Schneehaufen hier und da; die höchste Erhebung heißt Sjönfriö, ein be- 
zeichnender Name, denn die Aussicht von hier ist weit und wundervoll über 


37 


das ganze Westland, nordöstlich der Drangajökull, südwestlich Snfells- 
jökull, im Osten der Eiriksjökull ... .“ Stefän konnte einige Gräser und 
Moose auf dem Sjönfriö sammeln, die den Beweis lieferten, daß niemals 
dauernd Schnee oder Eis hier gelegen haben können und kam daher zu dem 
Schlusse, daß der Glämugletscher von der Karte zu streichen wäre (vgl. 
die isländische Zeitschrift Skirnir, Bd. 84, 1910, S. 34—39; ebenda Thorodd- 
sens Antwort S. 138—140). Unabhängig von ihm kam Heinrich Winkel, 
allein auf Grund von Thoroddsens Angaben, zu der Überzeugung, daß die 
Gläma kein Gletscher wäre: sie habe keine Bewegung, keine Spalten und 
Risse, die Gletscherzungen fehlten, und von ihr gingen keine Gletscherflüsse 
aus; darum sei sie kein Gletscher, sondern nur eine Ansammlung von Schnee, 
also ein gewaltiges Firnfeld (Mitteilungen der Islandfreunde I, 1914. S. 45). 
Die Gläma ein Gletscher oder ein Firnfeld — das ist also jetzt die Frage. 
Oder ist gar die Nordseite schon sehr lange Zeit nicht mehr von Eis oder 
Firnfeld bedeckt gewesen? Hat vielleicht das Nichtschmelzen des Winter- 
schnees in einer naßkalten Periode den Irrtum hervorgerufen ? 


em Wunsche Prof. Herrmanns entsprechend, seine Abhandlung über die 

Gläma durch Angaben aus dem Kreise der Islandfreunde wenn möglich 

hier und da erweitert zu sehen, folgen hier zunächst zwei Notizen, die 
uns H. Erkes, Köln, übersandte: 

I. „Nach meinen Erkundigungen sind tatsächlich die Bauern aus dem 
Mjöifjördöur manches Mal über den „Gletscher‘‘ gestiegen, ohne über Eis 
oder Firn zu kommen, vielmehr fanden sie auf dieser Höhe nur Gestein, 
und zwar die überall im Nordwesten Islands vorkommende, von Frost 
zersprengte Basaltdecke vor. Nur nach strengen Wintern und in kalten 
Sommern bleibt der Schnee auf der Gläma das ganze Jahr hindurch liegen.“ 

2. Die Karte Knopfs von 1734 (herausg. in Nürnberg 1761) scheint die 
erste Karte mit der Bezeichnung Glama Jokul zu sein; diese Karte stützte 
sich auf die sog. Guöbrands Karte, die vom Bischof Guöbrandur porläksson 
um 1570 gezeichnet, 1585 angeblich von Ortelius gestochen und dem Orte- 
lius-Atlas 1595 unter dem Namen Vedels (A. Vellejus) beigefügt wurde. . 
Auf letzterer Karte steht etwas rechts von „Glama‘“ in kleinerem Druck 
„Perpetuae nives‘; da perpetuae nives manchmal dem isländischen Worte 
jökull gleichgesetzt wurde, so läßt sich vermuten, daß die (vielleicht un- 
beabsichtigte) Nebeneinanderstellung vom Glama Perpetuae nives die Ver- 
anlassung zur Bezeichnung Glämujökull zunächst in der Knopfschen Karte 
gab, von wo sie wahrscheinlich in die nach Knopf ausgeführte Karte von 
Erichsen & Schöning, und schließlich allgemein in die Literatur und den 
Sprachgebrauch N 2 


38 


IV. GUNNAR VON HLIDARENDI 


Isländisches Epos in 36 Gesängen 
VON HELENE VON ENGELHARDT - PABST, 2 Bände (Wien 1909). 


Erweiterter Abschnitt aus einem Kapitel von Poestions ungedrucktem Werke 
über seine Islandreise (‚Auf Gunnars Spuren“). 


inzelne Motive aus der Gunnarssaga, dem ersten Hauptteil der Njäls- 
» saga, sind bekanntlich mehrfach von isländischen und anderen nor- 
dischen wie englischen Dichtern behandelt oder verwertet worden. Die 
ganze Gunnarssaga hat der isländische Dichter Siguröur Breiöfjörö in der 
gewohnten öden Weise in Rimur umgegossen!. Ihr Inhalt bildet auch den 
Stoff des oben genannten Epos, einer — wie gleich hier bemerkt sei — ganz 
bedeutenden deutschen Dichtung von großer Kunst und Schönheit, die aber 
— infolge besonderer privater Umstände — in der Presse wie auch in dem 
Kreise der Islandfreunde fast unbeachtet und ‘auf Island selbst so gut wie 
unbekannt geblieben?, aber doch längst vergriffen ist und kaum je wieder 
aufgelegt werden dürfte. Ich habe eine rein fachkritische Besprechung des 
Werkes im ‚Allgemeinen Literaturblatt‘‘ XIX (1g1o) Nr. 3 veröffentlicht und 
behandelte das Epos auch in einem umfangreichen Essay, der jedoch ohne 
meine Schuld ungedruckt geblieben ist. Ich willdaher der Dichtung wie auch 
_ der ıgıo in Wien verstorbenen Dichterin an dieser Stelle die Würdigung ange- 
deihen lassen, die sie beide verdienen. Vorausgeschick sei, daß Helene Pabst- 
Engelhardt (geb. 1850 zu Wilecki in Litauen als Freiin von Engelhardt) be- 
reits früher gezeigt hatte, wie gut sie isländische Sagastoffe in wirkungsvoll- 
ster Weise poetisch zu gestalten verstand. Schon in ihren vielgerühmten 
„Normannischen Balladen“ (1884) findet sich unter dem Titel „Der Ver- 
bannte“ ein altisländischer Sagastoff, die Geschichte von Björn Breid- 
vikingakappi (bekanntlich von R. Riemann als „Björn der Wiking“ auch 
dramatisch behandelt) glücklich geformt, und das Glanzstück ihres Büch- 
leins „Im Windesrauschen“ (1890) bildete die Dichtung ‚„Grettir der Starke“, 
eine kraftvoll-schöne epische Bearbeitung der zum sagenumsponnenen Natio- 
nalhelden Islands gewordenen historischen Hauptgestalt der ‚„Grettissaga‘*. 
Gunnar aber hatte ihr’s schon viel früher angetan. In ihrer Jugendzeit be- 
reits mit altnordischen Studien beschäftigt, ging die Dichterin schon damals 
an die Lektüre der Njälssaga. Als sie die Stelle von Gunnars Umkehr las, 
kam es — so schrieb sie mir einmal — plötzlich wie mit einem Schlage über 
sie. Sie sprang von ihrem Stuhle auf und eilte in ihrem Zimmer auf und ab 
wie eine Rasende. Dann stürzte sie zu ihrer Mutter: ‚Mama, Mama, das ist 


ı Rimur af Gunnari & Hliöarenda (Akureyri, 1860). Besser sollen andere ‚„Rimur af 
Gunnari Hämundarsyni 4 Hiidarenda‘‘ sein, welche derselbe Dichter 1836 gedichtet 
hat, die aber nur handschriftlich vorliegen. ? Das Werk fehlt auch in „Catalogue 
of the Icelandic Collection bequeathed by Willard Fiske, compiled by Halldör Her- 
mannsson (Ithaca, 1914). ® Diese beiden Stücke sind Halldör Hermannsson in ‚Biblio- 
graphy of the Icelandic Sagas and minor Tales‘‘, Appendix, entgangen. 


39 


ein Buch, das ich zu schreiben habe, und ich werde es schreiben, das weiß ich 
ganz genau, ganz genau.‘ Kurz darauf heiratete sie den Klaviervirtuosen 
Pabst. Andere Pflichten, andere Verhältnisse drängten sie in neue Bahnen. 
Sie machte die Kunst ihres Mannes zu der ihrigen, konzertierte mit ihm zu- 
sammen, durchreiste die Welt an seiner Seite und teilte das wechselreiche 
Los der freien Künstler. Aber nie hatte sie ihren Gunnar vergessen, und wann 
immer eine Ruhepause in ihr arbeitsreiches Leben trat, gehörte sie ihrem 
teuren Helden. Schon 1883, im Epilog zu den Normannischen Balladen, 
wies sie in schönen, sehnsuchtsvollen Strophen auf Gunnar hin, und selbst 
inmitten der südlichen Farbenpracht Australiens, umgeben von den fremd- 
artigen Szenen der Tropenwelt, dichtete sie „Eine Winterphantasie‘‘, in der 
sie sich nach Island, nach Hliödarendi, zu „Gunnar dem Unvergleichlichen“ 
versetzte. Und noch nach der letzten schweren Katastrophe ihres Lebens, 
als das Ehepaar während der russischen Revolution aus dem beschossenen 
Hause in Moskau flüchtete und Monate später ihre erschütterte Gesundheit 
so völlig zusammenbrach, daß man sie wie eine Halbtote ins Ausland trans- 
portierte, war es ihr vorwiegender Wunsch geblieben, nicht eher die Augen 
zu schließen, als bis ‚‚Gunnar‘‘ vollendet war. Und sie vollendete ihn. Zuletzt 
in Österreich (Wien) wohnhaft, besserte sich für kurze Zeit ihr Gesundheits- 
zustand, und sie erlebte wirklich noch die Freude, ihr dichterisches Lebens- 
werk dem deutschen Lesepublikum darbieten zu können. Es war dabei ein 
reizender Zufall, daß diese Dichtung in Wien ans Licht der Öffentlichkeit 
kam, in derselben Stadt, aus der auch (1826) die erste deutsche Verherrlichung 
altisländischen Reckentums in großem Stile, dela Motte-Fouques Roman ‚‚Die 
Sage vondem Gunnlaugur, genannt Drachenzunge und Rafn dem Skalden‘ her- 
vorgegangen und (1880) die erste und beste wissenschaftliche ‚Beschreibung 
der isländischen Saga‘ (durch R. Heinzel) geliefert worden und erschienen ist. 

Wie ist nun aber die Dichterin diesem Stoffe in ihrem Epos gerecht ge- 
worden? Es ist eine oft — besonders von den Isländern — aufgestellte Be- 
hauptung, daß jede Nachdichtung einer Saga hinter ihrem Vorbilde zurück- 
bleiben müsse, da dieses, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, den Geist 
jener Zeit richtig wiederzugeben und die Menschen so darzustellen, wie sie 
in den Sagas lebten, in den meisten Fällen ein so unübertreffliches Kunst- 
werk sei, daß es eben nicht erreicht, geschweige denn übertroffen werden 
könne. In der Tat hat auch bisher weder eine romanhafte, noch eine dra- 
matische oder rein epische Bearbeitung einer Saga das Original erreicht, von 
Tegner und Fouque& angefangen bis zu Helene von Engelhardt-Pabst. Die Min- 
derwertigkeit der Nachdichtungen springt jedoch nur den Kennern des ÜUr- 
bildes in die Augen, ‘und der Stoff der Sagas ist so hart, daß er auch in den 
weicheren Formen der Nachbildung noch genug von seiner urwüchsigen 


40 


Eigenart beibehält, um eine mächtige Wirkung auszuüben. Aus diesem 
Grunde bleibt es für die Dichter noch immer verlockend genug, sich dessen 
zu bemächtigen, und er kann bei geschickter Wahrung des Zeit- und Kultur- 
kolorits immerhin noch auf den Beifall der Leserrechnen. Tegners Frithiofs- 
Saga z. B. ist gewiß eine sehr schwächliche und weichliche Nachdichtung 
der altisländischen Saga gleichen Namens; aber sie zählt noch heute zu den 
gelesensten Dichtungen der Weltliteratur. 

Helene von Engelhardt hat sich nicht sklavisch an die Gunnarssaga an- 
geschmiegt wie der isländische Rimur-Dichter; bei großer Treue in Einzel- 
heiten hat sie vielmehr den Stoff mit aller erlaubten, in einer Hinsicht sogar 
zu weitgehenden dichterischen Freiheit behandelt. Ihren Gunnar zwar, den 
„Unvergleichlichen‘, zeichnete sie ganz dem Bilde entsprechend, das die Saga 
uns von ihm gibt. Sie liebkost ihn geradezu mit den schmeichelndsten Worten 
und gleitet nachsichtig über seine Schwächen hinweg; aber er ist auch wirk- 
lich ein ‚‚makelloser‘‘ Idealheld, sanft und doch wieder männlich, selbst der 
strammen Gattin gegenüber — so recht nach dem Herzen edler Frauen. Sie 
entwirft aber auch von Hallgerör, der eigentlichen Hauptperson als Lenkerin 
der Geschicke Gunnars, ein wohlwollendes Bild, indem sie ihre schlimmen 
Charakterfehler zu mildern sucht, sie als zärtlich liebende Gattin und gute 
Mutter schildert, ja sogar ihren ärgsten Makel, die Preisgabe ihres hochher- 
zigen Mannes, durch Andichtung nachträglicher Sinnesänderung tilgen 
möchte — und das ist die Hauptschwäche, übrigens eine echt weibliche 
Schwäche, der ganzen Dichtung. Helene von Engelhardt läßt nämlich Hall- 
gerör ihre Weigerung, Gunnar durch zwei Locken aus ihrem Haar das Leben 
zu retten, alsbald bereuen, die verlangte Bogensehne drehen und dem ver- 
zweifelt um sein Leben kämpfenden Manne darbieten — jedoch zu spät. Die 
Frau wirft sich auch noch jammernd über den sterbenden Helden und sucht 
mit ihrem Goldhaar das Blut seiner Wunden zu stillen; er aber haucht ihr 
als letztes Wort ‚Armes Weib!‘ zu. Sie lebt auch nach Gunnars Tode nur 
mehr „sich selbst zum Leid“. In Wirklichkeit hat jedoch Hallgerör ihren 
Mann mit offener Schadenfreude seinem Verderben anheimgegeben; sie 
schlürfte die Schale der Rache für den vor acht Jahren erhaltenen Backen- 
streich mit vollem Behagen bis zur Neige aus. Es läßt sich zwar nicht leug- 
nen, daß män diesem „vielleicht kompliziertesten Charakter in der ganzen 
Sagaliteratur, welcher der Kunst eines Shakespeare würdig wäre“, in ge- 
wisser Hinsicht seine Bewunderung nicht versagen kann; allein eine solche 
Ehrenrettung, wie sie die Dichterin Hallgerör zuteil werden ließ, hat eine 
gemeine Diebin und zweifache Gattenmörderin denn doch nicht verdient. 
Sie bildet der historischen und psychologischen Wahrheit, wie.auch der Ehr- 
lichkeit der Saga gegenüber eine unerlaubte dichterische Freiheit, weil sie 


41 


ein feststehendes Charakterbild, ‚einen Frauentypus, der außerhalb Islands 
im Norden beinahe unbekannt ist‘, frauenhaft verweichlicht und somit ver- 
fälscht. Gegen sonstige poetische Lizenzen, wie z. B. das Auftreten und un- 
heilvolle Wirken des schon vor der Heirat Gunnars getöteten schurkischen 
Pflegevaters der Hallgerör auf Hlidarendi ist füglich nichts einzuwenden, da 
sie dichtefischen Zwecken dienen und weder dem Geiste der Zeit noch der 
ursprünglichen Personencharakteristik zuwiderlaufen. 

Im übrigen ist es der Dichterin vollauf gelungen, die Hauptgestalten und 
interessanten Nebenfiguren der Saga plastisch von dem breiten — vielleicht 
nur allzu ausgedehnten — Hintergrunde ihrer orts- und naturbeschreibenden 
Schilderungen abzuheben und des Lesers Teilnahme für sie zu gewinnen und 
festzubannen. Sie übergeht auch nur wenige — unwichtige — Episoden und 
verweilt sogar mit Vorliebe bei allen Kampfesabenteuern, besonders wenn es 
gilt, den Mut und die Kampfestüchtigkeit ihres HeldeninshellsteLicht zusetzen. 
Geradezu bewundernswert erscheinen mir die ausführlichen, hochpoetischen 
und dabei im allgemeinen auch richtigen Beschreibungen der so eigenartigen 
Natur und Landschaft Islands, obgleich die Dichterin niemals ihren Fuß auf 
die Insel gesetzt hat. Und welch prächtige und zutreffende Bilder sie aus 
dem öffentlichen und privaten Leben des Isländers jener Zeit zu zeichnen 
wußte — sei es nun von den ernsten Verhandlungen oder von dem froh 
bewegten bunten Treiben am Althingi, sei es von häuslichen Unterhaltungen 
und Festlichkeiten, sei es von traulichen Idyllen des Familienlebens usw. ! 

Man sieht aus dem ganzen Werke, daß die Dichterin an ihre schwierige 
Aufgabe erst nach fleißigen Studien der nordischen Altertumskunde, der 
isländischen Sagas, der isländischen Naturkunde und der Topographie der 
Schauplätze ihres Epos geschritten ist. Daß ihr nicht für alle Einzelheiten 
die neuesten Forschungen zur Kenntnis gekommen sind, kann man ihr wohl 
ebenso wenig verübeln, wie die Verwertung ihres antiquarischen Wissens 
auch an unpassenden Orten (wenn z. B. in den Reden die ganze Grimmsche 
Mythologie ausgekramt wird, während doch in der Gunnarssaga keine einzige 
Person den Namen eines Gottes im Munde führt) u. dgl. mehr. Merkwürdig 
aber ist es, daß ihr z. B. — wie schon Fouqu& — der Lapsus passierte, von 
Wölfen auf Island zu sprechen. Freilich berichtet auch kein Geringerer als 
.L. Holberg von Wölfen auf Island. Aber der berühmte norwegische Dra- 
matiker tischte in seiner Beschreibung Dänemarks und Norwegens (ein- 
schließlich Islands) bekanntlich auch das Märchen auf, ein Kaufmann, der 
aus Island kam, habe einen Isländer gesehen, der sich die Schuhe auszog 
und sie verspeiste, als ob es Pfannkuchen gewesen wären | 

Ein besonderes Lob ist noch der schönen Sprache mit dem edlen dichte- 
rischen Schwung der epischen Diktion im fünffüßigen Jambus zu spenden. 


42 


Zahlreich eingestreute lyrische Partien von oft tiefster Empfindung und herr- 
lichem Wohllaut bringen außerdem eine harmonische Abwechslung in den 
sonst gleichmäßig dahinrauschenden Fluß der zumeist tadellosen Blankverse. 
Die alten Skalden freilich haben in ganz anderer Weise, nämlich nicht 1y- 
risch, aber auch nicht so schön gedichtet. Kurz gesagt: Helene von Engel- 
hardt-Pabst hat mit „Gunnar von Hlidarendi“ ihr poetisches Schaffen ge- 
krönt und zugleich die deutsche Literatur um ein großzügiges Epos bereichert, 
das nicht nur hochgeachtet, sondern auch gelesen zu werden verdient. 


| NACHTRAG 
zu dem Aufsatze „Christiane Johanne Schütz, geb. Briem, Die schöne Is- 
länderin‘‘ in Heft ı der Mitteilungen der Islandfreunde. 


Erst nach dem Erscheinen dieses Aufsatzes ist eine das Niöjatal Gunnlaugs 
Briems syslumanns og Valgeröar konu hans zugekommen, das IgI5 von Pro- 
fessor Eirikur Briem und dem ebenfalls hochangesehenen, um Islands Wohl- 
fahrt vielverdienten Politiker Tryggvi Gunnarsson (einem 1835 geborenen 
Sohne von Gunnlaugurs Tochter Jöhanna Kristjana) herausgegeben wurde. 
— Bei dieser Gelegenheit seien auch die Druckfehler: S. 4, Zeile 22 von oben 
1848—48 (lies: —58), S. 5, Zeile 8 von oben 1848 (lies: 1846) und ebenda, 
Zeile 20 und 22 Kristiana (lies: Kristjana) berichtigt. P. 


V. NACHRICHTEN AUS ISLAND 


1. England hat in immer weitergehendem Maße durch einen Vertrag, der eine willkür- 
liche Steigerung nach der anderen erfuhr, den isländischen Ausfuhrhandel vollständig 
in seine Gewalt gebracht; die isländischen Kaufleute müssen ihre Produkte erst Eng- 
land zu einem von diesem festgesetzten Preis, der weit hinter dem im letzten Jahre 
erzielten zurückbleibt, anbieten, die auslaufenden Schiffe müssen unbedingt einen eng- 
lischen Hafen anlaufen und dürfen nach keinem an Ost- und Nordsee gelegenen Lande 
fahren; auch nach Dänemark darf nur nach Maßgabe des dortigen nachweislichen 
Eigenbedarfs geliefert werden. Die Voraussetzung, daß Dänemark und Schweden Fische 
von Island bekamen, war daher, daß diese Länder selbst ein Ausfuhrverbot erließen. 
2. Wie England trotz des Vertrages mit Neutralen umgeht und den Schutz der kleinen 
Staaten auffaßt, dafür liefert ein Beispiel die Art und Weise, wie sie mit dem norwe- 
&ischen Dampfer Flora umgingen. Dieses Schiff war auf dem Wege von den West- 
Mannerinseln nach dem Osten und Norden mit über 100 Passagieren, die zum Fischfang 
fuhren, als esam 14. Juli von einem englischen bewaffneten Trawler angehalten wurde; 
dieser machte durch drahtlose Telegraphie einem größeren englischen Wachtschiff 
weiter südlich im Ozean Meldung und dieses verständigte sich mit London. Da der 
Kapitän der Flora dem Befehle, nach Lerwick zu fahren, wegen des Mangels an Kohlen 
und Nahrungsmitteln sich widersetzte, gab der Kommandant des Wachtschiffes zunächst 
° Zustimmung, daß die Flora nach Seydisfjördur fahren und die Passagiere dort an 
d setzen dürfe. Dann aber kam eine neue Weisung aus London, die Bestände an 
ra und Nahrungsmitteln auf dem Schiffe zu prüfen. Diese Untersuchung dauerte 
in Stunden und hatte das Ergebnis, daß die Fahrt nach Lerwick befohlen 
die E wel Tage nach der Ankunft der Flora in Lerwick gab die britische Regierung 
rlaubnis zur Rückfahrt nach Island. Aber der Kapitän der Flora fragte darüber 


e er 
"St bei seiner Gesellschaft in Bergen an, die Antwort ließ auf sich warten, die Fracht 


43 


der Flora wurde inzwischen freigegeben und das. Schiff Zur Löschung seiner Ladung 
nach Leith gebracht. Die Passagiere durften sich dort von morgens 9 bis abends 9 frei 
bewegen. Die beabsichtigte Fahrt nach Siglufjördur zum Heringsfang wurde von der 
Dampfschiffgesellschaft ‚Bergen‘ nicht erteilt. Die Passagiere wurden dann mit dem 
Dampfer Godafoss nach Island zurückgebracht. Das ganze brutale Vorgehen wurde 
von England als ein Mißverständnis erklärt und die Kosten für Überfahrt und Ver- 
pflegung der Passagiere von Lerwick nach Seydisfjöröur übernommen. 

3. Island bekommt nunmehr die langerwünschte Station für drahtolse Telegraphie, 
die die englische Marconigesellschaft liefert. Voraussetzung ist nach Zeitungsbericht, 
daß — England die Ausfuhr der Apparate erlaubt. 

4. Auch weiterhin haben die Engländer ein Schiff nach dem anderen, gleichgültig 
welcher Herkunft, in den isländischen Gewässern abgefaßt und nach England g& 
schleppt; also das „Mißverständnis‘‘ wiederholt sich ständig. Es herrscht große Erbitte- 
rung über diesen fortgesetzten Vertragsbruch der Engländer. 

5. Berlingske Tidende (vom 10. Juli) meldet: Reisende von Norwegen nach Island 
müssen einen von den englischen Konsulatsbehörden ausgestellten Paß besitzen, da sie 
sonst bei der Durchsuchung der Schiffe in England zurückgehalten werden. 

6. Der große Geysir, der seitlängerer Zeitrecht unregelmäßig springt, hat nach den Mit- 
teilungen isl. Zeitungen seit Februar d. J. keinen einzigen Ausbruch gehabt. Dagegen wurde 
von seinem Nachbar, dem Strokkur, der seit dem Erdbebenjahr 1896 nur einmal (Anfang 
August1907) sprang, aus der zweiten Juliwoche 1916 ein neuer starker Ausbruch gemeldet. 

7. Am 15. August wurde die Hundertjahrfeier der isländischen Literaturgesellschaft 
festlich begangen. Ausführlicheres darüber soll das folgende Heft bringen. Prof. Dr. 
P. Herrmann in Torgau wurde unter den ehrendsten Ausdrücken zum Ehrenmitglied der 
Gesellschaft ernannt. 

8. Der Schriftsteller, Politiker und Dichter J6n Ölafsson, dersdietzt mit einem großen 
isländischen Wörterbuch beschäftigt war, von dem die ersten beiden Hefte erschienen 
sind, ‚ist gestorben. Von seinem bewegten Leben soll bei anderer Gelegenheit ausführ- 
licher die Rede sein. | 


ADRESSENÄNDERUNGEN 
Prof. Dr.W .Heydenreich, Herausgeberder „Mitteilungen“; Eisenach, Fischweider 
Dr. Ed. Erkes, Leipzig, Katstr. I. 
Ernst H. F. Bock, Leipzig, im Felde. 
Heinrich Benary, Erfurt, im Felde. 
Walter H. Friedeberg, Neu-Finckenkrug, im Felde. 
Rev. Dr. W. Rodemann, Weveriy, Jowa, U. S. A. 


MITGLIEDERSTAND 

Ausseiteten: Realschuldirektor Dr. Baethhe, Bergen a. R. 
Paul Fischer, Weimar. | 
Prof. Dr. Lehmann, Göttingen. 

Dr. von Lenk, Wien. 
Prof. Dr. Pappenheim, Kiel. 
Dr. E. F. Thomas, Zwickau. 

Neu eingetreten: Frau Henrielle Oppenheim, Wien I, Krugerstr. 10. 
- Geh. Leg.-R. z. D. Fritz Rose, Berlin-Südende, Parksir. 8. 
Major Paul Sock, Pilsen, Skodawerke. 

Frau Paula Schubert, Charlottenburg, Trendelenburgstr. IT40- 
Prof. Dr. Oestreich, Berlin-Friedenau, Menzeistr. I. 
Frau Emma Wehrmann, Wien I, Krugersir. 16. 


44 


DI a 


EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA 


TEULE 
Altnordische Dichtung und Prosa 


Herausgegeben von Professor DR. FELIX NIEDNER 
24 Bände. Jährlich erscheinen 3 bis 4 Bände 


FELIX NIEDNER, ISLANDS KULTUR ZUR WIKINGER- 
ZEIT. Einleitungsband, mit 24 Ansichten und 2 Karten. br. M4.5o, 
geb. M 6.— 


Die Aufgabe dieses einleitenden Bandes ist, das historische Verständnis der Sagas und der 
Skaldendichtung zu erschließen. Große Sachkenntnis und klare Darstellungsgabe vereinigen 
sich mit knapper künstlerischer Form. 

Unentbehrlich ist aber dieser Band für die Käufer der Sagas, weil er zwei von Professor 
Herrmann gezeichnete Karten enthält. Die eine verdeutlicht die Schauplätze der Sagas, 
die andere gibt einen Überblick über die Wikingerzüge bis nach Amerika und bis zum 
Mittelmeer. 


Bd.ı EDDAI, HELDENDICHTUNG. Übersetzt von Felix Genz- 
mer. Mit Anmerkungen und Einleitung von Andreas Heusler. 
8. Tausend. br. M 3.—, geb. M 4.50 


Leipziger Neueste Nachrichten: Genzmer kommt der Kongruenz mit dem Originale 
so nahe, daß man das Empfinden, eine Übertragung zur Hand zu haben, vollständig verliert. 
Sie ist vielfach von so konzentriert anschaulicher Darstellung, daß sie wie gehämmert er- 
scheint, gehämmert mit derWucht bildstarker, kurzer nackter Sätze. Diese Übersetzung ge- 
stattet uns ein Einleben in die heidnisch-heldige Zeit wie keine ihrer Vorgängerinnen. 


Bd. 2 EDDA U, GÖTTERDICHTUNG UND SPRUCHDICH- 
TUNG. Übersetzt von Felix Genzmer. (Erscheint nach dem Kriege.) 


Bd. 3 DIE GESCHICHTE VOMSKALDENEGIL. Übersetztvon 
Felix Niedner. 4. Tausend. br. M 4.—, geb. M 5.50 


Literarischer Handweiser: In Egilist der wilde Geist des alten heidnischen nordischen 
Reckentums noch treu erhalten. Schrankenlose Rachsucht, Habsucht, Zerstörungslust, raffi- 
nierteste Hinterlist gegen den Verräter auf der einen Seite, auf der anderen heldenhafte 
Furchtlosigkeit und Tapferkeit, Freundestreue, Großmütigkeit, Rechts- und Mannesstolz — 
all das erscheint hier ins Gigantische gesteigert und in der großen wilden Gestalt dieses 
Skalden zu lebendig individueller Einheit verkörpert. Dem Besten, was der moderne Mensch 
in sich trägt, kommt das bedeutende Werk entgegen. 


Bd. 4 DIEGESCHICHTE VOMWEISENNJAIL. Übertragen von 


Andreas Heusler. Mit einer Karte. br. M 6.—, geb. M 7.50 
Volksblatt Wien: DieNjalssageübertrifftan Umfang, Großzügigkeit der Darstellung und 
an Feinheit der Charakterzeichnung alle anderen. Sie ist das Werk eines großen Dichters. 
Nirgends sonst findet sich eine solche übergroße Fülle lebensfroher Gestalten. Der weise, 
gütige Njal, der waffengewaltige Guunar und Kari, der Ritter ohne Furcht und Tadel; von 
den oft feinziselierten Nebenfiguren ganz zu schweigen. Oder welch gewaltige Frauengestal- 
ten birgt dieses große Drama von Weiberhaß und Weibertücke in sich! Man denke an 
Hallgerd, Bergthora, Hildigun. Der Künstler erschöpft sich nicht an der bloßen Realistik, 
er strebt darüber hinaus zu etwas Höherem. Seinem tiefsten Wesen nach ist er Idealist 
und so erscheinen alle seine Figuren wie auf Goldgrund. Vom Stile kann nicht Lobes genug 
gesagt werden und man weiß nicht, was man mehr rühmen soll: die naturfrische Sprache, 
die wirklich Sprache des Lebens ist; den gewichtlosen Satzbau; den geistreichen Dialog mit 
seinen spitzen Redepfeilen; oder endlich den vielbewunderten Rhythmus der Wortstellung. 
Freilich war auch ein Meister am Werke. 


| Be 7 


- Diese Geschichten sind geographisch und innerlich eine Einheit. Mehr noyellistisch gehalten” 


- schicksal“ im kleinen dar. 


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EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN TENAT 


3 "7 ) D 
5 

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Bd. ; DIE GESCHICHTE VON DEM STARKEN GRE |, 
DEM GEÄCHTETEN. Übersetzt von Paul Herrmann. Mit  An-ı 
sichten und ı Karte. br. M 5.—, geb. M 6.50 “ 


Diese Saga gibt uns das herbtragische, von abergläubischen Vorstellungen Ba Märchenu m 
sponnene Bild eines vom Schicksal verfolgten Mannes. Grettir ist Islands sagenumwobenc A 
Nationalheldgeworden, unterallen Charakteren der Sagasteigteralleinins Symbolischehinat u 
Se IM Fr Ir < 


Bd.6 DIE GESCHICHTE VON DEN LEUTEN AUS DEM 
LACHSWASSERTAL. Übertragen von Rudolf Meißner. Mit eine 
Karte und einer Stammtafel. br. M4. —, Hperg. geb. M 5.50 Be 


Diese prächtige Saga mit ihren starken Charakteren ist eine prosaische Schwester ‚de 

eddischen Dichtung und umfaßt die Schicksale von 8 Geschlechtern; sie spielt im Tälerbe- | | 
zirk des Hyvammsfjords undreicht von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis 1073. Diese Bauern- BE 
geschichte erhebt sich in ihrem Hauptteil zu ergreifender Tragik. Schon um der Gestalt 


der Gudrun willen gehört sie zu den ewigen Meisterwerken der Weltliteratur, = 


Bd. 7 DIE GESCHICHTE VOM GODEN SNORRI. Oberragn | 
von Tr elix Niedner. (Erscheint Frühjahr 1917) | 


Bd.o VIER SKALDENGESCHICHTEN, Übertragen von Belix 


Nicdner. br.ca. M 4.50, geb.M 6.— 
In der Persönlichkeit des Skalden hat der heldenhafte und künstlerische Geist desalten Tslanc Fr 
seinen vielseitigen Ausdruck gefunden. Die eingestreuten Skaldenlieder haben mit den Lie- e 1° 
dern der „Edda“ das gehobene Lebensgefühl gemeinsam und unterscheiden sich von ihr | 
durch die Stimmung des Augenblicks. Er 


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Bd.1o FUNFGESCHICHTEN AUS DEM WESTLICHEN NORD- 3 | 
LAND. Übertragen von Frank Fischer und W.H. Vogt. Mit einer | 
Karte. br. M 5.—, geb. M 6.50 2 


Von den kleineren Sagas zeigen die aus dem westlichen Nordland das alte Heldentum ver 
bunden mit siegreicher Bauernpfiffigkeit; in denen aus dem östlichen Nordland erscheinen 
mehr kondottierenhafte Haudegen; die aus dem Ostland haben kleinbäuerlichen Hintergrund. 


Bd. ır FÜNFGESCHICHTEN AUSDEM ÖSTEICHENNORD- 2 
LAND. Übertragen vonWilh.Ranischund Frank Fischer. (Erscheint E 
Frühjahr 1917) 
In den Sagas aus dem Nordosten des Inselfjords herrscht allenthalben Fehde und Blutyer - 
gießen. In Glum ist ein berserkerartiges Draufgängertum mit ausgesuchter Hinterlist gepaart; 
doch versöhnt uns mit ihm seine Skaldendichtung. Es liegt eine tragische Ironie darin, d 
erim Gesang nicht verbergen kann, was er sonst mit äußerster Schlauheit und 5 auch 
durch zweideutige Eide, verbirgt, .: 


Bd. ız2 SIEBEN GESCHICHTEN VON DEN OSTLAND- Fa 
MILIEN. Übersetzt von Gustav Neckel, br. M 3.50, geb. Ms5._—_ EN 


als andere Sagas, stellen sie die Sagawelt mit ihrem Thema: » Mens chenero ad | i 


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Bd. 13 GRÖNLÄNDER UND FÄRINGER GESCHICHTEN. 


Übersetzt von Erich von Mendelssohn. br.M 5.—, geb. M 6.50 Ei 
General-Anzeigerfür Hamburg-Altona: Wie die Egilsaga die Entdeckung und Be- A 
siedelung Islands, so behandeln die vorliegenden Geschichten zum größten Teildie Besiedelu ng, | 
Grönlands und Abenteuerfahrten nach dem amerikanischen Festland, a 


Ausführliche Verzeichnisse über dıe Samm- 
lung Thule sınd vom AIRES zu 1 ht 


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EMITTEILÜNGEN DER 
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4 ORGAN DER VEREINIGUNG 
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Inhalt 


| Seite 

I. F.Genzmer, DieRedendesHohen(AusderEdda,Il.Band) 45 

II. Paul Herrmann, Die Glama (Fortsetzung)... . .... HI52 
III. Alexander Jöhannesson, Das Schiff sinkt, Schauspiel von 


Indridi.Einarsson: % 7 Wr. sur re 5 

IV. Ein deutsches Unterseeboot in den Gewässern um Island 67 

V. Eine isländische Stimme über Deutschland .. . .... ...69 

VI. Zu Erkes’ Islandreise 1914 . 12 2... el en 73 
VIEEAnZeige er ee BESSER. Done 3% 75 
SVLIE Vorträge über Island 7.7.2. rare Er 75 
ERS Notwendiger Hinweis2 Kr g R TS 
X. Die Bücherei des Vereins der Islandfreunde are ic 76 
RTeMiteliederstand? Fer See ee N Re RE 76 


ISLANDFREUNDE 
werbet Mitglieder 
unter allen, die sıch für Natur und Volk, 
Sprache und Geschichte Islands und der 
Färöer interessieren! 


An unsere Mitglieder 


Die nach dem 15. Januar 1917 noch ausstehenden Mitglieds- 
beiträge für ı. Juli 1916/17 und event. für vorhergehende Jahre 
werden wir nach dem ı. April durch Postnachnahme einheben. 

Wir bitten die betreffenden Mitglieder, die Postnachnahmen 
einzulösen und uns dadurch in den Stand zu setzen, die „Mit 
teilungen“ weiter erscheinen zu lassen. 

Die außerhalb Deutschlands und Österreich wohnenden Mit- 
glieder bitten wir aus dem gleichen Grunde um Einsendung 
noch ausstehender Beiträge. 


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MITTEILUNGEN DER]| 
 ISLANDFREUNDE 


ORGAN 
DER VEREINIGUNG DER ISLANDFREUNDE 


HERAÄUSG.: PROF. DR.W.HEYDENREICH IN EISENACH U. DR.H. SSR 
IN LEIPZIG / VERLAG VON EUGEN EN DIEDERICHS INJENA 


rm 


"Die Mitteilungen der Islandfreunde erscheinen als Vierteljahrsschrift und 
werden den Mitgliedern der Vereinigung kostenlos geliefert und vom Verlage 
zugesandt. Der Mitglie erbeitrag beträgt jährlich 6 Mark 


ıv. V. Jahre, | Januar/April 1917 


I. DIE REDEN DES HOHEN a. LIED): 
AUS DER SOGENANNTEN LIEDEREDDA ÜBERSETZT 

2 VON F. GENZMER 
V: in drei größeren Sittenlehren steht diese nach Gehalt und dichte- 
rischer Kunst am höchsten. An die Kunst des Spruchdichters sind an- 
dere Maßstäbe anzulegen als an die der erzählenden oder dramatischen Denk- 
mäler. Die Haupttugend ist die klare und scharfe Formung, die den ver- 
standesmäßigen Gedanken überzeugend macht und der Seele des Hörers 
eindrückt. Was den Spruch über gute Prosa erhebt, ist zunächst der geord- 
nete und ‚gesteigerte Rhythmus und damit oft eine außeralltägliche Wort- 
stellung. In diesen Dingen dürfte es unserem Gedichte nicht leicht eine 
fremde Spruchpoesie nachtun. Das gnomische, sechsversige Strophenmaß 
ist ein unübertreffliches Gefäß für diese zugespitzten Sätze. Nicht selten aber, 
besonders von Strophe. 28 an, tritt dazu eine bildhafte Sättigung des Aus- 
drucks, ein Gleichnis, ein anschaulicher erzählender Zug — oder dann eine 
feierliche, inschriftenhafte Lyrik, wie in den Schlußworten unseres Dichters, 
Der Inhalt der 66 Strophen ist mannigfach. Mit den Worten „Unter 
fremdem Dach, Eigenes Heim, Freunde und Feinde, Klug mit Maß, Wehr- 
haft und tätig, Wert der Lebensgüter‘‘ deutet man die Hauptgruppen an. 
Meist stehen die Gegensätze so lose nebeneinander, daß Verschiebungen und 
Zutaten wohl schon in der mündlichen Weitergabe sich einfanden (s. Einl. 
S. 8) — gewiß auch Verluste, gegen die wir aber machtlos sind. Eine fest- 
gefügte Gedankenfolge haben die sieben Strophen des Schlußabschnittes 


* Aus dem in der Sammlung ‚Thule‘“ nach dem Kriege erscheinenden 2. Teil der 
„Edda“ von Übersetzer und Verleger zur Verfügung. gestellt. 


Se 45 


(60—66) ; sie führen stufenweise hinauf zu dem Bekenntnis: mehr all Gesunli- 
heit, Besitz, Leben und Nachkommenschaft istder Ruhm ;er istdas höchste Gut. 

. Hier zeigt sich recht die Diesseitigkeit dieser Lebenskunst! Es ist ein 
Heidentum ohne Götter und Gespenster, sogar ohne den Schicksalsg glauben, 
der in vielen Sagas als Grundstimmung erscheint. Der Mensch wird auf sich 
selbst gestellt und kühl gewertet zu’ allermeist nach seiner Klugheit und 
Lebenserfahrung. Der unmittelbare Egoismus versteht sich noch von selbst; 
Freunde sind ein hohes Gut, aber auch die Aufopferung für Freunde, wie sie 
in Not und Fehde geübt wurde, ‚klingt hier nicht herein. Es herrscht der All- 
tag mit seinen Erwägungen des Nutzens; die Saite ist gestimmt auf Vorsicht, 
Mißtrauen. Bäuerliche Kreise sehen wir vor. uns, da und dort mit einem 
fühlbaren Stich ins Kleinbäuerliche, Beengte.  Wikingtum und Hofdienst, 
diese festlichen Seiten des altnordischen Lebens, bleiben fern. Und dennoch 
die Waffe als der notwendige Begleiter (Strophe 53) und das starke a 
das auf Denkstein und Nachruhm zählt! 

Mit unbeirrter Sicherheit trägt dieser Nordmann seine volkstümliche Weis- 
heit vor. Eine Gesinnung spricht zu uns, die seit Jahrhunderten vom Vater 
auf den Sohn gegangen, die selbstverständlich und triebhaft ‚geworden ist 
und die noch nichts ahnt von den Erschütterungen durch den Glauben 
des Südens. | 


I 

Nach allen Türen, 

Eh ein man tritt, . 

Soll sorglich man sehn, | 
Soll scharf. man schaun: . 
Nicht weißt du gewiß, .. 

Ob nicht weilt ein Feind 
Auf der Diele vor dir. 


2 

Heil den Gebern! 

Ein Gast trat ein. 
Sagt, wo er sitzen soll! 
Nicht bleiben mag, 
Wer bei der Brandstelle 


Seinen Witz bewähren soll. 


3 

Feuer braucht, 

Wer fernher kam, 

An den Konieen kalt; 
Gewand und Speise 
Der Wanderer braucht, 


Der übers Hochland hinzog:. . i 


46 


4 


Wasser braucht, 


‘ Wer zur Bewirtung kommt, +" 


Tischgruß und Trockentuch, 


Gute Meinung, 
‚Wenns vergönnt ihm wird, 


Antwort und Aufhorchen. 


5° 


Witz braucht, 
Wer weithin zieht: 
Daheim behilft man sich! 


‚ Augenzwinkern 


Der Unkluge weckt, 
Der bei Besonnenen sitzt. | 


6 


„Mit seinem Verstand. ae 
. Soll man stolz nicht prahlen, 


Vorsicht befolge man; 
Wer weise schweigend 
Zur Wohnstätte kommt — 
Nicht trifft Unglück den Achtsamen. 


Der Achtsame, DEREN 
Der zum Essen kommt, . u 
Horcht scharf und a 
Die Ohren spitzt er, er 
Mit den Augen späht er, ., . .;; 
Der Besonnene sichert sich. . 


8 

Wertere Last | | ” 
Trägt auf dem .Weg man nie. 
Als starken Verstand: 

Er frommt dir mehr 

In der Fremde als Gold; 

Er ist des Hiflosen Hort.. 


9 

Wertere Last . 

Trägt auf dem Weg man nie 
Äls starken Verstand: 
Schlimmeren Vorrat 

Nimmt auf die Fahrt man nie 
Als Aeltrunks Übermaß. | 


Io | 
Es gafft der Tor, , 
Der zum Gastmahl kommt, = 
Stottert oder ist stumm: 
Zu tage tritt, 

Wenn er Trank erhält, 
Auf einmal seine Art. 


Reiche Frühkost Ri 
Soll man zuvor genießen,  '; ‘' 
Will zum Gastmahl man gehn; 
Sonst sitzt man und schlingt, 

Als ob man verschluckt sich hätte, 
Und kann fragen nicht viel. - 


Nicht klebe man am Becher, .: 
Trinke Bier mit Maß, _ 
Spreche gut oder gar nichts; . 


Niemand wird 
Dein Benehmen tadeln, 
Gehst du bald: zu. Bett. 


13 ee 


Der Gefräßige, 

Wenn er .Vorsicht nicht: ar 
Ißt sich Übelkeit an; 

Dem törichten Mann 


Wird sein Magen zum Spott, 
Wenn er zu Klugen kommt. - 


I4 
Herden wissen, 
Wann heim sie sollen, 


Und gehn dann aus dem Gras; 


Der Unkluge 
Ahnt aber nie 
Seines Magens Maß. 


I5 

Der Unweise u 
Wähnt bei allen sich, 

Die ihm lächeln, beliebt; 
Nicht erkennt ers, 

Daß man kalt von ihm spricht, 


Wenn « er bei Besönnenen sitzt. 


I6 
Der Unweise 


> : Wähnt bei allen sich, 


Die ihm lächeln, beliebt; 
Deutlich wirds, . 

Wenn zum Ding er kommt, 
Daß ihm der Fürsprech fehlt. 


17 PAR 

Der Unweise | 

Meint alles zu wissen, 
Wenn er im Winkel weilt; 
Er weiß nicht, 

Was er erwidern soll, .. 
Fragen ihn andre aus. 


47 


18 

Der Unweise,-" 

Der zu andern kommt, 
Halte stets sich still: 
Niemand merkt, 

Daß er nichts versteht, 


Wenn. die Zunge er zügeln kann. . 


19 

Der nur weiß, 

Der weithin zieht 
Und viele Fahrten tat, 
Was im Innern 

Jeder andre hegt, _ 
Der Besonnenheit besitzt. 


20 

Erfahren heißt, 

Wer fragen kann 

Und antworten auch; 
Nicht lange gelingts 
Den Leuten, zu hehlen, 
Welches Sinnes sie sind. 


21 

Fragen und erzählen 

Der Erfahrne soll, 

Der gescheit erscheinen will; 
Nur er solls wissen, 

Nicht ein andrer noch, 


Mit dem dritten das Dorf es weiß. 


22 | 

Viel schwatzt der Mann, 

Der nicht schweigen kann, 
Unverantwortlich aus; 

Rasche Zunge, 

Die man im Zaum nicht hält, 
Spricht sich oft Unglück an, 


23 

Alles Be 

Der elende Mann, 
Der von übler Art; 


48 


Er weiß nicht, 
Was er wissen sollte, 
Daß er von Fehlern nicht frei 


24 

Niemand soll man 
Zum Narren halten, 
Auch wenns zum Gastmahl geht; 
Klug dünkt sich mancher, 
Wenn ihn keiner befragt 
Und er heile Haut behält. 


25 

Der spottfrohe Gast, 
Entsprang er glücklich, 
Gar weise sich wähnt; 
Nie weiß genau, 

Wer neckt beim Mahl, 


Ob er sich nicht Unheil anschwatzt. 


26 

Viele Männer 

Sind sich freundlich gesinnt, 
Doch beim Gelage lästern sie; 
Unfrieden 

Weckt das ewiglich, 

Es hadert Gast mit Gast. 


27 

Gehn soll man 

Nicht als Gast weilen 
Stets an einem Ort: 
Der Liebe wird leid, 


“ Wenn lange beim andern 


Auf der Bank er bleibt. 


28 

Gut ist ein Hof, 

Ist er groß auch nicht: 
Daheim ist man Herr; 

Hat man zwei Ziegen 

Und aus Zweigen ein Dach, 
Das ist besser als betteln gehn. 


20 : 

Gut ist ein Hof, 

Ist er groß auch nicht: | 
Daheim ist man Herr; 

Dem blutet das Herz, 

Der erbitten die Kost. 

Zu jeder Mahlzeit sich muß. 


30 

Viel zu früh 

Kam ich an viele Orte, 

An andre allzu spät; 

Das Bier war getrunken 

Oder gebraut noch nicht: | 
Stets zu Leid kommt der Lästige. 


3I 

Manches Mal 

Lüde zum Mahl man mich wohl, 
Wenn von Luft ich leben könnte, 
Oder zwei Keulen 

Hingen beim zärtlichen Freund, 

Wo ich eine aufaß. 


32 

Des Besitzes Genuß, 

Den man selbst erworben, 
Neide man sich nicht: 

Oft spart man für Feinde, 
Was man Freunden bestimmt: 


Nicht immer gehts wie man glaubt. 


33 

Ich fand so gastfrei 

Und freigebig keinen, 

Daß er Geschenke verschmäht, 
So verschwenderisch keinen, 
Daß es gekränkt ihn hätte, 
Wenn man ee gab. 


34 


Mit Waffen soll man Freunde 
a mit Gewanden erfreun, 
aS sieht man an sich selbst: 


Nicht großes nur .: 


‘: Den Gefährten ich fand. “ 6 


‘Was lebt er länger noch? 


Geber und Vergelter al 
. Bleiben gute Freunde, - - = 


Ist ihnen günstig das Glück. - . :' 


Gebe man andern, : 


“ Damit man Dank verdient: 
‘ Durch Brotes Bissen 


Und Bechers Neige Ä E 


36 | 
Jung war ich einst, 
Einsam zog ich, 


: Da ward wirr mein Weg; 


Glücklich war ich, 
Als den Begleiter ich fand: u 
Den Menschen freut der Mensch. 5 


37 

Die Föhre dorrt, 
Steht sie frei auf dem Berg, 
Nicht schützt sie Borke noch Blatt; 
So ists mit dem Mann, 

Den alle meiden, 


38 
Brand brennt vom Brande, 
Bis entbrannt er ist, 


Feuer vom Feuer lebt: 
Durch Mannes Rede 


-. Wird ratklug der Mann, 
- Doch unklug durch Abschließung 


39 | er 
Seinem Freunde Be 2%: 


‚ Soll ein Freund man sein 


Und Gaben vergelten auch: ic 


+. Lachen für Lachen ' | on 


Sollen die Leute nehmen  : +" .' 


.. Und Täuschung für Trug. . 1%. 


49 Ba 
Seinem Freunde . 
Soll ein :Freund man sein 
Und des Freundes Freunde auch; 
Doch nie soll man 

Nehmen zum Freund 

Seines Feindes Freund. 


41 | 

Wenn du einen Freund hast, 
Dem du fest; vertraust 

Und von dem du gutes begehrst, 
Tausch mit ihm Gedanken 

Und bedenk ihn mit Gaben, 
Suche oft ihn auf! 


42 
Hast du einen andern, 
Dem. du übel traust 


Und von dem du doch gutes begehrst, 


Freundlich magst du sprechen, 
Aber falsches sinnen, 
Zahlen Täuschung für Trug. 


43° 

Das auch gilt von ihm, 

Dem du übel traust, 

Dessen Denkart verdächtig ist: 
Heiter magst du lächeln 

Und dein Herz bergen; 

Das Geld sei der Gabe gleich. 


44 

Heißer als Feuer 

Brennt fünf Tage 

Bei‘ falschen die Freundesliebe; 
Dann aber sinkt es, 

Wenn der sechste kommt, 
Und alle Freundschaft zerfällt. 


45 

Zum falschen Freund 

Geht ein Fehlweg hin, 

Wenn er am Weg auch wohnt; 


50 


:: - Doch zum guten Freund 


Führt ein grader Steig, 


 Zog er auch fernhin fort. 


46 Ä 

Klug mit Maß 

Soll der Mann wohl sein, 
Aber nicht überklug; 

Es führen die 

Das frohste Leben, 

Die in vielem erfahren sind. 


47 

Klug mit Maß 

Soll der Mann wohl sein, 
Aber nicht überklug; 
Heiter wird selten 

Das Herz des klugen, 
Der allweise ist. 


48 

Klug mit Maß 

Soll der Mann wohl sein, 
Aber nicht überklug: 

Sein Geschick 

Schaue man nie, 

Dann bleibt sorglos der Sinn. 


49 

Der Unweise 

Wacht alle Nächte, 
Denkt an dies und das; 
Müde ist er, | 
Wenn der Morgen kommt, 
Die Sorge dieselbe ist. 


50 

Froh lebt, 

Wer freigebig und kühn, 
Selten quält Sorge ihn; 
Furcht hegt immer 

Der feige Mann, 

Es wurmt die Gabe den Geizhals. 


5I " 
Der ängstliche - Mann 

Meint. ewig zu ‚leben, 

Meidet er Männerkampf; 
Einmal aber 

Bricht das Alter den Frieden, 
Den der Ger ihm gab. 


52 

Seine Macht 

Soll mit Maß gebrauchen 
Der Verständige stets: 
Dann findet sichs, 

Wenn man furchtlose trifft, 
Daß keiner der kühnste ist. 


53 

Von seinen Waffen 

Gehe weg der Mann | 
Keinen Fuß auf dem Feld: 
Nicht weiß man gewiß, 
Wann des Wurfspießes 
Draußen man bedarf. 


54 

Früh soll aufstehn, 

Wer vom andern begehrt 
Leben oder Land: 

Raub gewinnt selten 
Der ruhende Wolf 


Noch der Schläfer die Schlacht. 


55 

Früh soll aufstehn, 

Wem Arbeiter mangeln, 
Und eilig zur Arbeit gehn: 
Manches versäumt, 

Wer morgens schläft; 


Halb reich ist der rasche schon. 


56 

An Rinde fürs Dach 
Und dürren Schindeln 
Bedenke man den Bedarf, 


: Des Holzes Vorrat, 


Daß er hinreichen kann 


e Drei Monat und mehr! 


57 

Auf dem alten Meer 

Senkt der Aar den Schnabel, 
Wenn zur Küste er kommt; 
So tut der Mann, 

Der in die Menge kommt, 


‚, Wenn ihm der Fürsprech fehlt. 


58 

Zum Gericht reite man 

Rein und gespeist, | 
Ist auch nicht kostbar das Kleid; 
Nicht schäme sich 

Seiner Schuhe und Hosen 

Und seiner Mähre der Mann! 


59 


‚ Zwei: Holzmännern 


Auf der Heide draußen 
Gab ich weg mein Gewand; 
Lebend schienen sie, 

Als sie die Lumpen hatten: 
Der Nackte gilt nichts. 


60 

Feuer ist wert 

Dem Volk der Menschen 

Und der Sonne Gesicht, 
Heiler Leib, 

Wer ihn behalten kann, 

Und daß kein Tadel ihn trifft. 


61 

Ganz kläglich ist keiner, 

Ob auch krank er sei, 

Dem bringt Segen sein Sohn, 
Dem die Verwandten, 

Dem sein Wohlstand, 

Dem tüchtige Tat, 


51 


62 u Nicht steht ein Denkstein 


Besser ists, lebend  * An der Straße Rand, | 
Als leblos zu sein: 0.0075 Wenn ihn ein Geeippe nicht. setzt. ' 
Wer lebt, kriegt die Kuh. . 

Feuer sah ich rauchen 065 = —z 


Auf des Reichen Herd, 


. Besitz stirbt, 
Doch er lag tot vor der Tür. 


.. $Sippen sterben, 
63 . Du selbst stirbst wie sie; 


Der Handlose hütet, , Doch Nachruhm 

Der Hinkende reitet, .. „Stirbt nimmermehr, 
Tapfer der Taube kämpft; Den der Wackre gewinnt. 
Blind ist besser 


Als verbrannt zu sein: . 66 
Nichts taugt mehr, wer tot.  ; Besitz stirbt, 
' Sippen sterben, 
64 :. Du selbst stirbst wie sie; 
Ein Sohn ist besser, Eins weiß ich, 
Ob geboren auch spät . Das ewig lebt: 
Nach des Hausherrn Hingang: Des Toten Tatenruhm. 


II. DIE GLÄMA 
VON PAUL HERRMANN 
II. Auf dem Glämuvegur 


m 20. Juli 1914 war ich mit Herrn Heinrich Benary-Erfurt, meineın 
alten bewährten Führer Ögmundur Sigurösson und seinem Sohne 
Sveinn auf meiner vierten Islandreise von Reykjavik aufgebrochen, hatte 
am 27. Juli Kirkjuböl am I’safjöröur erreicht und war nach Besuch der 
Sn&fjallaströnd, der Jökulfirdir, des Nordkaps und der Ostseite des Dranga- 
jökull vom Furufjöröur an bis Staödur i Steingrimsfiröi am 14. August in 
Laugaböl an der Eisföhrde, etwas südlich von Kirkjuböl wieder einge- 
troffen. Ein Bericht über diesen Hauptteil meiner Reise ist seit März 1915 
von mir fertiggestellt und wird nach Beendigung des Krieges unter dem 
Titel „Eine Reise nach dem Nordkap auf Island‘ als besonderes Schrift- 
chen veröffentlicht werden. Darauf wollte ich einige Tage der Gläma wid- 
men und auf beiden Seiten des Dyra- und Arnarfjöröur zu Lande entlang 
ziehen, um das auf der zweiten Islandfahrt von der See her gewonnene Bild 
zu vervollständigen (mern Island III, 33—36), den Abschluß sollte die Reise 
rund um die Bäröastrandarsysla bilden. Dieser zweite Teil meiner Reise ist 
bei weitem nicht so geglückt wie der erste: Überanstrengung der Pferde, 
namentlich auf den entsetzlichen Wegen östlich des Drangajökull und beim 


52 


H. Benary phot. 191 


SEE 


Blick von Rafnseyri über den Arnarfjöröur 


H. Benary phot. 1914 


Bildudalur am Arnarfjöröur 


Abstieg von der Gläma, Vertrödeln der kostbaren Zeit durch Ausreißen der 
Gäule, so daß wir zwar liebenswürdig aufgenommen, aber tatenlos drei 
Tage in Bildudalur auf das Wiedereinbringen der verirrten Flüchtlinge 
warten mußten, Krankheit des Führers, Regen, Sturm und Nebel, vor allem 
die niederschmetternden englischen Nachrichten über den Beginn und Ver. 
lauf des Weltkrieges und infolge davon eine Lähmung unserer körperlichen 
und seelischen Kräfte und die rasende Ungeduld, uns so schnell wie möglich 
dem schwer geprüften Vaterlande zur Verfügung zu stellen, Zwangen uns 
die Reise nach Möglichkeit abzukürzen. So konnte ich auf die Gläma nur 
einen einzigen Tag verwenden und nur den Glämuvegur einschlagen. Der 
nachstehende Bericht gibt also nur die Erlebnisse und Ergebnisse eines ein- 
zigen Tages wieder, aufgezeichnet noch dazu von einem Nichtfachmanne. 

Überaus wertvoll, so hatte ich gehofft, würde mir auf der Gläma mein 
Führer Ögmundur sein, der selbst vor 30 Jahren dort gewesen war, Ende 
Juni. Er behauptete, überall zusammenhängenden Schnee angetroffen und 
den höchsten Punkt überschritten zu haben; Schreitgletscher habe er nir- 
gends gesehen, aber, worauf ich bei meinen Fragen besonderen Wert legte, 
ein Gletschertor; er betonte, daß die von der Gläma kommende Vatnsfjarö- 
ar& „gruggug“ (schlammig, trübe, gletscherfarbig) wäre. Das letzte 
war sicher ein Irrtum, Ögmundur verwechselte sie mit der Vatnsdalsä oder 
Vattardalsä, und auch diese sind ganz gewiß keine Gletscherflüsse. Über- 
haupt war sein ganzer Bericht verwirrt und widerspruchsvoll. Bei der 
Fülle der Eindrücke, die über ihn seit mehr als 30 Jahren auf fast alljähr- 
lichen Fahrten durch Island eingestürmt sind, muß ein Verwischen eintreten, 
wenn nicht täglich über das Gesehene genau Tagebuch geführt wird. Seinen 
Angaben widersprach auch ganz entschieden Herr H. Jörgensen, „Guide i 
Generalstaben‘, den ich am I. August 1914 am Nordkap kennen lernte. 
Er war selbst auf der Gläma gewesen und hatte dort gemessen und ge- 
zeichnet; seine Mitteilungen werden durch das Sommer 1915 erschienene 
Blatt des dänischen Generalstabs bestätigt: es sei ausgeschlossen, daß die 
Gläma ein Gletscher wäre, sicherlich nicht im Westen und Süden, er habe 
nördlich der Hä-Gläma zwei je ı km große zusammenhängende Verglet- 
scherungspartien und ebenso nördlich und östlich des Sjönfrfö, sowie west- 
lich dieser Höhe ein sehr kleines Eisfeld gezeichnet. Ögmundur begann an 
der Verläßlichkeit seines Gedächtnisses zu zweifeln und bat, daß wir von 
Laugaböl einen Lokalführer mitnähmen. 

Der sagenberühmte Hof Laugaböl (‚„Badfarm‘‘) hat die größte Haus- 
wiese des ganzen Westlandes, sie liefert 430 ‚Pferde‘ besten Heus; der 
Bauer Pöröur Jönsson (} 18. Okt. IgI4) hat 16 Pferde, 14 Kühe, 300 Schafe 
und erntet 20 bis 30 Tonnen vorzüglicher Kartoffeln. In der Hauswiese 


53 


liegen 2 warme Quellen, eine dritte ist unterhalb in einem Bächlein {ihre 
Beschreibung und Analyse bei Thoroddsen, De varme Kilder paa Island, 
Kop. 1910, S. 237). Wir schickten einen reitenden Boten nach dem Hofe 
Raudamyri, um den Führer über die Gläma zu bestellen, aber er war nicht 
anwesend. Der Bauer tröstete uns aber damit, wir könnten einen anderen 
am Ende des Mjöfifjöröur bekommen, und führte uns selbst am folgenden 
Tage um den innersten Zipfel des I’safjöröur auf die berüchtigte Hestakleif, 
die schon Olaus Olavius einen „sehr beschwerlichen Bergweg“ nennt. Das 
Plateau war flach und langweilig, bot aber einen hübschen Blick nach den 
arktischen Schneebergen der Sn&fjallaströnd und dem Drangajökull. Durch 
Birkengestrüpp erreichten wir das Ende der „schmalen Föhrde‘“. Drei arm- 
selige Höfe liegen hier dicht beieinander: Botn i Mjöfafirdi, wo wir unter- 
halb der Hauswiese das Zelt aufschlugen, Kleifarkot und 1, Stunde nörd- 
lich am östlichen Ufer der Bucht Hörgshliö. Ögmundur ritt sofort dahin, 
um den Besitzer Guömundur Guömundsson für den Glämuweg anzuwerben. 
Im schlimmsten Falle wäre noch der Weg vom Hof Heydalur aus am west- 
ichen Ufer des Mjöfifjöröur durch das Tal gleichen Namens möglich gewesen. 

Am 16. August früh 7 Uhr hielt Guömundur pünktlich vor unseren be- 
reits zusammengepackten Koffern, und diese Pünktlichkeit, ein bei den Is- 
ländern außerordentlich seltener Vorzug, nahm uns sofort für ihn ein, doch 
wurde es immerhin g Uhr 30, bis wir aufbrachen. Guömundur war von 
Mittelgröße, das sympathische Gesicht mit den hellen, klugen Augen um- 
rahmte ein rötlicher Vollbart, die Schultern waren etwas „gerundet“; er 
litt an einem Leistenbruch, verschmähte deshalb vom Plateau an ein Pferd 
zum Reiten und legte den ganzen Weg zu Fuß zurück. Er war viel zäher 
als sein etwas gebrechliches Äußere vermuten ließ; unermüdlich stapfte er 
durch Geröll und Schnee, zog stets ein Packpferd mit starker Hand hinter 
sich und kletterte auf Steine und Felsen, um Ausschau zu halten, wenn 
wir uns verirrt hatten. Aber geradezu bewunderungswürdig war, und das 
hätte ihm keiner von uns nachgemacht, daß er kaum ı Stunde nach unserer 
Ankunft im Dyrafjöröur sich wieder in Bewegung setzte und durch die 
dämmernde Nacht denselben Weg nach Hause zurücklegte, glücklich über 
die I8 Kronen, die er als königliche Bezahlung zagend erbeten hatte. 

An den Füßen trug er leichte Schuhe aus Seehundsleder. Sie waren für 
den durchweg weichen Schnee äußerst praktisch, aber in dem gräßlichen 
Geröll boten sie keinen Schutz, und die Füße werden von den zackigen 
Steinen braun und blau gestoßen und gerissen sein. Er hatte mindestens 
ein Dutzendmal den Weg über die Gläma nach dem Arnarfjöröur gemacht, 
allerdings stets im Winter, und nie mehr als 6 Stunden gebraucht. Bei 
hellem Wetter sei der Weg ziemlich harmlos, lebensgefährlich aber bei Un- 


54 


wetter, Schneegestöber und Nebel; dann müsse man sich immer solange wie 
möglich an den Schnee halten. Der Schnee selbst sei nicht immer gleich, 
man müsse sich darum fast jedesmal einen neuen Weg suchen. Als ich ihn 
fragte, ob er uns so nahe wie möglich an den Gletscher und das Eis heran- 
führen könnte, schüttelte er verwundert den Kopf: über Eis kämen wir 
gar nicht, und außer auf den Seen und Bächen habe er niemals Eismassen 
gesehen. Mir fiel auf, daß er niemals das Wort jökull (Gletscher) gebrauchte, 
sondern stets nur von hjarn (gefrorener Schnee) und fannir (pl. von fönn; 
Firnhaufen) sprach. Ögmundur wurde immer kleiner und geknickter. 
Wir fünf ritten um %1o gemächlich südwärts die Niederung zurück bis 
Kleifarkot (1 km) und erklommen in erträglicher Steigung in 20 Minuten 
das Plateau an den 6 Absätzen der Bessärdalsä empor, die wir ca. 3 km 
weit sw. verfolgten, bis uns auf weitere 4 km in gerader westlicher Richtung 
der Bessärdalur aufnahm. Hier war das letzte Gras für die Pferde bis zum 
Abend, wir rasteten daher kurze Zeit. Zwei Stunden nach dem Aufbruch 
begann das wüste Geröll, das sich nordwärts nach der Hestfjaröarheidi 
südlich des Hestfjöröur erstreckt. Ab und zu bezeichneten steinerne Warten 
die Richtung, einen Weg gab es natürlich nicht, es kam nur darauf an, 
die Warten nicht aus den Augen zu verlieren und von einer zur anderen 
durch das graue Steinmeer zu kriechen. Bald nachdem wir durch eine 
Lücke in den Bergen einen Blick auf den Skutilsfjöröur (‚‚Harpunenföhrde‘‘) 
erhascht hatten, teilte sich der „Weg“ nach dem Arnar- und Dyrafjöröur, 
und nunmehr begann die eigentliche Schneewanderung. Jetzt wechselten 
nicht mehr Geröllflächen und Schneefelder ab, sondern ungeheure, stunden- 
lange Schneefelder mußten überritten werden. Es war eine großartige, 
weihevolle Öde, kein Vogel piepte, kein Schaf hatte sich hierher verirrt, 
selbst die Fliegen fehlten. Wir ritten langsam, aber unermüdlich weiter; 
erst um 3 Uhr rasteten wir einige Augenblicke, traurig senkten die Gäule 
ihre Köpfe und starrten stumpfsinnig auf den Boden, der auch nicht ein 
Hälmchen trug. Wolkenlos spannte sich der blaue Himmel über uns, und 
ungehindert konnte der Blick nach allen Seiten schweifen. Das gute Fern- 
glas kommt nicht von den Augen, aber soviel wir auch suchen und spähen, 
keine Spur von Gletscher oder Eis ist irgendwo zu sehen. Und doch ist es 
altes Gletschergebiet, wo wir stehen, wenn auch überall viel Tuff ist. Ög- 
mundurs Gletschertor ist sicher ein altes Phantasiegebilde, wie er selbst 
kleinlaut zugibt; vielleicht lebt irgendeine Schneebrücke über die vielen 
größeren und kleinen blauen Bäche in dieser Gestalt bei ihm fort. Merk- 
würdig übrigens, daß die meisten Gletscher Islands so stark zurückgehen, 
obwohl doch die Temperatur immer die gleiche bleibt. Diese Bäche machten 
uns nicht geringe Schwierigkeiten beim Vorwärtskommen, mehrere mußten 


55 


übersprungen werden, nachdem die Führer vorher untersucht hatten, ob 
auch die Ränder fest genug wären. Mehr als einmal versanken wir durch 
den trügerischen Schnee in das Wasser bis über den Bauch der Pferde, 
und der arme Guömundur watete weite Strecken zu Fuß durch aufge- 
lösten Schnee und eiskaltes Wasser. Ganz wundervoll nahmen sich die 
vielen kleinen und mehrere größere Alpenseen aus. An drei größeren kamen 
wir unmittelbar vorbei, drei andere blieben etwas weiter zur Linken liegen- 
Vom Ende des Bessärdalur bis zum letzten großen, rechteckförmigen See 
sind wir immer nw. geritten, die Entfernung wird etwa Io km betragen, 
wir behalten dieselbe Richtung noch ca. 24, km bei und bewegen uns in 
gerader Richtung scharf nach Westen, so daß die höchste Höhe der Gläma, 
Hä-Gläma, direkt südlich unter uns liegt, etwa 4 km von uns entfernt, und 
ebenso darauf die Höhe Sjönfriö, etwa 2% km von uns durch riesige Schnee- 
felder getrennt, beide hell und scharf von der Sonne beschienen. Soviel 
Mühe wir uns auch geben, Eis ist nirgends zu finden, nicht einmal Ver- 
gletscherungsstücke wie etwa bei der Hekla. Bei der nahen Entfernung, 
der hellen, durchsichtigen Luft und mit Hilfe unserer ausgezeichneten Fern- 
gläser hätten wir es unbedingt wahrnehmen müssen. Überall starren aus 
den Schneemassen Steine hervor, der Schnee hat, wie wir übereinstimmend 
schätzen, höchstens eine Dicke von Io m. Darauf überschreiten wir ein 
etwa 5 qkm großes, zusammenhängendes, aber ziemlich lockeres und im 
Abschmelzen befindliches Schneefeld, das wir das erste Mal von Kaldalön 
auf der westlichen Drangajökull-Halbinsel gesehen hatten, und das direkt 
in einen tiefen Einschnitt zwischen den Schneebergen zu führen schien, in 
gut ı1, Stunden und erreichten mitten im Schnee eine mit Steinklötzen 
übersäte Stelle. Hier standen zwei Warten, hier kreuzten sich unser Weg und 
der vom Hestfjöröur ausgehende. Wir hatten also, wenn wir auch ein paar- 
mal in die Irre gegangen waren, im allgemeinen die Richtung innegehalten. 
. Langsam begann der Abstieg, wieder durch Schneefelder, bis wir 146 Uhr 
an einem kleinen See Halt machten, aus dem nach Angabe des Lokalführers 
ein Seitenarm der in den Dyrafjöröur mündenden Botnsä entspringt. Die 
Entfernung von dem zuletzt erwähnten rechteckförmigen See bis zu diesem 
beträgt etwa 4%, km; von hier bis zum Fjord werden noch 8 km sein. Schon 
fangen zerstreute Steininseln an, die weißen Schneefelder zu unterbrechen, 
und man merkt immer deutlicher, daß es bergab geht. Plötzlich wehrt ein 
mit zahllosen, übermannshohen, durcheinander gewürfelten Klötzen be- 
decktes Geröllfeld unser Vorwärtskommen. Wir müssen absteigen und nach 
allen Seiten Umschau halten. Unter uns liegen lange schwarze Lachen, in 
denen die Pferde versinken würden. Wir bahnen uns unter entsetzlichen 
Mühsalen einen Weg durch die Steine um die Klötze herum und ziehen die 


56 


unlustigen Gäule hinter uns her. Wir sind offenbar vom „Weg“ abgekom-. 
men. Der Lokalführer ist ratlos. Da er stets nur im Winter hier gewesen 
ist, hat er das dann völlig von Schnee eingehüllte Feld nie gesehen, weiß 
also nicht, wo wir sind. Er stöhnt, im Winter, wenn der dichte Schnee 
alles gleich und leicht passierbar mache, sei der Weg viel leichter und 
näher. Ögmundurs Augen glühen im Fieber. Seit er am 9. August die stark 
geschwollene Hvalsä nackt zu Pferde durchschwommen hat, um uns Hilfe 
zu holen, die wir in dem Schafstall Strandatün eingeschlossen und abge- 
schnitten waren, kämpft er heldenhaft gegen immer heftiger werdende Hals- 
schmerzen. Alle halbe Stunden schluckt er Antipyrin und vermag sich 
kaum im Sattel zu halten. Über neue Schnee- und Steinfelder keuchen wir 
2 km wieder in die Höhe, um uns orientieren zu können. Böse geht es dabei 
über unsere Stiefel her, die Gamaschen reißen, die Sohlen bekommen Löcher, 
und das Oberleder „gähnt und hat Fenster“, wie der Isländer sich aus- 
drückt; wir müssen alle im nächsten Hafenplätzchen Pingeyri einen „Schuh- 
schmied‘“ aufsuchen, um unsere Fußbekleidung wieder leidlich herstellen zu 
lassen, daß sie wenigstens bis Reykjavik aushält ; Ögmundur muß schimpfend 
und fluchend für seinen Sohn sogar neue Stiefel kaufen. Es ist die böseste 
Kraxelei während unserer ganzen Reise, und wieviel schwierige Aufstiege 
und Abstiege hatten wir östlich des Drangajökull gehabt, daß wir dachten, 
Schlimmeres könne uns nicht mehr begegnen! Wir beteuern uns immer 
wieder, daß heute der gräßlichste Tag sei. Was hätte aus uns werden sollen, 
wenn plötzlich Sturm oder Nebel uns überfallen hätten! Jeder Weitermarsch 
wäre dann unmöglich geworden, wenn wir nicht leichtsinnig unser Leben 
aufs Spiel setzen oder ins blinde Ungewisse hinein tappen wollten, bis ein 
verräterischer Spalt unserem Tasten für immer ein Ende machte. Ange- 
nommen, daß wir hier auf und zwischen den Steinen die Zelte überhaupt 
hätten aufschlagen können, um uns stumpfsinnig in unser Los zu ergeben 
und zu warten, bis der Aufruhr der Natur sich gelegt hätte, — was sollte 
aus unseren armen Pferden werden ? Sie jammerten uns am meisten, zumal 
da sie seit acht Stunden nichts zu fressen gehabt hatten. Gierig stürzten 
sie sich auf das eiskalte Wasser in den Bächen und Flüssen, setzten vorsichtig 
die Füße zwischen die Steine und beschnupperten den Schnee, wenn er 
ihnen trügerisch und zu lose vorkam. Teilnahmlos trotteten wir stöhnend 
weiter, daß der Schweiß in Strömen vom Leibe rann, immer ängstliche Blicke 
auf Ögmundur werfend, ob er es noch aushalten könnte. Es war eigentlich 
unverantwortlich leichtsinnig von ihm gewesen, in solchem Zustande über 
die Glama zu gehen. Aber der Weg wurde wieder leidlich. Gegen 7%, Uhr 
erreichten wir endlich die ersten steilen Höhen, die den Dyrafjöröur auf der 
Nordseite umgeben, durchritten ohne Fährlichkeit einen neuen Nebenfluß 


57 


der Botnsä und stießen alsbald auf frisches, saftiges Gras. Der, wie in diesen 
Gegenden gewöhnlich, amphitheatermäßig geformte Talgrund, der den 
Fjord abschließt, war erreicht. Die Pferde waren nicht zu bändigen, immer 
wieder rissen sie große Bündel mit den hungrigen Mäulern ab und schnarpsten 
laut beim Kauen vor Vergnügen. Ein Weg war noch immer nicht zu sehen, 
immer wieder mußten wir die Richtung wechseln, bald rechts, bald links 
vom Flusse reiten. Aber der Fjord blaute immer klarer und weiter vor uns. 
Dann erreichten wir die Botnsä selbst, waren auf ebenem, fruchtbarem 
Wiesenboden und schwangen uns 8°/, Uhr vor dem kleinen Hof Botn i 
Dyrafiröi aus dem Sattel. Wir schlugen geschwind das Zelt auf und schlüpften 
in den Schlafsack. Als ich schnell noch meine Aufzeichnungen im Tagebuch 
durchsah, schloß ich sie, in Übereinstimmung mit meinem Reisebegleiter, 
die Worte dick unterstreichend: Die Gläma ist kein Gletscher; auch hat sie 
weder an der Nordwest-, noch an der Nord-, noch an der Ostseite ein zu- 
sammenhängendes Firnfeld. 


III. Ergebnis 

'D5 Glämuvegur geht also von Botn { Mjöfafiröi nach Botn i Dyrafirödi, 
läßt sich bei gutem Wetter in ca. Io Stunden zurücklegen, ist etwa 
33 km lang und bietet für Geübtere keine besonderen Schwierigkeiten. Er 
führt etwa 4—6 km nördlich der höchsten Erhebung der Gläma, der Hä- 
Gläma, und geht abwechselnd über riesige Schneefelder und höchst unan- 
genehme Geröllfelder. Auf der Gläma selbst entspringt kein Fluß. 4 und 
6 km östlich von ihr kommen zwei unbenannte Flüsse mit hellem, klarem 
Wasser aus Seen; nach Norden entspringt, 6 km vom höchsten Punkt ent- 
fernt, ein Seitenarm der Botnsä aus einem kleinen See; 3 km nach W. 
fließen zwei namenlose Seitenarme der Botnsä, die sich in den Borgarfjöröur 
ergießt, aus einem See. Auch die beiden größten, nach S. fließenden Ströme, 
die Vatnsdalsä und die Vattardalsä, entspringen nicht auf der Gläma und 
führten, als wir sie am 2I. August passierten, kein Gletscherwasser, werden 
auch nicht von den Anwohnern als Jökulsär (,‚Gletscherflüsse‘‘) bezeichnet. 
Die Vatnsdalsä entspringt 15 km südlich der Hä-Gläma aus einem namen- 
josen, kleinen See, ergießt sich in das Vatnsdalsvatn, einen See nördlich 
des Vatnsfjöröur, ist gut 9 km lang, also sehr kurz, aber sehr wasserreich. 
Die Vattardalsä entspringt auf gleicher Höhe ca. 8 km östlich von dem See, 
aus dem die Vatnsdalsa kommt, ist ca. IO km lang und ergießt sich in den 

Vattarfjöröur. Von einem Gletschertor kann also keine Rede sein. 
Unsere Reisegesellschaft, Benary-Erfurt, Ögmundur Sigurösson und Sohn 
aus Hafnarfjöröur, Guömundur Guömundsson aus Hörgshliö und ich selbst, 
hat keinen Gletscher und kein Eis gesehen, ebensowenig wie Stefän Ste- 


58 


. fänsson in dem gleichfalls trockenen, sonnigen August 1893; der Lokalführer, 
der wiederholt im Winter den Weg gemacht hat, hat auch dann niemals 
Eis außer auf Seen, Bächen und Flüssen erblickt. Damit stehen die Schilde- 
rungen Kälunds, Thoroddsens vorsichtige Vermutungen, die Äußerungen 
des Herrn Jörgensen vom dänischen Generalstab und die Generalstabskarte 
selbst im Widerspruch, den ich, als zu wenig geschulter Geologe, nicht zu 
lösen wage. Ich glaube aber nicht, daß wir es in Wirklichkeit mit Gletscher- 
eis zu tun haben, etwa wie auf dem Gipfel der Hekla, von wo aus außer- 
dem nach S. und O. schmale, lange Gletscherzungen reichen, sondern mit 
Steineis. Eine Jahrtausende liegende Schneemasse muß doch, wie Herr In- 
genieur Heinrich Winkel-Dresden schreibt, durch den sich steigernden Be- 
lastungsdruck in irgendeiner Weise beeinflußt werden und wird vielleicht, 
was die Fachgelehrten entscheiden mögen, in Steineis verwandelt; dieses 
aber kann leicht mit Gletschereis verwechselt werden und den ungeübten 
Beobachter irreleiten. Wann und unter welchen Umständen das Steineis 
bloßgelegt wird und so zur Verwechslung mit Gletschereis führt, oder warum 
es in bestimmten Sommern gar nicht zutage tritt, mag ebenfalls von sach- 
kundigerer Seite entschieden werden. Aber für die Entscheidung, ob die 
Gläma ein Gletscher ist oder eine Ansammlung von Schnee, ein ungeheures 
Firnfeld, ist nicht die Hauptfrage die: Gletschereis oder Steineis?, sondern 
die: rückt der Glämugletscher vor? hat die Gläma Gletscherzungen ? gehen 
von ihr Gletscherflüsse aus? hat sie ein Gletschertor ? Alle diese vier Fragen 
müssen verneint werden. Der Name Glämujökull, der, wie die Geschichte 
der Forschung gezeigt hat, auch spät aufgekommen ist, muß also von der 
Karte verschwinden. „Es wäre zu wünschen‘, schreibt Thoroddsen (Skirnir 
IQIO, S. 140), und das gilt noch heute, „daß ein Fachgelehrter die Gläma 
näher untersuchte, im allgemeinen und im besonderen, und die Verände.- 
rungen feststellte, die durch die Temperatur hervorgerufen werden. Unsere 
bisherigen Forschungen sind unvollständig.“ 


II. DAS SCHIFF SINKT 
SCHAUSPIEL IN 4 AKTEN VON INDRIBI EINARSSON 
BESPROCHEN VON ALEXANDER JÖHANNESSON! 


B% isländischen Kritikern von Werken der neueren Literatur ist es ergangen wie 
denen bei anderen Völkern: ihre Urteile über den poetischen Wert sind oft sehr 
verschieden. Als besonderer Übelstand kommt bei den Isländern hinzu, daß die 
Kritiker mit den Verfassern oft recht gut bekannt sind und ihnen daher leicht die nötige 
! Da wir hier den ersten Versuch der Analyse eines Dramas von einem Isländer vor 
uns haben, wurde dieser Aufsatz trotz seines Umfangs aufgenommen. A. ]. will den 
Isländern zeigen, welche Fragen aufzuwerfen und wie sie zu untersuchen sind. Der 
Artikel ist 1915 in Isafold erschienen. H.W. 


59 


Unbefangenheit abgeht. Daher haben es spätere Geschlechter meist leichter, die Dich- 
tungen in ihre Zeit richtig einzureihen und ein zutreffendes Urteil über ihren Wert zu 
gewinnen. Als das Schauspiel: „Das Schiff sinkt‘‘ kurz nach Neujahr 1903 zum ersten- 
mal über die Bretter ging, Iauteten die Urteile darüber sehr verschieden. ‚‚’Isafold‘“ lobte 
es, „Reykjavik“ (J6n ’Olafsson) ebenfalls, „Pj6Ö56lfur‘‘ fand, nicht viel Gutes daran (der 
Aufbau sei nicht straff genug; tadelte den Mangel an eigenartig isländischem Charakter; 
die Sprache, die nicht reines gutes Isländisch sei). Auch J6n ’Olafsson hatte die Sprache 
des Schauspiels getadelt. Die Deutschen Küchler und Poestion, die beide die Geschichte 
des isländischen Theaterwesens mit der den Deutschen eigenen Gründlichkeit geschrie- 
ben haben, sprechen sich beide über das Drama aus. Küchler !sagt: Vor allen Dingen 
vermissen wir durchaus den an erster Stelle notwendigen Kausalzusammenhang, inso- 
fern namentlich der 2. und 3. Aufzug zuviel Ballast enthalten.... Auch schon im ersten 
Aufzug findet sich manches Überflüssige. Poestion? findet vor allem den „Charakter 
der Hauptperson, Frau Sigriö, verschwommen‘, tadelt die „Häufung von Unwahr- 
scheinlichkeiten in bezug auf Zeit, Ort und Umstände der Handlungen‘, er fragt: 
„Sollte der Hauptzweck dieses Dramas nicht darin zu suchen sein, die verderblichen 
Folgen der Trunksucht vor Augen zu stellen, da ja der Verfasser Good-Templar ist ?*“ 
Auf diese beiden Kritiken kann man sich nicht stützen, da sich Poestion, wie sich 
zeigt, im wesentlichsten fast wörtlich an die Besprechung im „Pj6öölfur‘‘ ange- 
schlossen hat. Schließlich hat P. Herrmann? über dieses Schauspiel geschrieben und 
kommt zu dem Ergebnis, ihm scheine es (1907) das bedeutendste isländische Drama zu sein. 

Bei der Beurteilung eines Schauspiels muß man vielerlei in Betracht ziehen, nicht 
nur den Aufbau, den Zusammenhang von Ursache und Wirkung, die Charaktere, son- 
dern auch die Anregungen und Erlebnisse, die die Gedanken und Anschauungen des 
Dichters beeinflußt haben. Zuvörderst muß man auf den inneren Zusammenhang der 
Ereignisse sehen und untersuchen, ob die Fäden gut untereinander verbunden sind. 
Das haben die Deutschen, die oben genannt sind, getan (und der Herausgeber des 
Pj6dölfur 1903), aber auf verschiedene Weise, und das ist einer der Gründe, auf denen 
der Widerspruch in ihren Urteilen beruht. 


I 


Fe: Sigriöur war 20 Jahre mit Johnsen, dem Faktor eines dänischen Handelshauses, 
verheiratet. Sie hatte in ihrer Jugend einen jungen Kaufmann, Hjälmar Pälsson, 
geliebt, aber aus irgendwelchen Gründen hatte sich Hjälmar von ihr abgewendet; des- 
halb heiratete sie Johnsen. Der Ehe entstammt eine wackere Tochter, Brynhild, die 
Ehe blieb aber doch unglücklich, weil Sigriöur ihre alte Liebe nicht vergessen konnte 
und Johnsen ein Säufer ist, der ihr ganzes Eigentum vergeudet hat. Im Geschäft hat 
er sich unzuverlässig gezeigt und steht bei Beginn des Stücks vor dem Bankrott. Der 
Buchhalter Einar setzt ihm diesen Zustand auseinander, aber Johnsen will davon 
nichts hören, sondern hat eben vor, auf die Jagd zu gehen, will acht Tage von zuhause 
 wegbleiben und zwölf Flaschen Whisky und Kognak mitnehmen. Um 7 Uhr abends 
soll im Klub ein Ball stattfinden; Mutter und Tochter schickt Johnsen dorthin; er liebt 
seine Tochter (‚danke Gott, Brynhild, daß du nicht bist wie ich!"). Der Buchhalter 
Einar, der Sigriö Halbbruder, klärt diese über die Lage auf.Diese Kunde grämt Sigrid 
sehr, zumal weil sie weiß, daß Brynhild den Kandidaten Kristjän herzlich liebt; dieser 
beabsichtigt nach Kopenhagen zu fahren, um dort seine medizinischen Studien abzu- 
schließen. Kristjän und Brynbild teilen der Mutter ihre Verlobung mit, und diese sieht 
sich gezwungen, ihnen von der Sachlage Kenntnis zu geben; Kristjän verspricht ihr 


ı C. Küchler, Geschichte der is. Dichtung der Neuzeit, Leipzig 1902, II, S.62. (Das 
S. 59 ff. „Frau Sigrid‘‘ genannte Schauspiel ist unter dem, Titel: ‚Das Schiff sinkt‘ 
veröffentlicht worden.) ? J. C. Poestion, Zur Geschichte des isl. Dramas und Theater- 
wesens, Wien 1903, S. 62ff. ?P. Herrmann, Island in Vergangenheit und Gegenwart, 1. 
Leipzig 1907, S. 354 ff.; ders., Island, das Land und das Volk. Leipzig 1914. S. 106. 


60 


seine Hilfe, weil er Brynhild um ihrer selbst willen und nicht um, des Geldes willen 
liebe. Hijälmar wird erwartet und betritt jetzt die Bühne; er ist reicher Gutsbesitzer, 
Bezirksvorstand usw. Kristjän merkt sofort, daß dessen Kommen Frau Sigrfö pein- 
lich ist, und weil er weiß, daß Gesang Öl auf erregte Wogen ist, veranlaßt er Brynhild 
zu singen; sie singt das Lied von borö Andr&sson „Gizur tummelt froh den Renner“. 
Hjälmar wird dadurch angeregt und erzählt jetzt Frau Sigriö, wie alles gekommen 
sei: seine Mutter sei krank geworden, da habe er das Studium aufgegeben und sich 
zurückgezogen, weil er nicht habe annehmen können, daß Sigriöur, die feine Stadtdame, 
ihm aufs Land gefolgt wäre, um eine Bauernfrau zu werden. Aber darin hatte er sich 
getäuscht. Sigriöur wäre ihm gern überallhin gefolgt. Die alte Liebe erwacht wieder 
und es trifft sich gut, daß zwei Freundinnen von ihr, Frau Guöriöur und Frau Thorkelin, 
sie zu besuchen kommen. Diese ahnen bald, daß irgendetwas Besonderes in der Luft 
liegt. Sie erhalten Kunde von der Verlobung Brynhilds und Kristjäns; inzwischen 
kommt Johnsen betrunken mit der Flinte auf dem Rücken zurück; sein Packpferd 
war scheu geworden und die Flaschen sind alle zerbrochen. Er ist ärgerlich und die 
Nachricht von der Verlobung Brynhilds bringt ihn noch mehr in Erregung; da packt 
er seine Frau an beiden Schultern, wirft sie nieder auf den Stuhl und schreit: Hedda 
darf nicht verlobt sein! Nun wird es Frau Sigriö denn doch zu viel, und sie erklärt, 
sich nicht mehr als seine Frau anzuschen. 

Der 23. Aufzug spielt im Vorzimmer zum Tanzsaal; wir sehen das ganze Leben auf 
einem Ball nach allen Seiten sich spiegeln: Die einen tanzen nicht, die anderen ärgern 
sich, daß das Vergnügen schon so bald zu Ende ist (12 Uhr). Johnsen erfährt nun 
erst, wer der Verlobte seiner Tochter ist und sieht die Sache jetzt ganz anders an. Er 
klopft Kristjän auf die Schulter: ‚Gott sei mit Ihnen, junger Mann! Behüten Sie 
meine Hedda gut, Gott segne Sie!‘ Nun kommt Einar dazwischen und hofft, Johnsen 
vor dem Zusammenbruch retten zu können; dessen Schulden betragen 6000 Kronen, 
Einar erklärt sich bereit, für 4000 Kronen gut zu stehen, die fehlenden 2000 soll Johnsen 
sich von seinem alten Freund Thorkelin leihen lassen. Johnsen läßt einen Toddi für 
sich und Thorkelin mischen und schmeichelt ihm, um das Geld zu kriegen. Zu allem 
Unglück aber hat Johnsen vorher Frau Thorkelin gekränkt und so muß er es erleben, 
daß seine Anleihe mißlingt. Ein Student, namens Siguröur, hält eine Rede auf die 
Frauen, durch die sich Brynhild gekränkt fühlt und den Tanzsaal verläßt. Johnsen 
geht ebenfalls weg, um auf die Jagd zu gehen, der Tanzsaal leert sich etwas; vor der 
Türe begegnen sich Hjälmar und Sigrföur. Diese ist jetzt, nachdem Johnsen sie vor 
anderen beleidigt hat, weniger fest als vorher und sagt zu Hjälmar: „Ich habe mich 
heute seit langer Zeit wieder einmal jung gefühlt.‘‘ Ein weiteres Aussprechen wird 
durch das Dazwischentreten Kristjäns und Sigurös verbindert. Kristjän schlägt eine 
Ruderfahrt vor, um den Staub des Tanzsaales abzuschütteln; unter dem Klange des 
Marsches Napoleons über die Alpen gehen $ie hinunter an den Strand. 

Im 3. Akt, noch an demselben Abend, sucht Hjälmar Sigridur auf; er will Abschied 
nehmen, der Boden hier im Süden, meint er, sei ihm, zu heiß unter den Füßen geworden. 
Er will die Ruderfahrt mitmachen, wenn auch das Wetter sich verschlechtert hat. . Das 
Gespräch zwischen Hjälmar und Sigrfö geht weiter, zunächst über das Leben in 
Reykjavik, dann über ihr eigenes, das nicht beneidenswert gewesen ist. Dazwischen 
ist ein Sturm heraufgezogen, Schreckensrufe in der Ferne verbinden sich mit dem 
Heulen des Sturmes; aber Sigridöur kennt keine Angst, sie ist an die See gewöhnt, das 
Brausen der See hat ihr oft innere Ruhe gegeben; jetzt denkt sie nur daran, zu ihrer 
Tochter zu ziehen, wenn diese verheiratet ist. Hjälmar aber bittet sie, mit ihm zu gehen, 
und es fällt ihr schwer, seine Bitte abzuschlagen. Der Lärm auf der Straße wird stärker, 
schließlich kommt Einar, ganz durchnäßt, und meldet, das Boot sei gekentert und Krist- 
jan ertrunken. Über dem Lärm ist Brynhild erwacht und hört, was geschehen ist. 

4. Akt. „Ein Schmerz ohne Tränen ist der schlimmste.‘ Sowie Brynhild weinen 
kann, ist sie außer Gefahr. Frau Sigridur gedenkt sie unter den Schutz ihrer Freundin 


5 61 


Gudriö zu stellen. Johnsen hat von dem Unglück gehört und kommt nach Hause. 
Einar sagt ihm, mit dem Schiff aus England sei ein Schreiben gekommen, des Inhalts, 
er müsse seine Stellung verlassen, wenn nicht innerhalb vierzehn Tagen alle Schulden 
bezahlt seien. Die Lage ist bedenklich, Johnsen will sich erschießen, Einar hält ihn 
davon zurück. Hjälmar sieht, daß unter solchen Umständen wenig Aussicht ist, daß 
Sigriöur ihre Familie verläßt. ‚Wenn ich komme‘, sagt sie zu ihm, ‚‚finden Sie 
meinen Sattel und Zügel auf der grünen Bank im Eingang, wo sie am Abend lagen. 
Dann können Sie das Pferd satteln lassen.‘ Zwei Mächte streiten in ihrer Brust, die 
Liebe zu Hjälmar und das Pflichtgefühl gegen ihre Familie. Sie entschließt sich, mit 
ihrer Tochter zu sprechen, aber es fällt ihr schwer, dieser von ihrer Liebe zu erzählen 
und bittet sie, ihr ein Lied vorzusingen. Vielleicht, daß sie dann den Mut findet, ihr 
zu sagen, wie alles gekommen ist. Brynhild ist sehr niedergeschlagen infolge des 
Verlustes ihres Bräutigams, geht aber doch darauf ein und fragt die Mutter, ob sie 
von Jesus in Genezareth, der den Sturm stillt, singen soll. Die Mutter lehnt es ab 
(„der den Sturm stillt ?‘ sagt sie geistesabwesend nach; darauf Brynhild: Gott stillt 
alle Stürme. Sigriöur: Ja, ja, manche nicht, bevor das Schiff gesunken ist und die 
Mannschaft ertrunken). Nun singt Brynhild: ‚Kühn war er wie ein Löwe, an Stärke 
gleich dem Tod‘ usw. Jetzt bringt es Sigrföur über sich, ihrer Tochter zu sagen, 
daß sie sie verlassen und Hjälmar folgen will. Brynhild aber erklärt, sie werde nicht 
zu Frau Guöriö gehen, sondern zuhause bleiben und den Kampf aufnehmen, den ihre 
Mutter aufgebe. Das Tor dröhnt beim Hufschlag der Pferde Hjälmars; jetzt siegt das 
Pflichtgefühl gegen Tochter und Familie: ‚‚Ich habe niemandem versprochen zu kom- 
men. — Ich verlasse das sinkende Schiff nicht.‘ Einar hat Brynhild cine Stellung 
als Buchhalterin verschafft und Johnsen soll mit dem Dampfschiff nach Amerika fahren. 
Dort will cr ein neues Leben beginnen, denn an der Stelle, wo er hingeht, ist meilen- 
weit kein Whisky zu bekommen. Zum, Schlusse sieht Johnsen ein, wie schlecht er 
seine Frau behandelt hat; sofort nach seiner Ankunft in Amerika will er die Scheidung 
in die Wege leiten; er hofft, sie könnten sich in Freundschaft trennen. Sigridur bricht 
eine Rose ab und steckt sie ihm ins Knopfloch, Brynhild aber umarmt ihn: „Wir 
wollen fest zusammenhalten !‘‘ Frau Sigriöur: „Und gemeinsam den kommenden Tag 
begrüßen.‘ Die Morgensonne scheint auf Mutter und Tochter und die Schiffsglocke 
ertönt zum dritten Male. 


.r II 


ußere und innere Erlebnisse der Dichter verflechten sich in den meisten ihrer Schöp- 
fungen. Wie national ihre Dichtung ist und woher ihre Dichtergabe rührt, kann 
man deutlich sehen, wenn das Auge des Beobachters hier scharf zu trennen vermag. 
Besonders wichtig ist die Erscheinung, daß Vorstellungen und Gedanken, die auf den 
Dichter vor vielen Jahren einwirkten, oft bei der Arbeit aus der Tiefe seines Inneren 
emporsteigen. Der Dichter meint dann selbst, das Gold seiner Arbeit sei 24karätig, 
vollwertig, doch ist das nie der Fall. Verständiger Menschenbrauch ist es, das Metall 
zu mischen, weil das Gold dann länger hält. Bei den meisten Dichtern kann man nach- 
weisen, daß ihre Vorstellungen aus verschiedenen Zeiten und Orten stammen. Bilder 
aus den Kinderjahren des Dichters, Spiele aus der Jugendzeit, der Gedankenschatz 
anderer Dichter, alles vereinigt sich zu einem Ganzen, wenn er die Hand ans Werk legt 
und das Metall schmiedet, und den größten Einfluß übt aus, was den Dichter auf sei- 
nem Lebensweg am tiefsten berührt hat. 

Als Jöhann Sigurjönsson seinen ‚Bauer auf Hraun‘ schrieb und die Erde mit einem 
lebenden Wesen verglich, das mit offenem Munde atme, dachte man wohl allgemein, 
die Dichtergabe J6hanns habe ein neues Bild geprägt, obgleich nachweisbar viele an- 
dere Dichter, isländische und nicht isländische, das nämliche Bild in ähnlicher Weise 
verwendet haben. In den Schauspielen Schillers kann man nachweisen, daß zahlreiche 
Gedanken ihren Ursprung irgendwo anders haben, in der Bibel, bei Shakespeare, bei 


62 


deutschen Dichtern jener Zeit usw.; aber eine wirkliche Abhängigkeit liegt deshalb 
nicht vor. | 

Als Indridi Einarsson sein Schauspiel ‚‚Das Schiff sinkt‘' schrieb (1891— 1897), wirkte 
selbstverständlich der Wechsel der Richtung in den Kunstanschauungen auf ihn ein. 
Die Zeit der Romantik war längst vorüber und die des Realismus und Symbolismus 
an ihre Stelle getreten. Wenn im 3. Akt Brynhild sagt, sie sei müde vom Glück und 
wünsche zu träumen, erwidert ihre Mutter: ‚Ich meinte doch, die Romantik wäre selig 
verstorben I“ Ibsen ist einer der Hauptvertreter des Realismus, und Maeterlinck des 
Symbolismus. Doch ist es nicht leicht, die beiden Richtungen scharf zu scheiden. 
Ibsen hatte damals bereis geschrieben: Nora (1879), Die Frau vom Meer (1888), Hedda 
Gabler (1890), und viele andere; seine Schüler sind überaus zahlreich, darunter Ger- 
hard Hauptmann. Maeterlinck veröffentlichte damals La princesse Maleine (1889), das 
kleine Drama L’intruse und Les aveugles (1890). Diese Dramen wurden bald in an- 
dere Sprachen übersetzt und erschienen auch in dänischer Übersetzung zwei Jahre 
später (bei Gyldendal). 

Indriöi wollte ein Bild vom Leben in Reykjavik entwerfen und wie Ibsen auf 
die Schattenseiten der Gesellschaft hinweisen, als er sein Drama schrieb. Aber Sigri- 
öur ist eine ganz andere Person als die Nora oder Hedda Gabler Ibsens. Nora ver- 
läßt ihren Mann, als sie erkennt, daß sie im Hause nur eine Puppe gewesen ist, Si- 
gridur läßt sich nicht vom Zug des Herzens überwältigen, sondern besiegt sich selbst 
und opfert um ihrer Tochter und der Familie willen hier eigene Zukunft. Andererseits 
könnte man Dr. Rank in Nora und den Kandidaten Kristjän vergleichen. Dr. Rank ist 
ein edler Mann, der Nora liebt, aber krank, er stirbt mitten im Drama; er ist das Gegen- 
stück zur Ehe Noras und Helmers, ‚der bewölkte Hintergrund zu unserem sonnenhellen 
Glück‘‘ sagt Helmer. Er hat nur Bedeutung für die Entwicklung Noras. Der Kan- 
didat Kristjän ist ebenfalls ein edler Mann, der Geliebte der Brynhild, und ertrinkt 
mitten im Drama. Seine und Brynhilds Liebe ist das Gegenstück zum ehelichen Un- 
glück der Frau Sigrid und verschärfte ihren Kampf mit sich selbst; tatsächlich aber hat 
Kristjan für das Drama viel größere Bedeutung als Dr. Rank bei Ibsen; denn mit ihm 
sterben die Lebenshoffnungen dreier Menschen. 

Viel eher könnte man Sigriö und Hjälmar Pälsson bei Indriöi mit dem Advokaten 
Krogstad und Frau Linde in ‚Nora‘ vergleichen. In beiden Fällen haben wir alte 
Liebespaare, die aus verschiedenen Gründen nicht zusammengekommen sind. Sie 
treffen sich nach vielen, vielen Jahren und Frau Linde will jetzt, freilich auch um 
ihrer Freundin Nora willen, mit Krogstad sich zusammenfinden. 

Hjälmar Pälsson sagt im 4. Akt zu Sigriöur: „Aber Sie sind so von Natur, daß Sie 
das sinkende Schiff nicht verlassen.‘‘“ Ibsen läßt Frau Linde sagen (3. Akt): „Krog- 
stad, wenn wir zwei schiffbrüchigen Menschen nur zusammenkommen könnten.‘ Krog- 
stad antwortet später: „So unglaublich glücklich war ich noch nie in meinem Leben.“ 
Hjäalmar sagt zu Sigriöur: Mein Schicksal würde mir ein ganzes Meer von Glück geben, 
wenn ich Sie mit mir nehmen darf. — Aber auch hier ist die Verwandtschaft nicht 
groß, denn Hjälmar und Sigrföur finden sich nicht zusammen. — Andererseits erinnern 
die Worte Krogstads (im 3. Akt), da er Frau Linde wieder trifft und die Vergangenheit 
wieder aufleben läßt: ‚Als ich Sie verlor, war mir zumute, als ob ich den Boden unter 
den Füßen verlöre‘‘, an die Worte, die Sigrföur nach dem Tode des Kandidaten 
Kristjän spricht: ‚mir war, wie wenn der Boden, auf dem ich stand, mir unter den 
Füßen weggezogen würde.‘ — Aber obgleich, wie gesagt, Nora und Sigrföur durchaus 
verschieden sind, erinnert doch der Kampf mit sich selbst und ihre inneren Qualen 
nach dem Tode Kristjäns stark an Nora. — 

Frau Sigriöur sagt (im 4. Akt): „Ich bin nicht mehr ich selbst. Drei Tage und Nächte 
habe ich ununterbrochen gewacht und habe in dieser Zeit die stärksten Erregungen 
des Gemüts durchgemacht. Mir ist, wie wenn ich ertrunken wäre, meine ich. Als Noras 
Fälschung der Unterschrift aufgekommen ist, und Helmer ihr verziehen hat, weil Krog- 


5° 63 


sted und Frau Linde seine Ehre gerettet haben, sagt sie: „Ich habe in diesen drei Tagen 
einen schweren Kampf durchgemacht.‘ Helmer (später): „Nora! Was soll das be- 
deuten ? Dieses starre Gesicht!“ 

Auch der Entschluß der Frau Sigriö, mit Hjälmar fortzugehen, weil ihre Ehe mit John- 
sen nur ein „Zustand gewesen sei, in dem, der eine Herr, der andere lebenslang Sklave 
war‘ und daß sie deshalb fort will: „Ich bin mein eigener Herr‘ erinnert an Nora, 
die ihren Mann verläßt, weil sie schließlich, so verschieden auch ihr Zusammenleben 
mit Helmer von dem Sigriös der Frau mit Johnsen gewesen ist, schließlich einsieht, 
daß sie tatsächlich nie etwas anderes gewesen ist als ein Spielzeug Helmers, und 
schließlich durch den Ernst des Lebens ein selbständig denkendes Wesen geworden 
ist: „Ich glaube, daß ich in erster Linie ein Mensch bin, so gut wie du.“ 

: Im 3. Akt erzählt Sigriöur Hjälmar von ihren Leiden und sagt ihm, daß das Meer 
sie oft getröstet habe: „Ich hatte immer das Meer zu meinem Troste. Es wechselt 
jede Stunde sein Aussehen. Oft ist es sanft und beruhigend, manchmal schrecklich. 
Wenn ich allein hier saß, zog es alle meine Gedanken an sich, Auge und Ohr wurde 
mitihm vertraut. Es lachte und drohte abwechselnd und seit langem war es meine ganze 
Welt außerhalb meiner vier Wände. — Hier liegt deutlicher Einfluß Ibsens in „Frau 
vom Meere‘ vor. Ellida teilt ihrem Manne Wangel mit, daß sie mit einem Seemann 
verlobt gewesen sei und welche Zaubermacht die See über sie ausübe (2. Akt): „Tag 
und Nacht, Winter und Sommer läßt sie mich nicht frei, diese quälende Sehnsucht 
nach dem Meere — — wir sprachen meist von der See — von Sturm und Stille, von 
dunklen Nächten auf dem Meere. Das Meer in den Tagen glänzenden Sonnenscheins.“ 

Sigriöur sagt zu Hjälmar: Die See sang sich so in mein Herz, daß sie mich be- 
zauberte. Ich glaube noch, es wäre das Beste, soweit als möglich auf die See hinauszu- 
fliehen, ohne daran zu denken, was draußen ist. 

Ellida sagt (im 3. Akt): „Ich meine, wenn die Menschen nur von Anfang an sich daran 
gewöhnt hätten, auf dem Meere zu leben — vielleicht im Meere — dann wären wir jetzt 
weit vollkommener als wir sind, besser und glücklicher.‘ 

Vielleicht erinnert auch Brynhild ein wenig an Hilde, die Tochter Wangels, in 
demselben Schauspiel: sie ist ein fröhliches junges Mädchen, das sich erlaubt, mit dem 
Oberlehrer Arnholm ihren Scherz zu treiben, wie auch Brynhild nicht allzu große 
Hochachtung vor Frau Gudrfö und Frau Thorkelin zeigt. 

Auch die alte Liebe Hjälmar Pälssons erinnert an den unbekannten Seemann in 
diesem, Schauspiel. Das tritt am Ende deutlich hervor: Wangel hat sich bemüht, seine 
Frau Ellida davon abzubringen, mit dem unbekannten Mann fortzugehen, ebenso wie 
Brynhild sich bemüht hat, ihre Mutter davon abzubringen, mit Hjälmar zu gehen. 
Als Wangel schließlich sieht, daß er seine Frau nicht länger zurückhalten kann, heißt 
er sie gehen, wie Brynhild ihre Mutter. Die Dampfschiffsglocke erklingt zum letzten- 
mal bei Ibsen, der unbekannte Mann erwartet, daß Ellida ihm folgt, aber jetzt, da sie 
volle Freiheit hat und ihrer eigenen Verantwortung sich bewußt wird, entschließt sie 
sich nicht zu gehen, sondern die Ehe mit Wangel auf neuer Grundlage aufrechtzuer- 
halten. Sigriöur bedarf ebenfalls nur eines Augenblicks, um ihre Absicht, Hjälmar zu 
folgen, aufzugeben, sowie das Pflichtbewußtsein in ihrer Brust die Übermacht gewinnt. 

In „Hedda Gabler‘ erscheint der trinkende Gelehrte Ejlert Lövborg, der früher 
Hedda Gabler nahegestanden hat, während sie jetzt mit dessen altem Studienfreund 
Tesman verheiratet ist. Im 2. Akt trifft Lövborg sie wieder, und während Tesman 
nicht hinhört, spricht er mit ihr wie in alten Tagen, nennt sie Du, aber sie fordert ihn 
auf, das zu unterlassen. „Keine Untreue! Davon will ich nichts wissen !'‘ Das erinnert 
einigermaßen an Hjälmar (3. Akt), der Sigrföur in seiner Gewalt zu haben glaubt; 
Sigridöur kommt sein Benehmen zudringlich vor und sie sagt: „Nein, nein! Nicht in 
meinem eigenen Zimmer! Sie dürfen mir mein altes Ideal nicht rauben.‘ 

Als Johnsen sich erschießen will, Einar ihm die Büchse wegnimmt und ihm sagt, 
er dürfe das seinen weiblichen Angehörigen nicht antun, sagt Johnsen, es gehe diesen 


64 


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® 


wie zwei Schwänen, nach denen ein ungeschickter Schütze schießt und nicht trifft; 
sie setzen sich auf einen anderen See und singen so schön wie vorher. Das erinnert 
einigermaßen an die Tochter im Hause in „L’intruse‘‘ von Maeterlinck, die zu ihrem 
Onkel sagt, es müsse jemand in den Garten gekommen sein, denn die Schwäne seien 
erschreckt über den See geflogen. Sonst scheint Maeterlinck Einfluß auf die Szenerie 
gehabt zu haben, wovon später die Rede sein wird. 

' Welche Erlebnisse im Leben des Dichters in das Drama ‚Das Schiff sinkt‘‘ verwoben 
sind, ist augenblicklich nicht leicht festzustellen. Jedoch ist kaum zweifelhaft, daß ein 
ähnliches Unglück mit einem Boote in der Nähe des Hafens von Reykjavik, das wenige 
Jahre vorher stattgefunden hatte, sich im Schauspiel in dem Ertrinken Kristjäns 
wiederspiegelt ; dazu stimmen auch einige begleitende Umstände (das offene Fenster usw.). 

Einige eigentümliche Züge des Lebens in Reykjavik in jener Zeit finden sich in dem 
Stücke wieder, z. B. die geschäftlichen Verhältnisse; man kann das Vorbild für den 
Faktor Johnsen leicht finden, ohne aus Björnsons ‚„‚Fallissement‘‘ den Gedanken des 
Bankrotts zu entnehmen, wie Küchler und Poestion dies tun. Die Stadtklatsche (Frau 
Thorkelin), die Angst des alten Thorkelin, in die Zeitung zu kommen, die Schilderung 
des Balls, der Unterschied zwischen Stadt- und Landleben, und vieles andere ist 
durchaus isländisch, wenn auch der Herausgeber des Dj6ö6lf 1893 und mit ihm 
Poestion nichts für das isländische Volksleben Charakteristisches in dem Stücke 
finden wollen. 

III 

Ile Schauspiele sind mehr oder weniger auf Gegensätzen aufgebaut. Die Haupt- 
person dieses Stückes ist Sigriöur, in deren Brust zwei widerstreitende Kräfte 
kämpfen. Gegensätzesind daher auch die beiden Personen, die diesen beiden Kräften 
entsprechen, Johnsen und Hjälmar Pälsson. So mußte Johnsen ein liederlicher Trunken- 
bold werden, Hjälmar dagegen ein edler, ansprechender Charakter; sein Edelmut zeigt 
sich unter anderem darin, daß er Sigriö ihr Versprechen, mit ihm zu gehen, zurück- 
gibt, da er sieht, wie die Verhältnisse in ihrem Hause liegen und sie das sinkende Schiff 
nicht verlassen will. Die Roheit Johnsens erreicht ihre Höhe an der Stelle, wo er be- 
trunken nach Hause kommt und an seiner Frau sich vergreift (Ende des ı. Akts). In 
diesen Szenen treten die Gegensätze in den Charakteren Johnsens und Hjälmars am 
stärksten hervor. Auch der Buchhalter Einar ist ein Gegenstück zu Johnsen und zu 
diesem Zweck eingeführt; darum deutet der Anfang des Stückes die Möglichkeit an, 
daß es ihm gelingen könnte, die Familie Johnsens aus allen Schwierigkeiten zu befreien, 
was die Spannung der Zuschauer bedeutend steigert. Die Liebe Brynhilds und Krist- 
jans steht im Gegensatz zu der Ehe Johnsens und Sigriös, und steigert natürlich 
deren inneren Kampf. Auch die beiden Freundinnen, Guöridö und Frau Porkelin, 
sind Gegensätze, die eine eine fürsorgliche, gütige Freundin, die für das Drama 
wenig bedeutet, die andere ein boshaftes Weib, das die letzte Hoffnung Johnsens ver- 
eitelt. — Porkelin hat einige Züge, die ihn zum Gegenstück Johnsens machen. — 
‚Schließlich haben auch die Studenten Siguröur, Gunnar, Gisli, besonders der erste 
und der letzte, eine ausgeprägte Eigenart. Siguröur ist das Gegenstück zu Kristjän, 
unglücklich in der Liebe: er hält die Rede, die indirekt die Ruderfahrt, Kristjäns Tod 

usw. veranlaßt. 

Das Drama ist sehr handlungsreich und dabei ist der Aufbau besonderer Beachtung 
wert. Der Verfasser zeigt große Vertrautheit mit der Dramendichtung der modernen 
großen Völker und mit der Tragödie der alten Griechen. Der Aufbau ist ähnlich wie 
bei Sophokles, dem viele der bedeutendsten Dichter gefolgt sind, wie Schiller in „Maria 
Stuart‘ und ‚„Wallenstein‘‘. Der Aufbau ist folgender: Das Stück beginnt mit dem 
Ende; rückblickend werden die Ursachen aufgezeigt, die das Ende herbeigeführt haben. 
Bei Indridi Einarsson „sinkt das Schiff‘ am Anfang des Dramas. Einar legt Johnsen 
dar, wie die Sache steht: die Schulden sind bedeutend gewachsen, Johnsen trinkt maß- 
los, ein Brief ist mit dem englischen Schiff gekommen. Johnsen muß seine Stellung 


65 


® 


verlieren, die Familie löst sich auf; der Verfasser zeigt nun in 4 Akten die Zustände 
im Hause und flicht Ereignisse und Personen ein, die dem Ende entgegenwirken. Das 
gibt dem Stück inneren Halt, der nötig ist, wenn man diese Art des Aufbaus anwendet. 

Der Buchhalter Einar zeigt gleich am Anfang seine Fürsorge für die Familie John- 
sens; die Hoffnung wird lebendig, er werde ihr aus allem Elend helfen können. Im 
2. Akt legt Einar Johnsen dar, was geschehen müßte, vor allem müßte eine Veränderung 
eintreten, der Handlungsgehilfe Zakarias muß fort, weil er stiehlt, Brynhild muß im 
Bureau arbeiten, Johnsen aufhören zu trinken. Um die Schulden zu bezahlen, deren 
Bezahlung der Eigentümer innerhalb weniger Tage verlangt, erbietet sich Einar selbst 
für 4000 Kronen gut zu stehen; was noch fehlt und das Geld selbst soll sich Johnsen 
von scinem langjährigen Freund Porkelin verschaffen. So ist die Aussicht nicht 
schlecht, es sieht tatsächlich so aus, als ob es Einar gelingen sollte, alles in Ordnung zu 
bringen. Der Ball und der Versuch bei Thorkelin ist die Gegenkraft, die dem Ende 
entgegenwirkt. Aber der Versuch mißlingt, das Schicksal Johnsens ist entschieden. 
Im 3. Akt tritt dieser überhaupt nicht auf; im 4. Akt tritt der Gegensatz der Charaktere 
der beiden Eheleute deutlich hervor: Johnsen will sich das Leben nehmen, da er sieht, 
daß alle Hoffnung vorbei ist, Frau Sigriöur gewinnt den Sieg über sich selbst. 

Vielleicht hat Maeterlinck auf die Szenerie im 2. Akt eingewirkt. Das Gespräch im 
Vorzimmer zum Tanzsaal ist ein Abbild des Balles im kleinen. In „La Princesse Ma- 
leine‘‘ Maeterlincks ist Tanz am Hofe des Königs im 3. Akt und vor den Tanzenden 
sprechen der König und seine Familie miteinander. Am Ende des Aktes klopft es ein 
ums andere Mal wunderbar an die Tür, ohne daß jemand draußen ist. Dasistein Vorbote 
des Unglücks; auch hatte der König in diesem Akte kurz vorher gesagt, er meine, der Tod 
werde bald an seine Türe klopfen. Daran erinnert einigermaßen bei Indridi der Stu- 
dent Gisli. Als Kristjän und seine Gefährten sich zur Bootfahrt entschließen, sieht 
Gisli das Unglück vorher; er sagt zu Kristjän, er sehe das Wasser von seinen Haaren 
niedertriefen. Kristjän und Gunnar legen dem keinen Wert bei; der Wein, sagen sie, 
sei Wahrheit und sie seien innerlich naß! Aber Gisli sieht nach wie vor das Wasser 
von den Augenlidern Kristjäns herabtropfen, nachdem dieser binausgegangen ist. Viel- 
leicht erinnert Gisli an den ‚‚Hellseher‘‘ von Jonas Lie, aber ihn als Vorbild aufzufassen 
ist unnötig. Es gibt genug wunderbare Ereignisse und Gesichte in den isländischen 
Volkssagen und dem gegenwärtigen Leben Islands; Gisli ist also ziemlich isländisch in 
seiner Sinnesart. Auf der Bühne macht das bei guter Darstellung großen Eindruck 
und steigert die Spannung der Zuschauer. Maeterlinck hat in dem genannten Drama 
eine ganze Reihe von Vorboten: Sternschnuppen, Irrlicht, Mondfinsternis u. dgl. Es 
ist überflüssig, auf die zablreichen Vorboten und wunderbaren Ereignisse hinzuweisen, 
die sich bei Shakespeare, Schiller und Ibsen finden, um zu beweisen, daß solches für 
die Aufführung großen Kunstwert hat. 

Beinahe im ganzen 3. Akt herrscht Sturm; dieser soll bei den Zuschauern Aufregung 
erwecken und sie auf die Trauerkunde von Kristjäns Tod vorbereiten. In dem näm- 
lichen Aufzug hört man Leute draußen auf der Straße laufen, das Gespräch zwischen 
Hjälmars und Sigriös stockt aufeinmal, Stille herrscht auf der Bühne, gleich darauf fällt die 
Türe ins Schloß und man sieht Leute am Fenster vorübergehen. Das alles erinnert stark 
an die Art, wie Maeterlinck unbedeutende Kleinigkeiten dazu verwendet, die Unruhe 
der Zuschauer zu wecken, um auf das, was draußen vor sich geht oder bald geschieht, 
vorzubereiten. Der Arzt wird aufgeregt in „La Princesse Maleine‘, obgleich er an 
dem, was vor sich geht, keinen Anteil hat, genau wie Hjälmar, wenn er sagt, er sei nicht 
abergläubisch, aber er wisse nicht, ob er es nach einem solchen Abend nicht werde. 
Das kurze Gespräch Hjälmars und Sigrfös unmittelbar bevor Einar mit der Trauer- 
nachricht kommt, erinnert lebhaft an das Gespräch zwischen dem Vater und den Töch- 
tern in „L’intruse‘‘, es werde kalt im Zimmer, es sei nicht möglich die Tür zu schließen, 
es müsse jemand draußen sein usw. 

Hjälmar: Was war das? Sigriöur: Jemand ging an der Türe vorbei. 


66 


Hjalmar: So spät? Wer ging am Fenster vorbei? usw. 

Sigriöur aber erklärt alles auf natürliche Weise, sie liebt das Meer und ist an ar 
gewöhnt. 

‚Indridi benützt so den Sturm etwas anders als es in der Dramendichtung üblich ist; 
sonst bezeichnet er die innere Erregung einer Person, z. B. des Königs Lear bei Shake- 
speare oder der Jungfrau von Orleans bei Schiller oder die Strafe und Zorn Gottes, 
wie bei Maeterlinck in ‚La Princesse Maleine‘“‘. Dort ist beinahe im ganzen 4. Akt 
Sturm. Indriöi verwendet Donner und Blitz nur einmal und zwar im 3. Akt, um die 
Aufregung und den Schrecken der Zuschauer zu steigern. Auch diese Naturerschei- 
nungen sind anders verwendet als sonst. In der Regel ist der Donner ein Zeichen 
Gottes, der Warnung oder Strafe, wie bei Shakespeare, bei Ibsen (im 2. Akt von „Kaiser 
Julian‘. Ähnlich der Blitz, der manchmal auch ein Zeichen des Teufels ist (z. B. bei 
Goetbe, Schiller). Auch die Sonne verwendet der Dichter am Ende des Stückes. Die 
Morgensonne bescheint die Umarmung von Mutter und Tochter, sie bezeichnet Friede 
und, Einigkeit, wie z. B. auch bei Ibsen in den ‚„‚Gespenstern‘ und „Kaiser Julian‘. 

Man könnte auch die Charaktere der einzelnen Personen in unserem Drama beob- 
achten und untersuchen, ob die einzelnen Personen in Gedanken und Handlungen sich 
treu bleiben; ob sie ihrer Natur nach, isländisch sind, ob sich bei ihnen, namentlich 
den Hauptpersonen, eine Entwicklung zeigt. Eine solche liegt z. B. besonders bei 
Sigriö selbst vor; man könnte darauf hinweisen, daß der Buchhalter Einar nichts 
Eigenartiges an sich hat, er ist nur ein Gegenstück, „der schablonenhafte Biedermann“, 
wie ihn Poestion nennt. Manches in dem Drama macht auch einen unwahrscheinlichen 
Eindruck, wie wenn zZ. B. Sigridur am Ende Johnsen eine Rose ins Knopfloch steckt, 
und manche Einzelheiten sind nicht genügend begründet. Doch kann es keinem Zweifel 
unterliegen, daß, wie es nun einmal mit der dramatischen Dichtung Islands steht, 
dieses Stück ausgezeichnet und sein Aufbau vorzüglich ist. Die isländische Schauspiel- 
kunst aber ist noch so wenig entwickelt, daß von ihr keine Abhilfe gegen allenfallsige 
Fehler im Stücke selbst zu erwarten ist. Übersetzt von W. H. 


IV. EIN DEUTSCHES UNTERSEEBOOT 
IN DEN GEWÄSSERN UM ISLAND: 


(Nach einem isländischen Zeitungsbericht) 


N: ist es dahin gekommen, daß wir Isländer allen Ernstes den deutschen Untersee- 
bootkrieg beachten müssen. Kaum hat man sichere Kunde, daß ein englisches 
Schiff am Berufjord versenkt worden ist, kommt das isländische Fischerboot „Ran‘ 
von einer beabsichtigten Fahrt nach, Fleetwood zurück in den Hafen von Reykjavik, 
zur Umkehr genötigt von einem deutschen Unterseeboot, als es schon ziemlich nahe 
an seinem Bestimmungsort war. 


Der Bericht des Kapitäns Finnbogi Finnbogason über dieses unerhörte Ereignis 
lautet folgendermaßen: 

Am Sonntag, den 29. Oktober, nachmittags 31%, befand sich das Fischerboot ‚„Rän“ 
etwa 70 Seemeilen von Barra Head auf der Fahrt nach Fleetwood mit gefrorenem 
Fisch. Das Wetter war klar, eine steife Brise wehte von West mit starkem Seegang. 
Da sah man in einem Abstand von 800 bis 900 m ein Unterseeboot auftauchen. Gleich 
darauf hißt es das Stoppsignal und die deutsche Kriegsfahne und sendet gleichzeitig 
einen Kanonenschuß zur Warnung, der wenige Meter vor der „Rän“ in die See fällt. 
Sofort stoppt das Schiff und signalisiert, daß es halte. Sofort wurden die Schiffsboote 
losgemacht und herabgelassen, was infolge des hohen Scegangs sehr schwer ging, und 
der ganzen Mannschaft befohlen, sie zu besteigen; während dies vor sich ging, kam ein 
zweiter Schuß vom Unterseeboot so nahe an die Steuerbordseite des Schiffs, daß die 


! Aus der Täglichen Rundschau. 


67 


Wasserstrahlen aufs Deck spritzten. Als die Boote niedergelassen und die Mannschaften 
hinabgestiegen waren, kam ein dritter Schuß so nahe an das hintere Ende des Schiffes, 
daß Geschoßsplitter auf das Deek flogen. 

Die Boote segelten nun so schnell als möglich ab in der Richtung nach dem Untersee- 
boot und keiner von uns wagte zu hoffen, daß er die „Rän‘ wieder sehen würde. Die 
Boote fuhren nun so nahe an das Unterseeboot heran als es bei dem hohen Seegang 
möglich war. 

Der Kapitän erhielt die Weisung, an Bord des Unterseebootes zu kommen, und als 
er dort angelangt ist, kommt ihm einer von den Offizieren des Unterseebootes entgegen. 
Er fragte den Kapitän, wie das Schiff heiße, wo es zu Hause sei, woher es komme, welche 
Ladung es habe, wohin es fahre, wo und wann es gebaut sei und welcher Nationalität 
die Bemannung sei. 

Nachdem der Kapitän diese Fragen beantwortet hat, sagt der Offizier, nachdem 
das Schiff mit Nahrungsmitteln geladen sei, die nicht in Feindesland kommen durften, 
bleibt nichts übrig, als dasSchiff zu versenken, und der Mannschaft an Land zu ver- 
helfen. Der Kapitän bittet den Offizier, das Schiff zu schonen und nicht zu versenken, 
da es von einem neutralen Lande sei. Der Offizier antwortet ihm, daß das gleichgültig 
sei. Die Engländer hätten Einfuhrsperre über Deutschland verhängt; daher versuchten 
sie selbst mit ihren Unterseebooten Gleiches mit Gleichem zu vergelten und versenkten 
jedes Schiff, dessen sie habhaft würden, das nach Feindesland Konterbande bringe. 
Der Kapitän bittet den Offizier aufs neue, sein Schiff nicht zu versenken, und erklärt 
sich bereit, umzukehren und mit seiner Ladung nach Island zurückzufahren. 

Der Offizier erklärte, er könne solchem Versprechen keinen Glauben schenken; denn 
wenn die „Rän‘‘ aus seinem Gesichtskreis entschwunden sei, könne sie mit Leichtigkeit 
wieder umkehren und nach England fahren. 

Der Kapitän erklärte, er wolle sein Ehrenwort darauf geben, daß er geradenwegs 
nach Island fahren werde. Der Offizier sagte, Ehrenworte seien in solchen Zeiten nichts 
wert; jetzt gelte nur das Faustrecht. 

Nachdem er das gesagt, ging er zu einem anderen Offizier, der sich dort befand und 
sein Vorgesetzter zu sein schien; die beiden sprachen eine Zeitlang miteinander. 

Dann kehrte der erstgenannte zum Kapitän zurück und sagte ihm, sie wollten in 
diesem Falle seinem Ehrenwort vertrauen und dem Schiffe gestatten, nach Island 
zurückzufahren, gegen die schriftliche Erklärung, keine Nahrungsmittel, weder Fisch 
noch anderer Art, nach England oder zu deren Bundesgenossen mehr zu schaffen. 

Als das erledigt war, sagte der Offizier, wenn er auch in diesem Falle das Schiff frei- 
gebe, sei das zugleich eine Warnung für andere isländische Fischerboote, die Fische 
nach England führen; denn er wisse wohl, daß es mehr seien als dieses eine Schiff, die 
das täten; auch könne er sich darauf verlassen, daß, wenn sie späterhin eines von diesen 
isländischen Fischerschiffen mit einer Ladung von Fischen anträfen, sie es unverzüg- 
lich versenken würden. Die Unterseeboote hätten den Weg festgestellt, den die Fischer- 
‚schiffe einschlügen, und würden sorgfältig Wache halten. 

Dann verabschiedete der Offizier den Kapitän und band ihm einen Streifen um den 
Arm und fügte hinzu, das sei ein Ausweis darüber, daß ein deutsches Unterseeboot das 
Schiff angetroffen habe. Auf dem Streifen stand: II. Unterseeboots-Halbflotille II. 

Dann forderte der Offizier ihn auf, unverzüglich abzufahren, geraden Weges nach 
Island. 

Das ließ man sich nicht zweimal sagen; sie ruderten eiligst an Bord der ‚„Rän‘, 
zogen die Boote empor und fuhren ab; das Unteres n00t behielt die „Rän‘ im Auge, 
bis es dunkel geworden war. 

Nach der Abfahrt untersuchte man die Kohlenvorräte des Schiffes; diese ergaben 
sich als sehr gering zu der Fahrt, die vor ihnen lag; es blieb nichts anderes übrig, als die 
Kohlen möglichst zu sparen, dabei aber die schnellste Fahrt im Verhältnis zum Kohlen- 


68 


verbrauch zu erzielen, und beides gelang vorzüglich. Als es am nächsten’ Morgen Tag 
geworden war, fand man Splitter von einem Geschoß, die auf das Deck gefallen wären, 

Ein Glück war es, daß das Wetter nicht das Herablassen der Boote unmöglich gemacht 
hatte, denn in diesem Falle bestand wenig Aussicht, daß Schiff und Mannschaft davon- 
gekommen wären. et 

Aus dem Gesagten geht hervor, daß der Fahrweg, den die isländischen Fischerboote 
einschlagen müssen, zur Fahrt nach Fleetwood, nicht mehr sicher und gefahrlos. ist, 
und es ist kein Zweifel, was die Folgen sein werden, wenn deutsche Unterseeboote 
sie auf diesem Wege treffen.“ u 


Aus anderen Zeitungsberichten läßt sich entnehmen, daß das rücksiohtsvolle Ver- 
halten des deutschen Unterseeboots auf Island sehr guten Eindruck gemacht hat. 
W.‘H: 


v. EINE ISLÄNDISCHE STIMME ÜBER 5 
DEUTSCHLAND! | er 


er die Nachrichten aus dem Norden in den letzten Monaten verfolgt 

hat, weiß, wie die Engländer nach und nach allen Staaten des Nordens 
den Handel mit Deutschland immer unmöglicher gemacht haben. Darunter 
muß auch Island in höchstem Maße leiden. Waren von dort dürfen nur danh 
ausgeführt werden, wenn sie vorher dem Engländer zu einem von ihm 
festgesetzten Preis angeboten waren und, soweit nicht der eigene nach- 
gewiesene Bedarf Dänemarks in Frage kommt, an kein Land verkauft 
werden, das an die Ost- und Nordsee grenzt. Auch was Island unter solchen 
Voraussetzungen nicht verkaufen kann, nimmt England zu dem von ihm 
selbst festgesetzten Preise an. Gegenleistung Englands ist, daß die nach 
Island bestimmten Schiffe nicht länger in englischen Häfen zurückgehalten 
werden. Diesen herrlichen Vertrag hat die isländische Regierung notge- 
drungen annehmen müssen. Die Insel ist damit so gut wie vollständig in 
englischer Gewalt, wenn man bedenkt, daß sie in verschiedenen Dingen, 
wie Getreide, Kohlen, Kartoffeln usw. ganz oder so gut wie ganz von der 
Einfuhr abhängig ist. Ä 

Um so erfreulicher ist es, davon berichten zu können, daß die Zeitungen 
trotzdem sie auf die ‚„Reuter“-Meldungen angewiesen sind, keinesweg, 
alle dem englischen Einfluß rettungslos verfallen sind. Von den isländischen 
Zeitungen bemühen sich neutral zu sein besonders ‚Lögretta‘“ und neuer- 
dings auch einigermaßen ‚„"Isafold“. Einen besonders erfreulichen V er- 
such, ehrliche Neutralität zu bewahren, finden wir neuerdings in der in ’Isaf- 
jöröur wöchentlich erscheinenden Zeitung „Vestri“. 

In diesem Blatte veröffentlicht in No. 32 ff. G. Hjaltason eine längere 
Abhandlung über die Völker des Weltkrieges, die nach einer Einleitung, 
in der die Schrecken dieses gewaltigsten aller Kriege im Anschluß an die 
Prophezeiungen des Eddaliedes Völuspä& ausgemalt werden, sich zur Auf-: 
I Aus der Tägichn enscu. m 


69 


gabe macht, die guten Seiten: der: Deutschen, :Engländer und Franzosen 
zu behandeln,‘ da man vori: ihren’ Fehlern so schon ‘genug höre. 

"Einstweilen liegen mir die Ausführungen über, die Deutschen und die 
Engländer vor. Die Darlegungen über die Engländer sind sehr rosig ge- 
färbt und mögen bei dem Nimbus, den England stets um sich zu ver- 
breiten. verstand, der Überzeugung des Verfassers entsprechen. Für uns 
wichtiger ist, was der Verfasser über die Deutschen zu sagen hat. 

“Man wird das Folgende nur darin richtig beurteilen, wenn man sich den 
Zweck der Ausführungen klarmacht. Sie sollen der Aufklärung der Bevöl- 
kerung einer kleinen Handelsstadt am Meer dienen, die man sich hauptsächlich 
aus Bauern und Fischern zusammengesetzt denken muß, Leuten, denen der 
Weg gezeigt werden soll zu einem richtigeren Urteil über uns, als die Nach- 
richten des „Reuter“-Büros und sonstige englische Auslassungen es gestatten: 
So mag uns die Aufzählung stellenweise kindlich, oft, unvollkommen und 
einseitig erscheinen, aber wenn man die Absicht bedenkt, wird man die 
Form verzeihen. Der Abschnitt aber, der davon handelt, was Island Deutsch- 
land zu verdanken habe, ist in all seiner Einfachheit und Harmlosigkeit, 
wie sie für die Leser des Blattes nötig ist, doch für uns höchst fesselnd. 
Darum schien es angebracht, den ganzen Abschnitt über Deutschland 
ungekürzt vorzulegen, 

. Auffällig sind die Bemerkungen über den „Militarismus“ und über den 
Einfluß Nietzsches. Es entspricht dem von England verbreiteten Märchen 
vom deutschen Militarismus, daß man in Nietzsches „Übermenschen‘“ 
den philosophischen Vertreter des rücksichtslosen, ruhmgierigen Eroberers 
sieht, und von diesen Verdrehungen hat sich der Verfasser unseres Artikels 
trotz besten Wollens nicht freimachen können. 


Einleitung 


Die Deutschen sind das stärkste aller Völker, und wir wissen nicht, was andere Völker 
an ihrer. Stelle tun würden. 

Sie sind eines der tüchtigsten Völker, die je auf der Welt waren. Sie sind das älteste 
von allen den Völkern des jetzigen Europas, die ihre Selbständigkeit besitzen. 

Sie hatten berühmte Ahnen, die die alten Römer anstaunten und nicht überwinden 
konnten. Und diese Ahnen der Deutschen waren den unseren an Mut, Tatkraft und 
Edelsinn gleich. Und die Ahnen beider stammen von dem bedeutendsten Stamme 
des Menschengeschlechts. Wir stammen also von hervorragenden Vätern und daher 
kann man viel von uns verlangen. 

Die Deutschen sind auch eines der begabtesten Völker, die je auf der Welt gelebt 
haben, eines der klügsten und gedankenvollsten Völker, das gelehrteste und alles in 
allem das gebildetste Volk der Welt in der Gegenwart. Denn in Deutschland sind jetzt 
die meisten und besten Hochschulen der Welt. Und bei keinem großen Volk ist die Volks- 
bildung so allgemein. ' Vor 45 Jahren, sagte der französische Philosoph Taine, konnten 
dort alle lesen, am meisten in Norddeutschland. u | 


70 


nie et ssorDeuische Wissenschaft; ui © 

Von Deutschland hat m Menschheit die’ Buchdruckerkunst bekoirimen. Von Deutsch- 
and kam die Reformation. — Luther hat kaum seinesgleichen in der Welt. Einen so 
hochbegabten Glaubenshelden gibt es nirgends außer in Deutschland. Und Luther 
war ein echter Deutscher mit Leib und Secle. Und der andere Reformator, Zwingli, 
in’der deutschen Schweiz, war auch ein begabter Glaubentheld, und dazu freien Sinnes. 

Deutschland ist Iange die Hauptstätte der Theologie gewesen. Der ganze Norden, 
auch England, Holland, Nordamerika und noch mehr Länder haben in diesen 4—5 
Jahrhunderten nach der Reformation dort gelernt. 

Aus Deutschland stammen die meisten und besten Kirchenlieder der Protestanten 
und die besten Erbauungsschriften für das Volk. 

. ‚Von den Deutschen hat unser Hallgrimur (Pjetursson, berühmter Dichter von Kirchen- 
liedern) mehr gelernt als von irgendeinem anderen Volk. Nicht nur in der Dichtkunst, 
sondern auch in Glaubenslehren. 

. Unsere christliche Lehre ist, meine ich, in noch höherem Grade deutsch als die der 
Dänen und Norweger. Allerdings haben beide auch von den Deutschen gelernt. Aber 
die Dänen haben Grundtvig und Kirkegaard und die Norweger haben diese beiden 
und dazu ihren H. N. Hauge als Glaubenslehrer. Der deutsche Rationalismus hat so 
auf Island festere Wurzel gefaßt als in Dänemark und Norwegen. 

‚Und dann die Philosophie. Das alte Griechenland war die Heimat der Philosophie. 
Aber dann kommt gleich Deutschland, wenigstens seit dem ı8. Jahrhundert. Da lebten 
Leibniz, Kant und Fichte, die Bjarni Thorarensen als die größten Philosophen anführt 
(im Gedicht „Der Tod‘). Auf Hegel folgte Kant mit seinem Gedanken vom ‚ewigen 
Frieden‘ auf Erden. Ihnen folgten die Pessimisten Schopenhauer und Hartmann‘ 
die größten Philosophen des Frauenhasses. Doch konnten sie die Frauenbewegung 
von Deutschland nicht fernhalten. 

. Dann kommen schließlich der neue Kampfesphilosoph Nietzsche und sein Kreis. 
Sie. setzen die Kraft an die Spitze der Tugenden. Sie sagen, die Gewalt sei das höchste 
Recht, und haben damit ihr Volk sehr verdorben und den Kriegsgeist genährt. So 
verschiedene Richtungen gibt es in der deutschen Philosophie, und dabei sind viele 
nicht genannt. 

Auch in anderen Wissenschaften, z. B. der Medizin, Zoologie, Astronomie, haben 
sie Großes geleistet. 

‘ Und zahllose Erfindungen haben sie gemacht, z. B. Luftschiffe und Flugzeuge. 

Auf dem Gebiete des Militärs und der Strategie übertreffen sie jetzt alle Völker der 
Welt. In Handel und Industrie, Ackerbau und Waldbau, Seefahrt und vielen anderen 
praktischen Fortschritten haben sie jetzt die meisten Völker der Welt überflügelt 
und stehen auf gleicher Stufe, ja in einzelnen Punkten über den Engländern und Ameri- 
kanern. Nun lernen sie auch die natürlichen Kräfte ihres Landes besser auszunützen 
als irgendein anderes Volk. 


Deutsche Künste 

In den schönen Künsten haben die Deutschen lange alle anderen Völker übertroffen. 
Die tiefsinnigen und formvollendeten Dichter Schiller und Goethe sind längst Muster 
und Vorbild der meisten Dichter und Gelehrten der Welt geworden. 

Auch unsere Dichter, besonders J6nas Hallgrimsson und Steingrimur Thorsteinsson 
haben von diesen und anderen großen deutschen Dichtern viel gelernt, z. B. Heine, 
den Kristjän Jönsson so sehr schätzte. Heine war ein Dichter leichten Spottes = 
zarter, tiefempfindender Lyriker zugleich. 

Deutschland ist auch der eine Mittelpunkt aller Musik, z. B. der Liederdichtung 
(der andere ist Italien). Man braucht nur die Namen Beethoven, Bach, Mozart und Hän- 
del zu nennen. Und die allermeisten und allerbesten unserer Kirchenlieder stammen 
aus Deutschland. 


71 


Dann die Baukunst. Die Dome in Köln und Straßburg, Bauten in Nürnberg und 
überall in Deutschland und Deutschösterreich gehören. zu „den. berühmtesten Bauten 
der Welt, Kirchen mit einer Menge von prächtigen Türmen und kunstreich gemalten, 
Fenstern. 

Auch die Malerei ist in Deutschland sehr bedeutend gewesen, zZ. B. Albrecht Dürer 
und Lukas Cranach zur Zeit Luthers. Jedoch stehen jetzt die Italiener und Holländer 
höher. 

Auch Bildhauerei ist dort an vielen Orten, z. B. in Nürnberg. Aber darin sind ‚wieder 
die Italiener und Thorwaldsen bedeutender. 


Deutsche Tugenden 


Dem schließen sich jetzt die deutschen Tugenden an. Die Deutschen übertreffen die 
allermeisten Völker an Arbeitsamkeit und Sparsamkeit, und vor allem auch in Pflicht- 
treue. ‚Was mein Sohn lernt, ist mir gleichgültig, wenn er nur lernt, seine Pflicht zu 
tun‘‘, sagte kürzlich ein deutscher Vater. Die Deutschen verstehen besser als alle anderen 
Völker zu gehorchen und als die höchste Pflicht des einzelnen es anzusehen, für das 
Vaterland zu leben und zu sterben. 

Natürlich legen die Deutschen auch großen Wert auf schulmäßigesLernen. Dieses wissen 
sie von allen Völkern am besten zu schätzen. Esgabeine Zeit, wo siein manchen prak- 
tischen Künsten den Engländern und Amerikanern nachzustehen schienen, zZ. B. in 
der Seefahrt, Handel, Industrie und Ackerbau. Aber jetzt sieht es anders aus. Sie 
sind auf dem Wege, in diesen Dingen alle Völker zu übertreffen, wenn diese sich nicht 
sehr anstrengen. 

Die Schule hat das Geistesleben der Deutschen bereichert, ihr Urteil geschärft und 
Willen und Energie geweckt. Ihre Fortschritte auf praktischem Gebiet und ihre Tüchtig- 
keit im Heerwesen sind den Schulen und dem Studium zu verdanken. 

Bildung macht frei, aber die politische Freiheit ist nicht ihr höchstes Ziel. Sie wollen 
lieber, daß der Staat alle schützt vor Mangel im Alter, vor Krankheit, Unglücksfällen 
und Arbeitslosigkeit. Diese Aufgaben hat das Deutsche Reich auf sich genommen und 
übertrifft darin die meisten, wenn nicht alle Staaten. 


Wir haben den Deuischen viel zu verdanken 
Die Deutschen haben der neuen isländischen Literatur mehr Ehre erwiesen als irgendein 
anderes Volk. 

Sie haben viele unserer besten Erzählungen 2, viele unserer besten Gedichte in 
ihre Sprache übersetzt. 

Sie haben ganze Bücher über einige unserer großen Männer geschrieben, wie über 
J6ön Sigurösson und Steingrim Thorsteinsson, einige unserer weniger hervorragenden 
Schriftsteller besser und richtiger beurteilt als wir selbst. ‚‚Doppelt so viele oder noch 
mehr Deutsche besitzen eine gründliche Kenntnis unserer Sprache und Wissenschaft 
als alle andern Ausländern zusammen‘, sagte unser Bischof im ‚Neuen Kirchenblatt“, 
1914, S. 197. 

Die Deutschen lehren andere große Völker unsere Literatur kennen und schätzen. 

Wahrscheinlich ist es den Deutschen zu verdanken, wenn Völker, die zu uns gar keine 
Beziehungen haben, wie die Neugriechen und Tschechen in Böhmen, einzelne unserer 
Dichtungen in ihrer Sprache übersetzt haben. Deren Sprachen sind der unsrigen wenig 
ähnlich, aber doch ähnlicher als das. Grönländische, die Sprache der Skr&linger und: 
Eskimos. Aber gar manche Ausländer glauben gerade, wir seien nahe verwandt mit den 
Eskimos und natürlich auch in der Sprache. 

Unsere gelehrten deutschen Freunde sind anderer Meinung. Denn unsere Literatur. 
beweist der Welt, daß wir keine Eskimos sind, sondern ein wirkliches Kulturvolk und 
ein achtenswertes Volk in vielen Dingen, so klein es auch ist. 


72 ü 


. Nehmen wir nur ein: Beispiel: Sn Pen N 

Gesetzt, ein gebildeter Tandsmarm von uns käme in ein. rende Land, wo man von 
unserem Lande nichts wüßte außer, daß es da auf der Karte liegt, dicht bei Grönland. 
Diese glaubten, die Kultur sei dementsprechend. Sie meinten auch, das Land gehöre 
den Dänen, und würden es nicht glauben wollen, wenn man sagte, er sei ein Isländer. 
Da brauchte er nur auf irgendein Buch eines deutschen Islandfreundes hinzuweisen oder 
es vorzuzeigen, dann würden alle sehen, daß die Nachbarn der Grönländer ein Kulturvolk 
sind, mit den ersten Nationen der Welt verwandt. Dann könnte es einen Vorteil haben, 
sich um ihn mehr zu kümmern. Denn alle wollen lieber Gemeinschaft und Verkehr mit 
gebildeten Leuten haben als mit wilden oder halbwilden Völkern. 

So käme dann die deutsche Gelehrsamkeit den Isländern sehr wohl zustatten. 

Die Dänen staunen ebenfalls bereits über das Interesse der Deutschen an unserer 
Literatur. Die Deutschen kennen und schätzen aber auch die Literatur der Dänen, 
Schweden und Norweger besser als sonst irgendein großes Volk. Sie verstehen den 
nordischen Geist besser als alle anderen Völker, sie verstehen die Edden und die alten 
Sagas außerordentlich gut. 

-. Und warum tun sie das ? Weil sie den nordischen Völkern näher stehen als alle anderen 
Völker. Und weil sie lernbegieriger und weitsichtiger sind als die anderen Völker. 
Darum vermögen sie auch die Bildung der kleinen Völker richtig einzuschätzen. Sie 
wollen alles mögliche kennen, einen Überblick über das ganze Menschenleben gewinnen, 
dieses in allen seinen Formen bei kleinen und großen kennen. Und dabei sind sie so 
gründlich und sorgfältig, daß sie das Kleinste beachten und z. B. rasch den Unterschied 
zwischen der grönländischen und isländischen Pflanzenwelt und dergleichen sehen, 
wo auf den ersten Blick Übereinstimmung zu herrschen scheint. 

‘Und sie finden ihren Heldengeist in unseren Sagas und auch in den Liedern Hall- 
grims (Pjeturssons) und Bjarnis (Thorarensen). Und dieser Geist weht jetzt wie ein 
gewaltiger Sturm über die ganze Welt. Ja, er erweckt die Funken des Heldengeistes, 
die bei uns noch unter der Asche glühen, zu neuem Leben, so schwach es auch sein mag. 

Daher ist es sehr wahr, was unser Dichter Steingrimur Thorsteinsson sagt (Skfrnir 
1915, 333): Die Deutschen kennen unsere Volksart in alter und neuer Zeit besser als 
die meisten anderen Völker und zeigen uns bei jeder Gelegenheit aufrichtige Anteil- 
nahme. Sie waren und sind zu gebildet und hochherzig, als daß sie den Stab über uns 
brächen, weil wir arm, wenig und klein sind. 

Dieses Volk steht uns von Natur näher als irgendein anderes, die des Nordens aus- 

genommen. Björnstjerne erklärte die Preußen den Norwegern ähnlicher als die Dänen 
Sa die Preußen sind das erste Volk im Deutschen Reiche. 
. Viele werfen den Deutschen „Militarismus‘‘ und Streben nach Kriegsruhm vor. 
Doch sachte! Die Deutschen sind unter sich friedfertig, und friedfertig zeigen sie sich, 
wenn sie hierher kommen (und dort herrscht ein humaner Geist in vielen Dingen, und 
Hinrichtungen sind in Friedenseziten seltener als in England). 

Kehren wir lieber vor der eigenen Türe. Wir haben 600 Jahre lang Frieden gehabt, 
vor allem in den letzten 300 Jahren. Kein größeres Volk hat eine so lange Friedenszeit 
genossen. Also müßte bei uns das glücklichste Friedensparadies der Welt sein. Zu uns 
müßten die Friedensapostel in Scharen kommen, um das Vorbild zu sehen. Uns ist 
viel gegeben, darum wird man auch von uns viel fordern. Wir müssen also größere 
Liebe der Menschen untereinander zeigen als alle anderen Völker, wenn wirklich die 
Militärlosigkeit für den Alltagsfrieden ein solcher Segen ist, wie man sich einbildet. 

(Ww. H.) 


VI. ZU ERKES ISLANDREISE 1914 


brachten Petermanns Geogr. Mitteilungen im Septemberheft I9I6 einen 
Bericht, dem wir auszugsweise folgendes entnehmen.. 


73 


Am 16. Juli 1914 bestieg Erkes den Schildvulkan Skjaldbreiö bei Ping- 
vellir. Ein Hauptzweck der Besteigung war, eine Erklärung für die auf- 
fallende Fehlmessung zu finden, die der. (Igo8 im Askjasee leider verun- 
glückte) Geologe W. von Knebel als Ergebnis seiner Skjaldbreiö-Besteigung 
vom 27. August 1905 seinerzeit veröffentlichte; v. Knebel bezeichnete närn- 
lich Thoroddsens frühere Messung der Gipfelhöhe des Vulkans von 1063 m ü 
M. als falsch und stellte ihr seine eigene Messung von nur 780m ü. M. ent- 
gegen; die spätere Generalstabsmessung ergab tatsächlich 1060 m.ü.M. 

Erkes bestieg die Skjaldbreiö, ausgehend von. der Grasoase Ormavellir 
von Westsüdwest. Er konnte ungefähr 31, Stunden lang bis 70oom ü.M. 
über das schneefreie, aber ziemlich: stark zerklüftete Gelände des Vulkan- 
mantels in weitem nördlichen Bogen verhältnismäßig schnell aufwärts 
reiten; dann begann die vom Winter her noch ungeschmolzene Schneekappe. 
Erkes ließ die Pferde zurück und erreichte in fast gerader Linie über den 
Schnee in zwei Stunden den Kraterrand.. Dieser bildet den höchsten Punkt 
des Berges; der Krater war von geborstenem, zum Teil von den steilen 
Rändern abgesunkenem Firn nahezu angefüllt. Die Höhenmessung nach 
Aneroidbarometer stimmte mit der des Generalstabs genau überein. Den 
Abstieg nahm Erkes, um eine möglichst genaue Übersicht über v. Knebels 
noch etwas nördlicher genommenen Weg zu gewinnen, in einem weiten 
Nord-West-Süd-Bogen und folgte dann nach Südwest der auf NEN 
zu geflossenen Lava. 

Eine genaue Vergleichung der Angaben V. , Knebels Er seines Führers 
mit den Beobachtungen und Feststellungen, die Erkes machte, ergab nun 
folgendes: v. Knebel war nach einem strammen Tagesritt (von Kalmanns- 
tunga über den Kaldadalsvegur) gegen Abend ab Brunnar, einem Gras- 
platz (nicht Gehöft, wie Herrmann in seinem Island III, S. 89, irrtümlich 
bemerkt) 8km nördlich von Ormavellir, allein und zu Fuß zur Skjaldbreiö 
aufgestiegen; er berichtete, er habe gerade bei. Sonnenuntergang den Gipfel 
des Vulkans erreicht, den er 780. m ü. M. maß. Bei den großen Entfernungen 
und den aus der Unebenheit des Geländes. sich als notwendig ergebenden 
vielen Umwegen, dabei der beschränkten Zeit, die v. Knebel vor der Nacht 
zu Gebote stand, scheint es. jedoch fast ausgeschlossen, daß er, mochte er 
ein noch so guter Fußgänger und Bergsteiger sein, den Gipfel der Skjaldbreiö 
erreichte, woran: seine Beschreibung des Kraters nichts ändert. Vielmehr 
dürfte sich v. Knebel bei Einbruch der Nacht im Zustand der Ermüdung, 
als ein Opfer der auf Island häufigen und von vielen Islandreisenden be- 
stätigten Sinnestäuschungen sich in dem Glauben befunden haben, er stehe 
auf dem ‚Gipfel des ausgedehnten Lavaschildes, während er nur einen als 
Gipfel mißdeuteten Punkt in der von ihm richtig gemessenen Höhe von 


74 


780 ın ü.:M. erstiegen hatte.‘ Mit'dieser Annahme Erkes stimmt Thoroddsens 
Bemerkung in dessen: Ferdabök HJ; 6. :109, vollkommen überein; und anders 
‚scheint der bei einem Forscher ‚wie v, Knebel. und ‚der ‚Zuverlässigkeit, seiner 
Instrumente geradezu. verblüffende . Irrtum. in ‚der „Höhenmessung kgum 
‚erklärbar. | Ä 


[a ze ARE Ua " ae En 


VI. ANZEIGE : men 


ı. Für Reisende nach Island liegt jetzt der.erste vollständige Reiseführer vor: Turist- 
ruter paa Island, ved Daniel Bruun, dessen III. Teil, Det indre Höjland i. J. 1916 
zum Abschluß gekommen ist. Das Werk enthält eine systematische Übersicht nebst 
Karten und sehr genauen Angaben über weitaus die meisten Touren, die für den Rei- 
senden auf Island, soweit er nicht eigene neue Forschungen treibt, in. Frage kommen. 
Ein außerordentlich reichhaltiger Schmuck von durchweg sehr guten Bildern geben 
diesem Islandführer besonderen Wert. Eine ausführlichere Besprechung sei auf. später 
vorbehalten. rn ‘Heinrich Erkes 


"VE VORTRÄGE ı ÜBER ISLAND 

| _ hielten in letzter Zeit en 
1. Herr Dr. Har ans Freiherr v. Jaden: Volkstümliches aus, Aland und A 
.. Färöern (Geräte aus.Holz, Kostüme, Schmuck. u. a,), mit Lichtbildern; : 
_ am ı3. Dezember 1916 in der Wiener anthropologischen "Gesellschaft. 
2. Herr Oberlehrer, Dr. Julius Becker: Island (mit Lichtbildern). in “ 

 Geographischen Gesellschaft in Rostock... | 

3. Herr Heinrich Erkes: Eigenart und Schönheit der Natur Islands ee elbet. 
aufgenommenen Liehtbildern) ‚in. verschiedenen Gesellschaften in Köln. 


IX. NOTWENDIGER HINWEIS 
ALS SONDERBARER ISLANDFREUND erweist sich der durch seine große 
Reklametrompete für seine geringwertigen Islandschriften bekannte Magister 
phil. Karl Küchler. Er dient übel:der deutschen Sache auf Island, indem er 
eine Anzahl in englischer Sprache von ihm verfaßter: niedriger :Schmäh- 
gedichte gegen England auf Island wie in Deutschland zu verbreiten sich 
abmüht. Wie ‚Zuschriften sehr deutschfreundlicher: Isländer beweisen, ‚fühlt 
man sich auf Island durch diese niedrige Art: der Engländer-Bekämpfung, 
wodurch das große deutsche Vaterland häßlich blaßgestellt wird,: tief be- 
schämt und empört. Diese Art den Gegner zu bekämpfen überlassen wir neid- 
los unseren Feinden.. Da Küchler sich ‚selbst mit Vorliebe „Islandfreund‘‘ 
nennt und früher auf Island auch so genannt: wurde, sei im Interesse unserer 
Sache ausdrücklich ‚darauf hingewiesen, daß‘ er unserer „Vereinigung der 


.rurıie 


Islandfreunde“ nicht angehört. Ei Heinrich Erkes 


75 


Ei 


X. .DIE » BÜCHEREL DER VEREINIGUNG 
DER ISLANDFREUNDE- m: 


Ständig jugeschickt bekommen wir: ı. Lögretta. 2. Vestri. 3. Landiöd und 


4.’Isafold (seit Juli). Außerdem Skölabladid, Leknabladid, Idunn (II, H. ıJa 
it nicht eingetroffen), Bünadarril. An Büchern ist a seit Juli 
1916 neu dazugekommen: 


257- 
258. 
250. 
260. 
261. 


262. 
263. 


264. 
265. 


8 


Nr. 


Jö6n Olafsson, Ritsimamälid.' Sonderdruck aus. ‚Andvari 1903. 

Edda, herausgeg. von :G. Neckel. I. Heidelberg 1914. 

Bogi Th. Meisteö, Handbök i 'Islendinga sögu I. Kopenhagen 2970, 
Jon: Tyausti, Tvar gamlar sögur, Reykjavik 1916. 

Pall Dorkelsson, ’Islenzk fuglaheita-ordabök. Reykjavik IgI6. 

D. Bruun, Turistruter paa Island III. Kopenhagen 1913—16. 
'Arbök häsköla 'Islands fyrir häsk6laärid ıg15/16. Fylgirit: Gud- 
mundur Hannesson: Um skipulag bz&ja. 

Dorvaldur . Thorodasen, "Arferdöi & ‘Islandi i püsund är. I. Kopen- 
hagen 1916. 

Porvaldur Thoroddsen, The botany 0! of Iceland I ‚Kopenhagen | und 


London 1914. 


Brynjolf Snorrason og Kristian Arenizen, Nordiske Myther, fortalte 


_ efter Kilderne. Kopenhagen 1849. 


257 Geschenk d. H. H. Erkes, 258—260, 262265. von den Verias- 


sen, a vom Verleger (Einar Gunnarsson). 


70°. XL MITGLIEDERSTAND 
Ausgetreten: 


Vyatny, Dr. Karl, Kaplan, Prag. 


Neue Mitglieder: 


 Schäublein, Hans, Bankbeamter, Basel, Solothurnerstr. 71. 


v. Braunmühl, Anton, Kaufmann, Abensberg, Bayern. 
Grimminger, Dr. Eugen, prakt. Arzt und bezirksärztl. Stellvertreter, 
Abensberg, Bayern. 


Zotimayr, August, Kgl. Amtsiichter, Abensberg, Bayern. 
‚Fräulein Paula Schubert, Charlottenburg, rag abureen. 14a. (Ver- 


besserung v. S 44.) 


Anm. Da die für Deutschland bestimmte Sendung der Veröffentlichungen 1916 der 
isländischen Literaturgesellschaft (Hins fslenzka b6ökmentafelags) nicht eingetroffen 
ist, kann der beabsichtigte Bericht über die Jahrhundertfeier dieser Gesellschaft noch 
nicht erstattet werden. — Nachrichten aus Island können wegen Raummangel erst 
im nächsten Fleft erscheinen, W. H. 


76 


RERINIE SEIT EITETTEETETEIEI NETTE TEE ICE 


EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA 


F | | DEUTSCH-NORDISCHES JAHRBUCH FÜR. KULTURAUS- 
bs i TAUSCH UND VOLKSKUNDE. Herausgegeben von Walter 
i | Georgi mit 22 Abbildungen auf 2ı Tafeln. br. M 2.— 

i 


Aus dem Inhalt: Erich Liliental, Die Industrialisierung Skandinaviens als europäisches 
politisches Problem / Walter Georgi, Edvard Munch / Willy Pastor, Aus dem Epos der 
Vorzeit / Edvard Welle-Strand, Die verlorene Odyssee der Lappen / Margarete Bruch, Die 
alte Lappin / Das Freilufttheater in Dyıehave bei Kopenhagen / Irene Triesch, August 
| Strindberg / Walter Georgi, Skagen / Paul Elsner, Die königliche Porzellanmanufaktur 
I: in Kopenhagen / E. Hildebrandt, Die Entwicklung Nordschwedens / Adolf Paul, Zwei 
Fennonenhäuptlinge: Sibelius, Gallen / Niels Hoyer, Axel Mertens Heimkehr / Gustav 
I Manz, Thule. 

K Deutsche Rundschau: Noch nie war unsere Aufmerksamkeit so schr nach Norden, noch 
| nie seit 1864 die Aufmerksamkeit der Nordgermanen so auf uns gerichtet. Kommerzielle, 
| künstlerische, literarische, wissenschaftliche Momente wirken da mit den pölitischen zu- 
i sammen, Als Organ eines unpolitischen Verbandes spricht das Buch wenig von den aktuellen 
- politischen Vorgängen. Im übrigen sind es Landschaftsschilderungen, Inıpressionen von 
r Land und Leuten, literarische, kunsthistorische folklorisusche Essays, durch die alle die- 
jenigen Eindrücke vertieft werden sollen, die der Tourist und der Liebhaber aus dem Norden 

heimbringt. 


—— — — m ———n nn 


SVEND FLEURON 


steht mit seinen Büchern, die mit dem Tiefsinn des nordischen Naturgefühls 
geschrieben sind, neben Thoreau und Whitman. Zwar baut sich in seinen 
Dichtnngen die Natur anders, liebenswürdiger, zarter, inniger auf, aber der 
seelischeTon, jenes wilde und doch von poetischer Schaffenskraft getragene 
Naturgegefühl, jene verborgene Andacht zum Gotte Pan, das hat er mit ihnen 
gemeinsam. Ein zarte Sehnsucht, dunkle Schwermut, die unbestimmte Ferne 
| weiter Horizonte verbinden ihn mit Knut Hamsum, Johannes W ‚Jensen, Jonas 
Lie. Svend Fleuron ist Däne; darum sind alle diese verschiedenen Töne von 
der Melodie einer liebenswürdigen Lebenskunst, einer feinen Überlegenheit 
| und einer behaglichen Ironie getragen, die seinem Volke eigentümlich ist. 


EINWINTER IMJÄGERHOF. 2. Tausend. br. M 3.—, geb.M 4.20 


vi | Ba literarische Echo: Leben jauchzt, verblutet, ersteht in diesem Buche, alle Schön- 

ten des Himmels und der Erde glänzen darin, Schmerz und Lust, Liebe und Tod des 

!eres rast darin, und über alles Heır, Genießer und Schicksal alles Lebendigen geht in 

i in der Mensch um, der Natur schönste Schöpfung, zugleich ihr Beherrscher, Pans Sklave 

and Mörder in einem. Ein solcher Herr, Anbeter und Schöpfer zugleich — hat Svend 
leuron sein Tagebuch geschrieben. 


N: „IE KALB ERZOGEN WURDE, deutsch von Hermann Kiy. 
Tr. M 3.—, Lwd. geb. M 4.20 


| 1ägliche Rundschau: Es ist eine Tiergeschichte aus dem Kopenhagener Wildpark, 
SZ von dem ersten Lebensjahr eines jungen Hirschkalbes erzählt, voll Liebe zu der freien, 
Ngebändigten Natur, die noch nicht in Menschenhände gefallen ist. Hier, in dem Gehege, 
Irdl die ursprüngliche Tiernatur durch die Berührung mit den zweibeinigen Wesen bald 
rdorben. Nur wenige bewahren sich in ihrem Blute einen Tropfen ihrer schönen stolzen 
Aldheit. Eine von diesen ist Kalbs Mutter, und Fleuron berichtet, wie die Hindin ihr 
1 unges vor den Menschen birgt. Ein tiefes, geschwisterliches Verständnis für die Natur 
| Fıcht aus diesem Buche. Fleuron kommt nicht mehr von außen an das eben von Wald 
MA Wild heran, nicht als beschreibender Naturgenießer — er schlupft vielmehr ins Innere 
NEE Waldgeschöpfe, läuft mit ihnen durch Busch, Wiese und Moor, fliegt durch die Baum- 
eiel, kriegt über den Erdboden hin und sieht so aus den verschiedensten Situationen den 
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ildpark undsein Menschenpublikuman. „Man denktan Francis Jammes franziskanischen 
enroman«,‘* 


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ch = 


GEORG MISCH, EB Geist des Krieges und des deutschen Volke 


Barbarei. br. M — BEN 
Für die Deutschen ist Macht nicht brutales Faktum, sondern Träger schöpferischen Le ehens 15 


DIEDRICH BISCHOFF, Deutsche Gesinnung br. M—.80 
ÜberallePartei-, Berufs- andähnliche Schranken hinweg sollen diebesten opt MER Ei: 
Gemeinschaft des deutschen Idealismus suchen und den Schatz deutscher Gesinnungbewz Ihren. 


MUNIN, Österreich nach dem Kriege, br. M=,00 m mE 


Schaffungvierselbständiger Staaten innerhalb der Monarchie, von denen einerreinde tsch schist, | 


GEORGDOST, Paulde Lagardes nationale Religion. br. Ma oo 


„Deutschlandstehtentweder voreinem neuen Anfang oder vor dem Untergang“, sagtL ‚agarde. | 
Daher erhebt er die Forderung einer Religion und Vaterland verbindenden gemeinsamen = I 


FRIEDRICH GOGARTEN, Religion und Volkstum. br. M=80. | 


G.zeichnetinNachfolgeFichtesundLagardeseinfreiprotestantisches Christentum derZu inte 


HEINZ POTTHOFF, Krieg und Sozialpolitik. br. M—.80, mal 


Aufdas Jahrhundert der Menschenvernichtung mußein solches der Menschenökonomief olgen. | 


re en a rn E | 
EUROPÄISCHE IDEEN. Kriegsdenkschrift des österreichischen | | 
Reichsvereins. br. M —.30 Z Sa Be | 
Als Voraussetzung einer staatsrechtlichen Reform wird eine EHNSCHZROTNISeheN sa > 


JOSEPH HENGESBACH, Frankreich in seinem Gesellschaftszung 


Staatsleben. br. M 1ı.— 
Ein Mann, der lange in Frankreich gelebt hat, teilteine Fülle interessanter Tatsachen re 


#2 


sieht die Zukunft Frankreichsin einer Auseinandersetzung des Sozialismusmit der Bonrgeoih 


H.F.BLUNCK, Belgien und die niederdeutsche Frage. br. M60 


Eine anschauliche Orlenlierane über den Kampf der Vlamen um ihre Sprache und Kultur 


E.EVERTH,VonderSeeledesSoldaten im Felde. 20. Taus.br.M 8 


Professor Delbrück: Keine Spur von Phrase, weder patriotischer noch militärischer @] 
sondern der Ernst der furchtbaren Wirklichkeit des Krieges. 


HERMANN ULLMANN, Die Bestimmung.der Deutschent in Mitte 
europa. br. M —,80 2 
Eine Begründung der Ideenwelt, warım Deutschlands Aufgabe ii in der Kolonisation des 

Ostens liegt und daher eine wertvolle Ergänzung zu Naumanns Mitteleuropa. er. 


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DER TOD FÜRS VATERLAND. Zwei Reden aus Antike und 


Gegenwart. br. M —.60 BEN 
DieberühmteTotenklagedesPerikles u.modernesreligiösesEmpfinden sindgere et € 


G. W.SCHIELE, Wirkung der Höchstpreise. 6. Taus. br.M 50 ze 


Eine Reihe mitgetellter wichti ger Tatsachen aus derf ranzösischen Revolution, diez m 


H. HERRIGEL, Volksbildung und Volksbibliothek. br. Te 


Die Volksbibliotheken haben nicht zwecklose Vielleserei zu fördern, sondern müssen ! Heel 
Leser zur Persönlichkeitsbildung führen und damit zur Fähigkeit, Werturteile”: zu treffen en. 


Neu erschienen: 
DIEDRICH BISCHOFF, Religion und rear br. M — 
ELSEHILDEBRANDT,Arbeiterbildungsfragenim ee 
land. br. M:—.80 | 
MAX MAURENBRECHER, Neue Staatsgesinnung. br. a 50 | 
MATHIAS MEYER, Das Zölibat der Lehrerin. br. M I 


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